Freitag, 30. Oktober 2020

Stodertaler "Riesenbauer" als Gastarbeiter in der Türkei

Auf unseren entlegenen, bewaldeten Bergen wuchsen bis zum Ende des
19. Jahrhunderts Urwälder die nicht geschlägert wurden, weil das Holz nicht zu Tal gebracht werden konnte. Um das Holz nützen zu können, begann man Riesen zu bauen, auf denen Holzknechte die Baumstämme im Winter zu Tal gleiten lassen konnten. Diese Riesen überquerten manchmal Täler und Flüsse und mussten deshalb sehr stabil sein. Dabei hatten sich die  Spezialisten aus unserer Gegend, die Riesen bauen konnten, einen so guten Ruf erworben, dass sie bis in die Türkei geholt wurden, um dort zu zeigen wie Riesen zu bauen sind.
Herr Schulrat Rudolf Kusche aus Windischgarsten berichtet davon in seiner Broschüre „Leutgeschichten“ und davon erzählt dieser Beitrag. 

In der Weltwirtschaftskrise 1927, in der bei uns kaum Arbeit zu bekommen war,  stießen Arbeitssuchende aus unserer Gegend auf ein Inserat, in dem Holzriesenbauer für die Türkei gesucht wurden. Die Reise unerfahrenen Holzknechte, für die Kirchdorf schon weit weg war überlegten, wie man zu dieser Arbeit kommen könnte.
Hat nicht der Notar Hornbostl, fragte sich ein Bewerber, einen Bruder der Österreichischer Konsul in der Türkei ist? Über den nahmen fünf arbeitssuchende Männer Verbindung mit der türkischen Gesellschaft auf. Sie bekamen als Reisegeld jeder 40 Dollar zugeschickt und packten ihr Riesenbauerwerkzeug zusammen. Das waren die schmale Lochhacke, die breite Rieshacke, die Asthacke, den Sappel und die Fußeisen. So beladen fuhren sie nach Wien und lösten je vier Visa, ein ungarisches, jugoslawisches, bulgarisches und ein türkisches Visum. Ein D-Zug brachte sie in zwei Tagen, zwei Nächten und zwei Stunden nach Konstantinopel (heute Istanbul).
In der Türkei regierte damals Kemal Atatürk, das heißt "Vater der Türken". Atatürk bemühte sich aus der Türkei ein europäisches Land zu machen.
Fünf Tage hatten die Riesenbauer Zeit sich Istanbul anzuschauen. Dann fuhren sie mit einem Dampfer durch den Bosporus, hinaus in das Schwarze Meer und die Nordküste von Kleinasien entlang. Niemand von ihnen wusste wo ihr Arbeitsplatz lag und mit niemand konnten sie sich verständigen. In der Küstenstadt Sinop, in der sie aussteigen sollten, fanden sie einen Kaufmann der Deutsch konnte und ihnen weiterhalf. Er sagte ihnen, sie sollen ein paar Tage warten, dann kommt ein Motorboot und holt sie ab. Mit diesem Boot kamen sie dann endlich an ihrem Bestimmungsort an. Er hieß Ajantschuk und liegt westlich von Sinop.

Als sie dort ankamen redete sie gleich jemand an: “Seid ihr die Riesenbauer“? Er führte sie in den Hotelgarten des Ortes. Dort saß der Direktor der Firma und besprach mit ihnen die weiteren Schritte. Von diesem Küstenort führte sie am nächsten Tag eine Bahn landeinwärts bis an die Endstation. Zu Fuß ging es bergauf bis 1500 m über dem Meer. Das Gebirge heißt „das Pontische Gebirge“ und ist bis 2000m hoch.

Der Wald, meist Tannen, Föhren und Buchen, aber keine Fichten, reicht bis an den Gipfel des Berges. Der Wald war unberührter Urwald. Es standen Tannen, die waren 50m hoch und hatten in einer Höhe von 35m noch einen halben Meter Durchmesser. Niemand konnte den Wald nützen, weil das Holz nicht geliefert werden konnte. Es gab in dieser Gegend weder Straße noch Bahn. Unsere Riesenbauer hatten die Aufgabe, aus dieser Höhe von 1500m, Riesen hinunter bis zu einer Bahn zu bauen, damit die Stämme mit der Bahn bis zum Meer transportiert werden konnten. Sie zimmerten sich zunächst eine alpenländische Holzknechthütte und aßen Sterz, Teigspatzen und Germnudeln wie in der Heimat. Sie tranken zur Arbeit Wasser, Milch und Joghurt. Fleisch war rar, weil es die Hitze nicht überstanden hätte. Im Sommer war es sehr heiß, aber ohne Thermometer konnten sie nicht sagen wie heiß es war. Die Nächte waren sehr kühl und es regnete wenig. Im Winter hatten sie in 1500m Seehöhe Schnee. Die Türken selbst aßen Fleisch nur an ihren Festtagen. Sie hatten magere Rinder, Schafe und Ziegen.
Brot aßen unsere Landsleute das gleiche wie die Türken. Sie buken den Teig aus Polenta und Weizenschrot auf heißen Steinplatten. Brot, Zwiebel und Joghurt war die Hauptnahrung der Bauern. Da die Türken die Holzarbeit, so wie bei uns, nicht kannten, wurden auch die Rufe der Holzknechte in das Türkische übersetzt. Unsere Riesenbauer versuchten türkisch zu lernen und manchen gelang es sehr gut. Franz Redtenbacher, einer der Riesenbauer sprach türkisch bald so gut, dass ihn die Firma vom Riesenbau abzog und als Dolmetscher auf Baustellen einsetzte.
Inzwischen waren aus Österreich 15 weitere Riesenbauer, die meisten aus dem Bezirk Kirchdorf, nachgekommen und als Partieführer eingesetzt worden. Franz Redtenbacher hatte als Dolmetscher viel zu tun. Er vermittelte wenn die Einheimischen eigenmächtig die Partie (ihre Arbeitsgruppe) wechselten, wenn es sie in das ein paar Tagesmärsche entfernte Dorf heimzog oder sie sich einfach zu einem Schläfchen in die Büsche schlugen.

