Freitag, 28. Mai 2021
Der Lugwertl
Freitag, 21. Mai 2021
„Fuchseisen im Wald“
Karl Heinrich Waggerl ist bekannt für seine wunderschönen Adventgeschichten. In der Oberdonau-Zeitung vom 30. Jänner 1944 schrieb er mit der Erzählung „Fuchseisen im Wald“ eine gänzlich andere, sehr spannende Geschichte. Der Artikel wurde gekürzt und angepasst.
"Das Haus liegt hoch im Gebirge, vom Wald umklammert, vom Eis der Berge überschattet. Simon ist schon seit Stunden unterwegs, den Berg hinauf. So viel hat er aber auch noch nie zu tragen gehabt. Er wandert wie ein Turm, wie ein schwankendes Gebäude dahin — das merkwürdigste aber ist, dass eine Kuh vor ihm hergeht. Auf halbem Wege findet Simon eine trockene Blöße im Wald, dort will er die Nacht über bleiben. Die Kuh ist schon sehr abgetrieben, sie frißt ein wenig von dem fetten Gras, aber dann legt sie sich hin. Bald schläft auch der Mann. Gegen Morgen erwacht Simon. Ein Stein rollt unten auf dem Weg. Er geht unter die Bäume, vielleicht hat die Kuh sich losgerissen. Aber die Kuh war das nicht, sie liegt im Moos und schläft. Simon bleibt stehen und horcht, alles ist still. Im grauenden Morgen geht Simon weiter und zugleich mit der Sonne ist er bei seinem Haus.
Die Frau ist vergnügt. Es war einsam da heroben in diesen drei Tagen, darum ist sie wohl jetzt so guter Dinge. Simon sitzt in Hemdärmeln hinter dem Tisch, es ist warm und hell in der Stube. Da liegt etwas auf dem Boden. Simon hebt es auf. „Was hast du?“, fragt die Frau schnell. „Nichts. Einen Schuhnagel. Einen rundköpfigen Nagel, wie man sie am leichteren Schuhwerk trägt, wie es der Müller trägt.“
Am folgenden Tag nimmt Simon Pulver und Zündschnur mit sich, er will die alten Wurzelstöcke aus dem Boden sprengen. Das währt lange, der Mann bohrt ein Loch schräg in den Stumpf und schüttet Pulver hinein. Dann steckt er ein Stück von der Zündschnur in die Sprengkapsel, drückt sie zwischen den Zähnen ein wenig zusammen und wenn er alles richtig in das Bohrloch geschoben hat, verstopft er die Öffnung und zündet an. Er geht langsam weg, ein kleines Stück in den Wald, dort stellt er sich hinter einen Baum. Feuer fährt aus dem Stock, Rauch und Erde wirbeln in der Luft. Simon findet eine flache Mulde, es liegen Holzsplitter herum, und Wurzeln ringeln sich wie Schlangen aus der Erde. Er gräbt sie heraus und ebnet den Platz.
Ein paar Tage später steht Simon im alten Bachbett. Er will es mit Steinen ausfüllen. Da sieht er unten einen Mann aus dem Wald treten. Es kommt selten ein Gast da herauf in die Einöde, aber es ist der Müller. Simon geht ihm nicht entgegen. Er gräbt bis zum Abend weiter, dann endlich ruft ihn die Frau. Es Ist niemand in der Stube, aber warum hat Simon den Müller nicht gesehen, als er wegging? Simon setzt sich an den Tisch — liegt etwa wieder ein Schuhnagel auf dem Fußboden? Er tritt in die Schlafkammer, dann geht er rund um das Haus, er steigt auf den Heuboden und auch noch ein Stück gegen den Wald hinauf — seht ihr wohl, da läuft eine frische Spur im Gras.
Am nächsten Tag geht Simon hinunter ins Dorf. Er braucht etwas. Eine Fuchsfalle. Eine starke, große Falle, die man fest im Boden verankern kann — Füchse sind zäh in der Einöde. Simon versucht jede der Reihe nach, spannt sie und lässt die Bügel an einem Stück Holz zusammenschlagen. Die am schwersten ist und am engsten schließt, die nimmt er. Als der erste Schnee fällt, fährt Simon auf seinem Schlitten Holz ins Dorf. Und als er wieder heimkommt, sieht er, da läuft wieder eine Spur, diesmal durch den Schnee, in den Wald hinein!
