Der Lehrer August Schachner, mein Vater, war 30 Jahre Lehrer an der Volksschule Hinterstoder. Als er 1996 starb, fanden wir in seiner Schreibtischschublade einige alte Schüleraufsätze. Bestimmt hat er sie deshalb aufbewahrt, weil sie ihn besonders beeindruckt haben. Der Aufsatz des Schülers Helmut H., der mittlerweile leider verstorben ist, lässt die Schulzeit der heute ca. 70 jährigen, nachempfinden.
ICH SOLL MICH BEHERRSCHEN
Es war am 22. Juni 1955. Wir bekamen einen Film mit dem Thema „Hausbau“ zu sehen. Gleich anschließend war Suppenausspeisung. Es gab eine ABC-Suppe mit Fleisch. Die 1. Klasse war als erste daran. Dann kamen wir, die 4. Klasse. Wahrscheinlich hatte Herr Tannenbauer, unser Schulwart, einen Moment keine Zeit, weil Dietlinde P. zum Austeilen der Suppe kam. Jeder bekam seine Suppe und nachher seine Semmel. Da war ich an der Reihe. Auf dem Schöpflöffel war eine Suppe und ein Fleisch. Die Suppe wurde in die Schüssel geschüttet, doch das Fleisch nicht. Es kam wieder in den Ausschöpfeimer zurück. Ich fragte Dietlinde, ob ich ein Fleisch erhalte oder nicht. Sie schüttelte den Kopf. „Nein“, war die Antwort. Ich dachte mir: „Auch recht“ und nahm meine Semmel. Ich sagte zwar: „Das ist auch gemein“, doch machte ich mir weiters darum keine Sorgen. Ich ging zurück und setzte mich neben Hubert, Siegfried und Willi in eine Bank. Wir aßen die Suppe aus. Dietlinde war inzwischen auch mit ihrer Suppe gekommen und setzte sich in die andere Bankreihe, denn drüben sitzen die Mädchen und herüben die Knaben. Hubert holte sich noch eine Suppe. Er kam lächelnd zu mir und sprach: „Jetzt musst du dir eine Suppe holen, denn jetzt ist viel Fleisch darin“. Er zeigte mir seinen Anteil. Er hatte wirklich eine beträchtliche Menge Fleisch in der Schüssel. Ich gehorchte also diesem Rat und ging hervor. Herr Tannenbauer gab mir noch eine Suppe. Ich durchsuchte den Inhalt auf das Kleinste, doch es war kein Fleisch zu finden. Jetzt, da es abermals das gleiche war, ärgerte ich mich schnell ein wenig und sagte zu meinen Kameraden: „ Jetzt seht her, da ist schon wieder keine Faser Fleisch zu finden“. Sie bestätigten meine Durchsage mit einem Kopfnicken. In dem Moment schaute Dietlinde herüber und lachte mich schadenfroh, heimtückisch und hinterlistig an. Da packte mich die Wut, die sehr selten bei mir vorkommt. Ich ging zu ihr hin und – ich weiß nicht – gab ihr eine Ohrfeige. Es war jene, die man mehr als „Tapperl“ bezeichnet, doch sie fing fürchterlich ins Weinen an und schwor mir, alles Herrn Oberlehrer zu erzählen. Mir war in diesem Augenblick alles egal. Dann jedoch dachte ich mir schon, dass mir etwas bevorstehe. Ich ließ mir meine Schüssel abwaschen und ging hinter Dietlinde hinauf, die mir herzzerbrechend weinend schon voraus gelaufen war um Herrn Oberlehrer ihren Schmerz vorzubringen. Ich sah sie mit anderen Schülern vor Herrn Oberlehrer. In diesem Augenblick hätte ich sie mit dem Namen, den man zuweilen „Schörgerl“ nennt, belohnen wollen. Ich kam aber nicht dazu, denn eben schaute sich Herr Oberlehrer um und erblickte mich. Er rief mich. Als ich neben ihm stand, sprach er: „Du musst dableiben bis 3 Uhr und einen Aufsatz schreiben. Geh hinein in die Klasse, die anderen treten einstweilen hier an“. Nach ein paar Minuten hörte ich von unten Herrn Oberlehrer rufen: „Komm herunter“. Die Schritte meiner Schulkameraden verklangen im Hausflur.
Nach einer Zeit kam Herr Oberlehrer herein, gab mir diesen Zettel, und sprach: „Den Aufsatz zeigst du dann Herrn Tannenbauer. Wenn du mir gemeldet hättest, dass sie dich ausgelacht hat, so hätte sie den Aufsatz schreiben müssen, nicht du. Niemand darf einen anderen schlagen“. Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Mich erfasste der Schreck, als ich den Zettel sah, denn in diesem Ausmaß hatte ich ihn noch nie bekommen. Doch ich begann die schwierige Arbeit. Ich hatte bereits ein paar Seiten geschrieben, als ich Herrn Tannenbauers Stimme erschallen hörte. Er kam herein und sprach: „Schreibe schön, denn ich habe den Auftrag, den Zettel zu zerreißen, wenn du schlecht schreibst“. Ich konnte in diesem Augenblick nicht sprechen, als er mir die Hand auf die Schulter legte und sagte: „Du Dickkopf!“
Ich schrieb, schrieb und schreibe auch jetzt noch. Die Glocke läutete 11 Uhr. Die Mädchen haben aus. Das verdoppelte meine Hast. Adelheid und ihre Freundin besuchten mich auch. Auch von Handarbeitslehrerin Frau Moser erhielt ich einen Besuch. Sie gab mir ein paar gute Worte.
Und jetzt ist alles wieder vorbei, denn der Aufsatz ist mit einigen Schwierigkeiten überwunden.
Darum merke dir: „Benimm dich in der Schule anständig und beherrsche dich!“
Lehrer August Schachner mit seiner Klasse 1953 |
Klasse 1955 |
Schulausflug nach Alt Pernstein 1955 |
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