Aber nach zwei Jahren zog es unsere Riesenbauer zurück in die Heimat. Sie hatten in der Türkei im Tag etwa 15 österreichische Schillinge verdient. Das war dreimal ein österreichischer Tageslohn. Ein türkischer Arbeiter verdiente
3 Schilling am Tag. Sie waren ja auch als Facharbeiter in die Türkei gerufen worden und das ist der Unterschied zwischen einem österreichischen Gastarbeiter in der Türkei und einem Türkischen, der heute nach Österreich kommt.
                                                                                                







In der Gegend von Sinop arbeiteten unsere Riesenbauer

Freitag, 23. Oktober 2020

Josef Werndl - Fabrikant und Arbeitgeber für die ganze Region

Für das Stodertal und überhaupt für das ganze Pyhrn/Prielgebiet war die Waffenfabrik Josef Werndls in Steyr vor rund 150 Jahren ein wichtiger Arbeitgeber. Viele Stodertaler gingen unter der Woche in Steyr zur Arbeit und kamen nur am Wochenende heim. Oft versorgten ihre Frauen die Kinder, eine kleine Landwirtschaft und manchmal auch noch die Großeltern ganz alleine.
In der Waffenfabrik wurden riesige Mengen an Holz gebraucht, die hauptsächlich die Stodertaler Bauern lieferten und für die das natürlich ein wichtiges Einkommen war.

Eine Arbeitsgemeinschaft Steyrer Lehrer hat die Entstehung und den Werdegang von Josef Werndls Unternehmen aufgezeichnet. 

1831 - wurde Josef Werndl in Steyr geboren. Er starb 1889 in Steyr.
1855 - übernimmt er von seinem Vater Leopold Werndl dessen veralteten Betrieb             und konstruierte mit seinem Meister Holub ein Hinterladergewehr. Das                 Gewehr wurde maschinell hergestellt und in die ganze Welt exportiert.
1866 - Elektrische Geräte und Maschinen wurden in das Programm aufgenommen.
1869 - wurde die Firma eine Aktiengesellschaft mit dem Namen “Österreichische              Waffenfabriks-AG“
1874 - feierte die Firma den 10jährigen Bestand mit 4500 Beschäftigten.
1884 - Besuch von Kaiser Franz Josef I anlässlich der Industrieausstellung in                  Steyr. Durch die Herstellung von Bogenlampen und wasserbetriebener                  Dynamos konnte die erste elektrische Beleuchtung am Kontinent gezeigt              werden. Der Betrieb zählte zu dieser Zeit bereits 9000 Beschäftigte.
1886 - Einführung des Jagdgewehrs „Steyr-Mannlicher/Schönauer“. Benannt nach den Konstrukteuren des Gewehrs.
1889 - 29. April plötzlicher Tod Josef Werndls. Damals beschäftigte die Firma bereits ca. 10.000 Mitarbeiter.
1894 - Enthüllung des Werndl-Denkmals mit Figuren von Viktor Tilgner auf der Handel–Mazzetti-Promenade. 
1903 - Während in Steyr „Mannlicher-Schönauer Jagdgewehre hergestellt 
urden,             fertigte in Graz Johann Puch Fahrräder und konstruierte 1906 versuchsweise ein Auto.       
1918 - nach dem verlorenen 1. Weltkrieg durften keine Waffen mehr erzeugt werden und deshalb wurde die Waffenfabriks AG 1926 in die Steyrerwerke AG umgewandelt und es wurden Autos gebaut. 
1934 - Fusion der Steyrerwerke AG mit Austro-Steyr-Daimler-Puch AG. Daimler in Wr. Neustadt wird still gelegt und in Steyr werden Autos erzeugt. In Graz Fahrräder.
1939 - Umstellung auf Rüstungsaufträge (Waffen und Heeresfahrzeuge).
1941 - Bau des Rüstungswerkes Graz Thondorf
1946 - nach Kriegsende Herstellung des 3t-LKWs.
1947 - Aufnahme der Traktorenproduktion nach dem 2. Weltkrieg. 1915 wurde bereits der erste Traktor in Steyr gebaut.
1948 - Produktion der ersten Diesel LKWs.
1959 - Ankauf der Saurer Werke AG
1964 - 100 Jahr Feier der Steyr-Werke gemessen an der Eintragung der Werndl Fabrik in das Handelsregister.


Der Fabrikant Josef Werndl war aber auch ein großzügiger stets zu Scherzen aufgelegter Mensch, den seine Arbeiter und Angestellten wirklich mochten.
Auch seine Freunde am Stammtisch schätzten ihn sehr, wie diese Anekdote aus der "Presse" zeigt.