Die Tage gehen hin, Wind, Nebel und schneidender Frost, es ist ein harter Winter. Hasenspuren laufen über die Halde, Füchse bellen in der Nacht vor dem Haus. Simon wandert über den gefrorenen Schnee, er geht und wandert über sein Land, finster und einsam, eine Last liegt auf seinen Schultern. Schlimm ist, dass der Winter im Gebirge so lange währt. Schlimm ist auch, dass Simon keine rechte Arbeit hat. Er schiebt eine Axt unter den Rock und geht in den Wald, um Bäume anzuschlagen für das kommende Frühjahr. Aber er geht nicht weit, oben auf der Halde kehrt er zurück und plötzlich läuft er auf das Haus zu und stößt die Tür auf. Die Frau steht in der Stube, sie wäscht ihre Milcheimer. „Ist Jemand dagewesen?“ „Niemand, nein.“ Simon geht wieder. Er geht mit einem Sack und einer Schaufel auf der Schulter fort, ein Stück hinter dem Haus in die Halde hinauf, bis er auf eine alte Spur trifft, die vom Stall weg in den Wald führt. Er geht dieser Spur nach, sie ist hart und trägt ihn mit seiner Last. Jetzt schlüpft er unter die Fichten, sieht sich um und findet wieder den fremden Tritt im Schnee zwischen den Stämmen. Er geht weiter und weiter, dann wendet sich die Spur und läuft gegen den Bach hinunter. Hier bleibt Simon stehen und wirft den Sack auf den Boden. Er hat einen bequemen Weg durch den Wald gefunden, wenn er da graben will. Der Mann schaufelt den Schnee weg und fängt an, die gefrorene Erde aufzubrechen. Er schindet sich und schnauft, denn der Boden ist mit Wurzeln durchflochten und hart wie ein Fels. Er will die Fuchsfalle aufstellen. Simon gräbt und schaufelt, aber wenn er das Eisen so tief in die Erde versenkt, wird der Mann nicht viel Glück damit haben. Das müsste ein seltsamer Fuchs sein, der so dumm wäre, sich da mitten in diese Grube zu setzen. Es gibt wenig Leute, die es verstehen, ein Schlageisen gut aufzurichten, Simon versteht es jedenfalls nicht. Er arbeitet lange Zeit, es dämmert schon, immer noch gräbt er ein wenig, schiebt Steine unter die Falle, spannt eine Kette straffer an und legt neues Reisig über die Grube. Dann ist der Mann fertig. Er nickt, nimmt seinen Sack, eine Schaufel und geht.
Alles ist gut und richtig gemacht, aber es wird doch kein Fuchs in diese Falle gehen, denn Simon hat das Wichtigste vergessen: Er hat keinen Köder auf das Eisen gelegt . . . Schnee steht am Himmel, das ist gut, er wird das Eisen zudecken. Aber die Spur wird er nicht zudecken, die Spur ist alt und tief gefroren. In der Dämmerung kommt Simon auf die Halde zurück, er geht oben am Rand des Waldes entlang und ein Stück in das Holz hinein. Dort ist eine ebene Stelle, ein trockener Fleck unter dem Felsen. Simon hat Äste abgehauen und sich einen Platz zum Sitzen eingerichtet. Ja, er ist wohl schon so trübsinnig und verdrossen, dass er sich im Wald verkriecht wie ein Tier. Einen Abend um den anderen sitzt er dort, krumm ist sein Rücken, schwer ist sein Herz . . . Jetzt steigt der Mond über dem Walde auf, es wird hell zwischen den Stämmen, der Schnee ist mit seltsamen Schatten gezeichnet. Simon richtet sich auf. Man hört etwas unten im Wald, einen kurzen Laut, einen Schlag wie in weiches Holz. Und dann schreit jemand. . . Es ist ein hoher, furchtbarer Schrei, der sofort erstickt, wieder kommt, sich lange hinzieht und stirbt. Ja, das ist ein Mensch, ein Mann, der so schreit. Simon steht auf. Oh, er hört die Stimme, die aus dieser schwarzen Grube kommt sie die er gegraben und er kennt diese Stimme, er kennt sie gut. Jetzt löst sich Simon aus dem Schatten — jetzt geht er wohl hin und reißt das Eisen auseinander? Das hätte er längst tun müssen; trägt er kein Herz im Leibe? Nein, Simon geht nicht hin. Schritt für Schritt geht er langsam fort aus dem Wald.