Ein kleiner Eisenbahnbeamter aus der Stadt Steyr genoss, wegen seiner freundlichen Art das Vergnügen und die Ehre, jener Tischgesellschaft zugezogen zu werden, in welcher Josef Werndl in großzügiger Weise dafür sorgte, dass der gute Spaß nicht ausgeht.
Der kleine Eisenbahnbeamte hatte einen struppigen roten Vollbart und war auf diese Zier nicht wenig stolz. Da fiel es Herrn Werndl einmal ein, den Roten zu fragen, ob er ihm wohl die Hälfte seines Bartes verkaufen würde? Die Anderen von der Tafelrunde redeten dem nicht eben glänzend situierten Eisenbahnbeamten zu, mit dem reichen Werndl doch das Geschäft zu machen. Es wachse ein ganzer Bart nach, erst ein halber! Der bereits etwas beduselte Beamte murrte, er gebe in Gottes Namen den ganzen Bart her, wenn ihn der Herr Wemdl gut bezahle, aber doch nicht eine solche Menschenschändung. Ein halber Bart! Herr Werndl jedoch erklärte mit sehr ernster Miene, dass er den halben Bart haben wolle, oder nichts; er sei gern bereit dreihundert Gulden (3000 €) dafür zu geben, die andere Hälfte des Rotbartes aber müsse auf dem Gesicht des Beamten stehen bleiben, bis Herr Werndl gelegentlich auch für diese Partie Verwendung finde.
Dem nachgrübelnden Eisenbahnbeamten wurde wacker zugetrunken. Dreihundert Gulden sind kein Pappenstiel. Soviel Geld auf einmal hatte er noch nie besessen und als Werndl bald darauf drei knisternde Hunderter aus der Brieftasche zog und auf den Tisch legte, mit der Frage „Also wollen's, oder wollen's nicht?" Da schrie der außer Rand und Band gebrachte Rotbart, mit der Faust auf den Tisch schlagend: „Topp! Her mit dem Geld"! Sofort musste der Wirt in später Mitternachsstunde, Seife und Messer herbeischaffen und ein des Rasierens kundiger Herr aus der Gesellschaft setzte das Opferlamm auf einen Stuhl, hing ihm eine Speiseserviette um und fegte ihm kunstgerecht von einem Ohr bis zur Kieferhälfte den Bart weg. Der Rote sah dann aus wie ein geschundener Raubritter und zechte sich zu seinem halben Bart einen ganzen Extrarausch an und sang zehnmal von des Tisches Höhe, in allen Tonarten die verschiedensten Schlager...

Am nächsten Vormittag — der Halbrasierte schnarchte noch — kam ein Diener Werndls mit weiteren 300 Gulden und berichtete dem fürchterlich komisch aussehenden verkaterten Mann, sein Herr erbitte sich dringend jetzt auch die zweite Hälfte des Bartes. Er habe zu diesem Zwecke gleich einen Barbier mitgeschickt. Jetzt erst griff der Mann mit entsetzensgemischter Freude an sein Gesicht und sang dann, mit 600 Gulden in der Tasche, ein lautes Hallelujah. Der ganze Neck war von dem großmütigen Werndl nur deshalb angestellt worden, weil er wusste, dass der rote Eisenbahnbeamte verschuldet sei. Er wollte ihm aus der Klemme helfen, ohne ihm das Geld geradewegs zu schenken. Er kaufte ihm das Einzige ab, was der Arme noch zu verkaufen hatte, den Bart; nach solchen Dingen konnte es freilich nur dem steinreichen und seelenguten Werndl gelüsten.

Allerdings war Werndl auch ein beinharter Geschäftsmann. 
Der steigende Bedarf an Holzkohle wird aus einem Schreiben vom Jahre 1883 ersichtlich, in dem der Rechtsanwalt Dr. Julius Seidl des Fabrikanten Werndl, die Gemeinde Hinterstoder bat, den Bau von 8 Kohlenmeilern für den Betrieb eines neuen Walzwerkes in Steyr zu unterstützen. Der Fabrikant Werndl bekam von der Stadtverwaltung Steyr nicht die Erlaubnis zum Bau der Meiler, da befürchtet wurde, dass die ausströmenden Dämpfe die Stadt in Gefahr bringen würden. Nun sollten die Gemeinden Hinterstoder, wie auch Vorderstoder und St.Pankraz, die Interessen der Waldbesitzer vertreten, die damals größtenteils an Werndl verkauften und den Bau der Meiler in Steyr durch Vorsprachen und Eingaben bei den zuständigen Behörden unterstützen. Werndl wollte dafür statt damals 4 Meiler mehr als 20 in Betrieb nehmen und das notwendige Holz im Stodertal einkaufen. Sollte ihm aber die Betriebsbewilligung für die Meiler nicht erteilt werden, würde er überhaupt kein Holz mehr aus dieser Region kaufen, ließ er mitteilen.

Josef Werndl





Denkmal auf der
Handel–Mazzetti-Promenade


Freitag, 16. Oktober 2020

Geschichte der Goldhaube

Was wären Feste und Feierlichkeiten in Oberösterreich, wenn es die Damen mit den prächtigen Goldhauben und dazu gehörigen Kleidern nicht gäbe? Sie sind der Glanz bei allen Umzügen und Prozessionen.

Wie es zu diesem wunderbaren Brauch gekommen ist, zeigt die Geschichte der Goldhauben, Kopftuch- und Hutgruppen Oberösterreichs.

Vorläufer von Kopfbedeckungen aus Goldgewebe wurden schon in Gräbern aus dem Mittelalter (Villach-Judendorf, 13. Jahrhundert) gefunden.

Heute denkt man dabei vor allem an die Festtracht der Frauen in Oberösterreich. Im Verlauf des 18. und frühen 19. Jahrhunderts entwickelten sich die weichen Stoffhauben, die wegen ihrer reichen goldenen Stickverzierungen Goldhauben genannt wurden. Zunächst wurden die Seitenteile der Haube nach hinten gezogen und der Boden oder Böndel zum Knauf geknotet, und so entstand schließlich die Goldhaube in ihrer heutigen Form.
Die Linzer Goldhaube wird erstmals 1782 erwähnt.
Schon um 1760 wurde in bürgerlichen Kreisen die Böndel- oder Bodenhaube getragen, die der heutigen Mädchen- und Bürgerhaube glich.
Die Herstellung einer Goldhaube ist teuer und arbeitsaufwändig, es braucht bis 300 Arbeitsstunden. Auf einem ca. 16 x 116 cm langen Goldstoffband werden vergoldete Kupferplättchen, Flitter, Folien und Goldperlen gestickt. Das Muster obliegt der Stickerin.
1985 stellte die Trachtenexpertin Gexi Tostmann fest: "Ein wahres Goldhaubenfieber hat die Oberösterreicherinnen erfasst. Sie sticken wunderschöne Goldhauben, nähen herrliche Bürgerkleider und nützen jede Gelegenheit, ihre Schätze zu zeigen."
Derzeit gibt es in Oberösterreich fast 18.000, in Vereinen organisierte Trägerinnen, die Kontakte zu Trachtenvereinen, Hutgruppen, Blasmusikkapellen und anderen Vereinen pflegen und karitativ tätig sind. Ihre Aktivitäten sind geprägt von den kirchlichen Festen, wie Fronleichnamsprozession, Erntedankfest, Jubelhochzeiten oder Kräuterweihe (15. August). 
Die Herstellung und Verwendung der Linzer Goldhaube wurden 2016 in der Kategorie "Gesellschaftliche Praktiken, Rituale und Feste, Traditionelle Handwerkstechniken" in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Rasch wurde die Goldhaube eine beliebte Kopfbedeckung, sodass Mitte des 19. Jahrhunderts sogar eine eigene handwerkliche Industrie damit beschäftigt war, das Material für die „güldenen Haubm“ herzustellen.
Neben Goldhauben sind auch die schwarzen Perlhauben sehr beliebt. Fälschlicherweise werden sie oft als Witwenhauben bezeichnet. Gründe für die Beliebtheit dieser Hauben waren vor allem praktischer Natur, denn sie sind kostengünstiger und wiegen weniger.
Das Kopftuch wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts von Bäuerinnen zum Kirchgang getragen und erfreut sich gerade heute auch bei jungen Frauen großer Beliebtheit. Allein in Oberösterreich gibt es 40 verschiedene Bindearten des Kopftuches.
Einheitlich war den Trägerinnen der verschiedenen Hauben und Kopftücher der Familienstand: Nur verheiratete Frauen trugen eine Kopfbedeckung - daher kommt auch der Ausspruch “unter die Haube kommen“.

Das Goldhaubenkleid

Zur Goldhaube wird ein bodenlanges Seidenkleid getragen, das es in vielen verschiedenen, unterschiedlichen Macharten gibt. Nach wie vor großer Beliebtheit erfreut sich das Linzer Goldhaubenkleid mit seinen Säumchen. Es ist der Kreativität der Trägerin überlassen, durch Perlstickereien, Spitzeneinsätze, Smokarbeiten, Spitzenkrägen und dergleichen dem Festkleid den nötigen Aufputz zu geben. Zweifelsohne ist ein Goldhaubenkleid die kostbarste Festtracht im Land.


                                      Stodertaler Goldhauben im 20. und 21. Jahrhundert
























Freitag, 9. Oktober 2020

Unser Priel.





 Georg Auer mit Bergführerabzeichen

Am St. Peterstag bestiegen zwei junge Damen mit dem staatlich geprüften, damals sehr bekannten Bergführer Georg Auer, den Großen Priel. Über ihre Erlebnisse berichteten sie in der "Alpenpost" im Juni 1912.
Der Bericht ist etwas gekürzt und der heutigen Schreibweise angeglichen.