Die Frau ist noch wach. „Wo warst du so lange?“, sagt sie. Simon schaut sie an. „Schweig“, sagt er, „geh schlafen.“ Er setzt sich auf die Bank und legt seine Arme weit über den Tisch. So sitzt er lange da, sein Gesicht ist fahl, Schweiß glänzt auf seinen Schläfen. Nach einer Weile steht er auf, öffnet die Tür und horcht: Nichts, Stille, weißes Mondlicht über der Halde. Er geht in die Schlafkammer. „Frau“, sagt er, „höre, Frau wo hast du dein Gebetbuch?“ „In der Stube, ja, auf dem Brett, was willst du damit?“ „Höre, Frau, du sagst, es steht alles darin, alles, was ein Mensch braucht in seiner Not? Auch in der Sterbestunde, sagst du? Wenn ein Mensch stirbt?“ „Ja, vielleicht auch das. Aber, mein Gott, was ist es mit dir?“ „Bring mir das Buch, Frau!“ Im Morgengrauen fährt die Frau aus dem Schlaf. Man hört etwas vor der Tür, es kratzt jemand an der Wand, sind die Füchse schon so kühn geworden? Sie steht auf und geht hinaus — schreit wie von Sinnen. Der Müller liegt vor der Tür. Sie versucht, den schweren Mann hereinzuziehen, er richtet sich ein wenig auf und kriecht über die Schwelle. Sein rechtes Bein ist furchtbar angeschwollen. Simon kommt aus der Schlafkammer, dort lehnt er sich an die Tür und schaut zu. Die Frau zerschneidet eben das Stiefelleder. Er betrachtet den Müller, diesen Wurm, der da auf dem Boden liegt und sich windet, lange betrachtet er ihn. Er ist die ganze Nacht wach geblieben, Stunde um Stunde, er hat in dem Buch gelesen, unzählige Male las er dieses „Erbarme dich unser“. Sein Hass ist welk geworden — wochenlang wuchs er, fraß das Hirn des Mannes, fraß das Herz aus, jetzt ist er satt. Leer ist Simon, ein Stein liegt auf seiner Brust. Der Müller wendet den Kopf und sieht ihn an, da geht Simon hin und hebt ihn vom Boden auf. Ja, er trägt den Müller in die Kammer und legt ihn auf das Bett. „Simon“ sagt die Frau und weint laut, „verzeihe mir, Simon, denke nicht schlecht.“ „Laß es gut sein“, sagt Simon, „ich trage dir nichts nach. Geh hinein zu ihm!" Der Müller stirbt nicht Er wird auch nicht sterben. Er trinkt heiße Milch, eine Weile jammert er noch vor sich hin, aber dann schläft er ein.
Gegen Abend legt Simon Bretter auf seinen Schlitten, Stroh und Decken. Er trägt den Müller heraus und packt ihn warm in die Streu, dann bindet er ihn fest und zieht davon mit seiner seltsamen Last, hinunter ins Dorf".
Freitag, 14. Mai 2021
Wenn Herr Biedermann auf Reisen ging.
Freitag, 7. Mai 2021
Das Leben Mutter Reginas
"Ja, die Mutter! Sie ist ein wenig redselig geworden mit den Jahren, sie liebt es, Geräusch zu machen und einen kleinen Seufzer an alles zu hängen, was sie tut. Ihr Reich, das ist die Küche und der Keller, das ganze Haus, Garten und Stall. Es fehlt ihr an nichts; sie hat Wolle und Flachs, Schmalz und Mehl, Käse und Milch das ganze Jahr. Aber sie ist nicht wie der Vater. Wenn sie nein sagt, so heißt es nicht immer nein. Regina ist tüchtig und klug, daran fehlt nichts, allein sie jammert gern ein wenig, es ist ihr nicht unlieb, wenn der Mann den Berg Wäsche sehen kann, der morgen gewaschen werden soll.
„Wenn ich mir nur etwas ausdenken könnte“, sagt sie, „dass ich das Wasser für den Kessel gleich hier in der Küche hätte — ein Fass vielleicht, ein größeres Schaff auf Rädern. Da muss Peter lachen. Jawohl, er und der Vater sehen sich an und schmunzeln ein bisschen. Am nächsten Tag nagelt Peter eine Rinne zusammen, nun fließt tatsächlich Wasser durch das Fenster in den Kessel. Was aber das Schönste ist, Regina braucht nur an einer Schnur zu ziehen, dann kommt viel oder wenig Wasser aus dieser Rinne, wie sie es gerade nötig hat. „Willst du etwa auch heißes Wasser haben?“ sagt er. „Ach — heißes Wasser?“ „Ja, dann könnte ich vielleicht ein Feuer unter dem Brunnentrog anzünden“, meint Peter sehr ernsthaft, und Regina braucht eine ganze Weile, bis sie merkt, dass er sie nur zum Narren hält mit seinem geheizten Brunnentrog.
So ist es mit der Mutter. Man tut ihr manches zuliebe, auch der Mann zieht geduldig seine Schuhe vor der Türe aus, wenn der Boden gescheuert ist. Aber zuweilen hat man doch auch seinen Spaß mit ihr.