"Am St. Peterstag (29. Juni) früh regnete es in Strömen, respektive Schnürln. Meine Freundin Anna und ich wollten um halb sechs Uhr morgens aufstehen, um mit dem acht Uhr-Zug Richtung Selztal zu fahren. Dort wollten wir von Hinterstoder aus dem Großen Priel aufs Dach steigen, unserm Priel, den wir so oft von Linz aus sahen. Als wir jedoch zum grauen Himmel emporblickten, beschlossen wir bei diesem Wetter nicht fortzufahren und bis zum Mittagszug zu warten. Ich war etwas verstimmt. Ich hatte schon vor acht Tagen stundenlang Schuhe geschmiert, sollten die "Genagelten" in ihrem Fett nun noch acht Tage oder vielleicht noch länger im Müßiggang verharren? Ich war wie gesagt nicht sehr erbaut, ich wäre wahrscheinlich trotz des Regens abgefahren, jedoch die Rücksicht auf meine Freundin, die sich bis dahin nur mit milden Touren begnügt hatte, hieß mich, mich fügen.
Um acht Uhr regnete es noch mit derselben Stärke und Ausdauer. Um halb neun Uhr ging ich unter strömendem Regen zum Papierhändler um mir Briefpapier zu kaufen, denn wenn das mit dem Regen so fort ging, wollte ich diesen Nachmittag, um eine ablenkende Beschäftigung zu haben, alle meine alten Briefschulden abarbeiten. Während ich beim Papierhändler hundert Stück Briefpapier erstand, wurde der Himmel um eine Spur lichter. Ich bezähmte jedoch meine freudige Erregung und machte noch einen kurzen Besuch. Als ich diesen absolviert hatte und aus dem Tor des betreffenden Hauses trat, waren die Wolken schon stellenweise zerrissen und ließen das himmlische Blau durchschimmern. Ich eilte mit den vorläufig, Gott sei Dank, noch nutzlosen hundert Bogen Briefpapier in der Hand und ahnungsvoller Freude im Herzen heim zu und trommelte meine mit mir im selben Haus wohnende Freundin mit lockenden Worten aus ihrem Misstrauen gegen das Wetter auf und in die Bergschuhe. Anna kam bald in solchen Eifer, dass sie den grünen Hut viel früher als ich auf dem Kopfe hatte und mit demselben geziert auch das rasch bereitete Mittagmahl einnahm.
Sie konnte sich von ihrem Bergstock und Rucksack schon eine Stunde vor der Abfahrt nicht mehr trennen. Ich gab mich viel kühler. Aber insgeheim schlug mir das Herz stürmisch. Ich hätte am liebsten gejubelt und getanzt vor Freude, endlich einmal meine sonst so geliebte Stadt Linz verlassen und die Berge der Alpen mit all dem Reiz, der sie umgibt, wiedersehen zu können. Ich atmete auf, als wir um halb zwölf Uhr den Zug bestiegen, der uns in zwei Stunden nach Dirnbach-Stoder bringen sollte. Schon die Fahrt erschien mir wie ein Glück.
Je tiefer wir ins Gebirge kamen, umso schöner wurde natürlich die Landschaft. Es gibt viel Reizvolles an diesen Berghängen. Auch der Burgenzauber treibt dort seine Blüten. Da grüßte uns nächst Kirchdorf Altpernstein, das so schmal und vornehm reserviert ins Tal lugt, nächst Klaus das Schloss Klaus, der Herrschaft Schaumburg-Lippe gehörig, von dieser heute noch oft besucht, ein fester, freundlicher Bau. Die rasche Steyr, die das Tal durchbraust, treibt so manches Werk der weltbekannten Oberösterreichischen Sensenindustrie. So lieblich und romantisch aber auch die Bahnfahrt ist, man sehnt sich im Grunde doch nur nach dem Ziel und recht befriedigt steigt man in Dirnbach-Stoder aus. In beschaulicher Ruhe, von Menschen verlassen erwartete uns dort der Postwagen, der uns nach Hinterstoder bringen sollte. Meine Freundin beunruhigte sich etwas wegen dieser gänzlichen Abwesenheit postalischer Menschlichkeit. Nachdem ich ihr eine Weile tröstend zugesprochen hatte, erschien auch der Postillon mit der angeborenen Ruhe der Gebirgsbewohner. Wir setzten uns in den Wagen, er verstaute seine Kisten und Pakete und dann ging's vorwärts. Zu schnell natürlich nicht, denn es geht ziemlich oft bergauf. Mir tat es wohl, dass die Pferde nebst dem Gepäck und dem Postillon, der übrigens bei den größeren Steigungen den Wagen verließ, nur meine Freundin und mich zu ziehen hatten, die wir beide zum Glück keine gewichtigen Personen sind. So zogen wir die blau-grüne Steyr entlang. In den Wagen wehte eine köstliche Gebirgsluft. Die Sonne schien und die Waldvögel sangen.
Wir hatten uns bereits schriftlich den Führer Georg Auer bestellt. Der Postwagen führte uns bis zu dessen Haus, für gewöhnlich fährt er nicht so weit, diesmal hatte er jedoch im Hintertal Gepäckstücke abzugeben. Herr Auer empfing uns freundlich, er sah sehr ruhig und vertrauenerweckend aus. Seine Frau kochte soeben in einer schwarzen Küche den Kaffee. Sie arbeitete noch am offenen Herd, über dessen Feuer ein Kessel hing. Das ganze Haus war reinlich und einfach gehalten und mit altehrwürdigem Hausrat erfüllt. Herr Auer war nur darüber erstaunt, dass wir zwei Damen ganz ohne Herrengesellschaft waren, was wieder uns großen Spaß machte. Wir erklärten ihm, dass wir außer ihn vorderhand keinen Herrn brauchten.
Wir machten uns bald auf den Weg zum Schutzhaus. Unser Priel hatte zwar eine Haube auf, aber seine Nachbarn, der Kleine Priel und die Spitzmauer, waren gänzlich unbedeckten Hauptes und von dem schönsten blauen Himmel überwölbt. Wir wollten es wagen. Meine Freundin hoffte für morgen noch besseres Wetter, während ich bereits jetzt den festen Vorsatz gefasst hatte, auf den Hohen Priel zu steigen, bei jeder Witterung, auch unter den erschwerendsten Umständen.
Reizend ist die Polsterlucken am Schluss des Tales, ein anmutiger Wiesenwinkel, umgeben von den hohen, zackigen Spitzen der Berge. Verschönt wird dieses Bild noch durch den malerisch angelegten Weiher, eine Schöpfung des Hofbaumeisters Schieder. Als wir durch die Polsterlucke gingen, fiel ein leichter Regenvorhang neben der Spitzmauer ins Tal herein, und auf dem tiefgrünen Wasserspiegel schwankten große, weit voneinander entfernte Regenringe. Den großen Tropfen nach urteilten wir, dass der Regen nicht lange andauern würde, und wir hatten recht, er ging rasch vorüber. Die wilde Polstermauer geleitet uns zu unserer Rechten bis an das Ende des Tales und zum Beginn des Aufstieges. Schon hier konnte ich ein Wiedersehen mit Alpenrosen und tiefblauen Bergvergißmeinnicht feiern und zwei Wasserfälle, von welchen der eine ein reizender Schleierfall ist, machten das Andenken an meine Gebirgsheimat wieder so recht lebendig. Ich glaubte immer zu Hause zu sein und durch den heimatlichen Bergwald zu schreiten und musste mein Denken oft mit Gewalt zurechtweisen und mir erklären, dass ich nicht durchs Dachsteingebiet, ­sondern in der Prielgruppe steige.
Etwas vor acht Uhr langten wir im Prielschutzhaus an, das wir von einer freundschaftlichen Wirtschafterin umsichtig und zufriedenstellend beherrscht fanden. Nach einem kleinen Nachtmahl streckten wir uns auf unsere Matratzenlager aus. Wir waren für diese Nacht die einzigen Hüttengäste, was uns ganz angenehm war. In der Hochsaison soll die Hütte oft überfüllt sein. Als wir einschliefen schien sich das Wetter nicht so schlecht machen zu wollen. Meine Freundin hatte sich in den dunkelsten Winkel der Hütte zurückgezogen, ich hatte mich mit dem Kopf zum Fenster gelegt. Um zwei Uhr weckte uns heftiges Getrommel auf dem Dach, es regnete wieder. Ich warf einen Blick über mich zum Fenster hinaus. Die Wolken standen noch über den Bergen. Ich ließ mich nicht lange beunruhigen und hörte und sah bald wieder nichts mehr. Gegen vier Uhr erwachte ich wieder, meine Freundin war etwas aufgeregt, sie hatte nicht sobald wieder einschlafen können wie ich, der Regen hatte sie gestört. Jetzt waren die Berge bald klar, bald von umherirrenden Nebeln verhüllt, aber der Regen hatte aufgehört. Der Führer hatte gestern ausgesprochen uns vor vier Uhr zu wecken, jedoch er erschien jetzt noch nicht. Anna war indigniert über das Wetter. „Wir warten noch ein wenig", sagte sie, „wird es nicht besser, so gehen wir einfach ins Tal hinab und fahren heim." „Ich steige unter jeder Bedingung auf", erwiderte ich. „Nein, das tu ich nicht, das wäre eine Fexerei. Ich gehöre nicht zu den heroischen Touristen, die auf die Gipfel müssen. Das könnte gefährlich sein und schlecht ausgehen. Was habe ich davon, wenn ich tot unten liege?!" „Sei kein Frosch und erhebe Dich! Es kann gar nicht gefährlich sein, und ich komme lebend wieder herunter, das weiß ich!" „Woher weißt Du das?" „Das sagt mir mein inneres, alpines Ahnungsvermögen." So stritten wir eine halbe Stunde lang, wobei ich entschieden alpinen Charakter bewies.
Nach Ablauf dieser Frist erhob ich mich entschlossen, kleidete mich vollständig an und stieg in die anderen Hüttenräume hinunter. Dort rührte sich noch nichts, die Hütte war verschlossen. Als ich mich wieder zu unserem Lager hinaufbegeben wollte, begegnete mir Herr Auer auf der Stiege. „Na, was meinen Sie?" fragte ich ihn. „Ja, a weng warten! Schad is, daß nit anders is. I hab ihna deswegen a nit g'weckt." „Ich steig auf jeden Fall auf, Herr Auer." „Aussicht wird aber wenig sein." „Das macht mir nichts. Wie lang glauben Sie, dass wir noch warten sollen?" „Na, wann S' wirklich so den Muat dazua haben, so richten wir uns halt schön langsam zusammen." „Schön!" Ich kehrte zu meiner Freundin zurück. „Anna, ich habe soeben mit Auer gesprochen, ich steige unter jeder Bedingung auf und richte mich jetzt langsam zusammen." „Hast Du gefragt, ob es gefährlich ist?" Nein, das hab ich nicht gefragt." „So geh und frag doch!" Um sie zu beruhigen ging ich wirklich und richtete an Auer die kurze Frage: „Ist es gefährlich?" Worauf ich die noch kürzere Antwort erhielt: „Na!" welche ich meiner Gefährtin überbrachte. In der Kürze zeigt sich der Meister, und die kurze Antwort Auers bewies dies dadurch, dass sie Annas Angst verschwinden machte und die Anfangstouristin sofort vom Lager hob. Ja, diese entwickelte jetzt sogar wieder einen größeren Eifer als ich, zum Aufstieg bereit zu werden. Sie hatte den Hut wieder bedeutend schneller auf als ich und blickte dem Frühstück mit viel größerer Ungeduld entgegen. Unterdessen zog sich Herr Auer seine Gebirgsstrümpfe an. Anna befragte das Hüttenfräulein, ob er auch ein Seil habe. „Er hat schon eins, aber ich glaub, er wird's nicht nehmen." Anna nahm dies ruhig und sogar mit etwas Stolz zur Kenntnis. Wie ich bemerkte, begann sie sich zu fühlen. Ich war über die Seillostgkeit sehr froh, denn ich lasse mich nicht gern fesseln.
Den Aufstieg von der Schutzhütte an begann unsere Anfangstouristin mit fabelhafter Schneid. Sie war immer die erste, während ich die Mitte hielt und Auer den Schluss. Er hatte uns schon gestern erklärt: „I steig nit schneller." „Aber wenn andere Touristen recht laufen, müssen Sie da nicht mittun?" fragte ich ihn. „Is nit die Folg'. I bin sogar verpflichtet, dass i sie zruckhalt." Ich fand Auers Schritt und seine Ansicht sehr vernünftig, zum mindesten kriegt man dabei keinen Herzfehler. Das Wetter hatte sich nicht viel gebessert. Der Himmel war dicht verhangen, die Nebel schmiegten sich die Wände entlang, nur gegen Osten war es etwas heller. Dort konnte man die fernen Gipfel sehen und es machte sich sogar ganz gut, diese düsterblauen Spitzen vor den lichten, von der Sonne beschienenen Wolkensäumen. „A bißl was wird uns schon derwischen", meinte Auer in Hinsicht auf Regen. Bald winkten uns die Schneefelder. Dicht unter ihnen sahen wir zwei Gemsen. Die zierlichen und jetzt auch wohlgenährten Tiere ließen uns, da wir ihnen nicht im Wind waren, sehr nahe an sich herankommen. Wohl hoben sie oft die gehörnten Köpfchen und sahen uns fragend an, aber sie zeigten keine Scheu und erst als wir sehr dicht an sie herangekommen waren, flohen sie, jedoch ohne besondere Hast, sozusagen ganz gemütlich. Ich war ganz entzückt, Gemsen in solcher Nähe zu sehen, denn trotzdem ich schon so viel im Gebirge herumgestiegen bin, hatte sich dies noch nie gefügt. Auer lächelte befriedigt und meinte: „Dös sand halt unserne Gambsen!" „Aha, die sind dazu abgerichtet!" „Freilich wohl!" Das Aufwärtsgehen über steile Schneefelder fand Anna merkwürdigerweise ganz angenehm. Von Zeit zu Zeit fragte sie, ob das schon der ewige Schnee sei, worauf Auer den Bescheid gab, dass der erst weiter oben komme. „Beim Awagehn, da fahrn wir über die Schneefelder ab. Da stellen wir uns her und lassen uns rutschen", kündigte er uns an. Anna freute sich schon sehr darauf, während ich der Sache kritischer entgegensah und erzählte, dass ich über das Karlseisfeld sitzend abgefahren sei. „Geht a als a stehenda", versicherte Auer. Eine Kletterei über den „Brotfall" nahte. „Dass da kein Drahtseil ist?" wunderte sich Anna, den Einstieg betrachtend. „Is nit notwendig, mir kemman a ohne Seil auffi!" beruhigte Auer. „Aber eine Versicherung wäre doch gut, besonders für andere Leute. Meinen das nicht auch andere?" „Js schon oft davon g'redt wor'n. Aber es is immer wieder aufgeben wor'n; die Herren sagen, es war schad um den Priel, wenn er versichert werden tät. "Das war auch meine Ansicht, denn wer nur etwas Tourist und Turner ist, kommt auf den Priel auch ohne Drahtseil und findet auch, dass der Berg durch so etwas sozusagen nur „verschandelt" würde. Ich bedeutete Auer: „Schauen Sie nur auf das Fräulein, die geht zum ersten mal, um mich brauchen sie sich nicht zu kümmern, wenn ich sie brauche, sage ich's schon." Ich bat ihn auch auf der ganzen Tour nur dreimal um seine Hand, und das war eigentlich Faulheit. Anna war anfangs etwas ängstlich. „Wo soll ich hinsteigen? Was darf ich jetzt tun?" Auer sagte ihr das alles mit der größten Ruhe. Sie begriff rasch und auf einmal war sie wieder die erste und kletterte ohne Hilfe dahin. „Da schaun S' es nur an!" bemerkte der Führer zu mir, „jetzt steigt's ah schon dahin ganz turnerisch." Ich hatte ihm nämlich erzählt, dass wir auch Turnerinnen seien. Überhaupt hatten wir uns gegenseitig bald viel erzählt, denn Herr Auer ist nicht nur ein guter Führer, sondern auch ein geschickter Gesellschafter, dies erfuhren nicht nur wir, sondern auch viele andere, wie wir seinem Führerbuch entnahmen. Ein Herr mit Sohn hatte da sogar hineingeschrieben: „Herr Auer ist uns binnen kurzem ein lieber Freund geworden." Uns behandelte Auer — er ist doch etwas älter als wir — väterlich. So hatten wir endlich Annas heiß ersehnten ewigen Schnee erreicht. Es lag etwas Neuschnee. Da es steil anstieg, haute uns Auer mit seinen "Grobg'nahten" Stufen. Bald hatten wir das größte Schneefeld hinter uns. Dichter Nebel hüllte uns ein. Auch war es windstill. „Besser wär's es ging der Wind," sagte Auer, „aber i glaub allweil a bißl a Aussicht kriegen mir noch." Ich war ganz gefaßt. Aussichtslosigkeit auf Gipfeln war für mich nichts Neues mehr. Anna war ruhig, sie hatte nur mehr den einen Ehrgeiz auf die Spitze zu kommen. Auch sie war nun eine „heroische Touristin," sie, die noch an diesem Morgen das Aufsteigen unter allen Bedingungen „Fexerei" genannt hatte! Alles ist dem Wandel unterworfen auf dieser Welt! — Sie sprach jetzt nur mehr vom „Grat", dessen Gefährlichkeit ihr Bekannte bereits gerühmt hatten. „Da lasse ich mich von Herrn Auer führen", sagte sie. „Übrigens, du kannst Dich zuerst hinüberführen lassen. Ich warte." „Das werden wir schon sehen!" Als wir vor dem berühmten Grat standen, ließ ich ihr und Auer den Vortritt und versprach zu folgen, was ich auch tat. Anna ließ sich als braves Kind wirklich die ganze Länge des Grates führen. Der Grat ist wohl ein Grat, aber ein sehr angenehmer. Der Nebel, der zu beiden Seiten feststack, tat übrigens auch seine moralische Wirkung auf das Sicherheitsgefühl. Auf diesem Grat und bereits auch schon früher auf der Höhe fiel mir das Gestein auf, das wie mit einem grünen Überzug bedeckt erscheint. Der Nebel war so dicht, dass wir das große Kreuz am Priel nicht eher sahen, bis wir knapp davor standen, was Auer zu den gemütlichen Worten veranlaßte: „Ja, wo is denn 's Kreuz?! Mir scheint, dös hams uns davon. Ja, ja, dös hams wög!" Beim Kreuz angelangt reichten wir uns alle die Hände. Der Nebel über uns war hell, hier und da erschien sogar die Sonne wie eine matt silberne Scheibe. Der Nordwind blies — aber die lichte Dunstmauer um uns riss nicht. Auer schlug vor sich auf die Südseite zu setzen, was aber von Anna als Abweichen vom Wege verpönt wurde. Vergebens versicherte ich ihr, was ein autorisierter Führer gestattet, dürfe man tun, ob es jetzt vom Wege abgehe oder nicht, sie ließ sich in der Nähe des Gipfelbuches nieder und wir wollten sie natürlich nicht verlassen. Wir nahmen einen kleinen Imbiss ein, Anna beschrieb das Wetter kurz im Gipfelbuch. Ich schrieb dahinein nur meinen Namen und die Verse: „Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg“.
Wir kamen uns aber gar nicht maultierartig vor, im Gegenteil, wir waren recht vergnügt den Berg doch bezwungen zu haben. Wir ärgerten uns wenig darüber, dass wir keine Aussicht hatten; wären wir von der Hütte abgestiegen ohne den Gipfel erreicht zu haben, wir hätten uns sehr geärgert. Da der Nebel nicht wanken und nicht weichen wollte, hielten wir uns nicht lange auf dem Gipfel auf und machten uns bald wieder an den Abstieg. Auer prophezeite trotz allem noch immer etwas Aussicht. Als wir auf dem breiten Grat, eigentlich einem Rücken, standen, rissen die Wolken richtig gegen Süden hin. Wir sahen ein Stückchen Hetzau und sehr schön die Weitgruben, ein ödes, schneeerfülltes Hochtal des Toten Gebirges. Ich machte die Bemerkung, dass das Tote Gebirge viel zerklüfteter ist als die mir wohlbekannte Dachsteingruppe. Als es ans Abwärtsklettern ging, kehrte Annas Furchtsamkeit zurück, verlor sich aber bald. Sie stieg zuerst mit dem Gesicht gegen den Abhang aus Angst vor dem "Schwindligwerden". Später machte sie es wie ich. Sie bot dem Abgrund kühn die Stirn dar und setzte sich an schwierigen Stellen einfach nieder. Sie erkannte bald den Vorteil dieser Art, nämlich, dass man da den ganzen Weg besser überblickt und so nicht so leicht in die Verlegenheit kommt: „Wo setze ich jetzt den Fuß hin?" Bei sehr steilen Flächen dürfte diese Art des Absteigens aber wohl nicht anzuwenden sein. Bei den kleinen, wenig geneigten Schneefeldern vor dem Rücken, der in den Grat übergeht, „praktizierten" wir bereits, wie Auer sagte, das Abfahren. Das war zuerst eine kleine Übung, wir fuhren rechts und links in unseren wackeren Führer eingehängt zu dritt. Es ging wider Erwarten gut und einen Teil des großen, tiefer liegenden ewigen Schneefeldes fuhren wir schon allein, um an den nachfolgenden Feldern die Sache mit einem wahren Feuereifer zu betreiben. Es war viel leichter als wir es uns vorgestellt hatten. Besonders Anna hatte nach Aussage Auers eine „gute Balanz". Auer hatte sich aber auch als trefflicher Lehrmeister erwiesen. Wieder begegneten uns zwei Gemsen. Als wir aus der kahlen Höhe wieder in die Region der Blumen gekommen waren, griffen wir fest zu. Enziane und rote Grafenblumen legten sich in leuchtenden Farben über das graue Gestein. Hier und da grüßte noch eine gelbe Himmelschlüssel, die den sommerlichen Berghimmel erschlossen hatte. Im Schutze der Felsen glühten in den zarten Nuancen des Morgenrots sternförmige Rhododendronblüten. Bald erschienen auch wieder die lieben Vergißmeinnicht und die frischen Alpenrosen.

In der Hütte langten wir vollständig trocken an. Herrn Auers Wort von dem „kleinen Regenerl" war bisher nicht in Erfüllung gegangen — das Wetter sollte es aber später noch einbringen. Nachdem wir uns in der Hütte gestärkt hatten, ging es bei Sonnenschein zu Tale. Eben dieser Sonnenschein braute aber in aller Stille an zwei verschiedenen Himmelsrichtungen je ein sehr schönes Gewitter zusammen. Im Tale waren wir froh, Herrn Auers gastliches Haus zu erreichen. Dort nahmen wir eine kleine Jause und Herr Auer sprach sich sehr zufrieden über unser Verhalten aus und versicherte, er habe es gleich gemerkt, dass er mit uns leicht auf den Gipfel komme. Als wir so in der traulichen Stube saßen, schien sich das Wetter wieder bessern zu wollen, so dass wir unserm ersten Entschluss treu blieben, das Stodertal zu Fuß zu verlassen. Anna erklärte: „Jetzt werde ich schlendern, denn wir haben lange Zeit, unser Zug geht erst vor zehn Uhr von Dirnbach weg." Sie schlenderte also. Ich ging ihr sogar etwas zu schnell. Als sie im besten Schlendern begriffen war, kehrte der Regen wieder. Wir hatten bereits unsere Mäntel übergeworfen und sie meinte: „Mehr als nass werden kann ich nicht. Ich geh noch nicht schneller!" Was blieb mir anderes übrig, als ebenfalls noch nicht schneller zu gehen?! Als wir aber mitten im Wald waren, brach ein fürchterlicher Regen herein, Blitze zuckten, Donner rollten u.s.w. Wir gingen fürbass, was hätten wir anderes tun können — es war weit und breit kein Haus — nur ans „Schlendern" dachte Anna nicht mehr, sie kämpfte sich wie ich mit möglichst raschen Schritten vorwärts. Das Wetter stellte sich derart an, dass wir nicht einmal bei den am Wege liegenden Gasthäusern zukehrten, sondern mit dem Mute und der Gleichgültigkeit der Verzweiflung rastlos auf unser Ziel lossteuerten. Der Regen schien ohne Ende, was hätte es uns genützt, ihn abwarten zu wollen?! Wie die sogenannten „getauften Mäuse" landeten wir aus den Wassern im Gasthof „zur Post" in Dirnbach-Stoder. Unsere Laune war grau wie der Regen, der durch die schwarze Nacht rauschte. Das Zimmer, das uns aufnahm, war giftgrün gemalt — uns aber erschien es ein goldener, rettender Ort. Die barmherzige Kellnerin nahm unsere Mäntel in die Küche, um sie doch ein wenig zu übertrocknen. Wir nahmen nur einen kleinen Imbiss, denn der Ärger raubte uns den Appetit. Um halb zehn Uhr wankten wir zur Bahnstation. Es folgte eine scheußliche Fahrt. Die nassen Kleider nahmen uns alle Wärme, dennoch schlummerten wir — und, was noch wundernswerter ist, keine von uns erkältete sich!
Mit einem gesunden Schlafbedürfnis langten wir in Linz an. Unsere Alpenblumen hatten wir tadellos heimgebracht, da wir ihre Stengel sorgsam mit feuchtem Moos umwickelt hatten. Am nächsten Tag war ich im Gesicht rot wie ein gekochter Krebs, meiner Freundin als Brünette war die Haut nicht so angegriffen worden. Mir machte jedoch mein feuriges Aussehen wenig, war es doch der Beweis, dass ich wirklich eine große Tour hinter mir hatte. Lächelnd trug ich mein Morgenrot rotes Antlitz unter die Menschen. Und war diese Partie auch eine „aussichtslose" und haben uns Regen und Nebel dabei weidlich schikaniert, „unseren Priel" haben wir doch gemacht und es hat uns sehr gefreut, es war sehr schön!


Prielschutzhaus

Touren von Georg Auer

Dienstag, 6. Oktober 2020

Kirtag in Hinterstoder am 6.10.2020









                                                                 Fotos: Traude Schachner