In Zeitungen wird heute genauso wie früher, viel
ausführlicher über Gräueltaten als über gute, positive Ereignisse berichtet.
Deshalb sind leider schreckliche Dinge besser dokumentiert als gute Geschichten. So auch dieses Verbrechen.
Die Kronenzeitung berichtet am 15. August 1933 von einem
sensationellen Kriminalfall in Spital am Pyhrn:
"Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird in den nächsten
Tagen ein entsetzliches Verbrechen
aufgeklärt und gesühnt werden können, das 1916 also vor siebzehn Jahren
begangen wurde.
Ein armer Schwachsinniger, der noch dazu vor der Tat
betrunken gemacht wurde, ist das Opfer.
Die Täter befinden sich in Haft, es fehlt nur noch ein
"Kleines" um sie vollends zu überführen. Einer von ihnen -
zumindest ist er Mitwisser und Mitschuldiger - war der Dienstgeber des Opfers. Und
das Motiv lag in einer Polizze. Es handelt sich um einen Versicherungsmord.
Tausend Kronen waren der Betrag, um dessen Willen hier ein Menschenleben
vernichtet wurde. Die Mörder aber haben ihre Beute nie bekommen.
Der Tote in der Klamm
In der Vorkriegszeit wurden auf dem Moltersberg bei Spital
am Pyhrn, der zur Klamm abfällt, große Flächen Wald geschlägert. Mittels einer
Riese wurden die Bäume zu Tal befördert, mancher Stamm fiel heraus und landete
in der Klamm.
Der Arbeiter Peter Schwingenschuh lebte seit Jahren von
diesen Stämmen, die er herausfischte. Er ist übrigens vor kurzem gestorben und
kann also jetzt keine Aussage mehr machen, was in der sensationellen Kriminalaffäre
noch von großer Bedeutung wurde. Kurz vor seinem Tod machte Schwingenschuh
einen grausigen Fund.
An einer fast unzugänglichen Stelle, wo die Felsen steil und
spitz gegen den Himmel ragen, entdeckte er ein menschliches Skelett. Weiß
bleichten die Knochen in der Sonne.
Durch einen Schuh agnosziert.
Schwingenschuh machte die Anzeige. Gendarmen kamen, besahen
sich den grausigen Fund und suchten weiter. Sie fanden mehr als der Arbeiter.
Unweit der Stelle an der das Skelett entdeckt worden war, lag ein alter Schuh.
Man sah ihm an, dass er lange Zeit dagelegen haben mochte. Doch als man ihn näher
untersuchte und die Einwohner der Umgebung zusammenrief, um ihn zu besehen, da
stellte sich bald eine sensationelle Tatsache heraus: Der Schuh hatte
unzweifelhaft einmal dem schwachsinnigen Knecht Josef Haidhauser gehört.
Haidhauser war im Jahre 1916, als er 32 Jahre zählte,
spurlos verschwunden.
Die Gendarmerie vermutete nun, dass der Knecht bei einem
Weg, den er für seinen Dienstgeber machte, in ein Unwetter geraten sei, dabei
den schmalen Saumpfad verfehlt habe und abstürzte. An ein Verbrechen dachte
zunächst kein Mensch. Wer sollte auch einem Schwachsinnigen etwas zuleide tun?
Und Geld und Gut war bei dem armen Knecht sicherlich nicht zu holen.
Mordgeständnis im Rausch
Da kam die sensationelle Wendung: Der 70 jährige
Korbflechter Josef Harbacher aus Spital am Pyhrn trank bei einem Bauern einige Gläser
Most. Dieser Most machte ihn sehr gesprächig und auf einmal begann er seltsame
Reden zu führen, die den Bauern aufhorchen ließen. "I hab schon an
umbracht!" prahlte der Korbflechter. "I kann s´ ruhig sagen. Mir kann
ja jetzt nix mehr geschehen, es ist schon viel zu lang her!"
Einen Tag später musste Harbacher sehen, dass es noch lange nicht
zu spät war, um ein Verbrechen zu sühnen. Da saß er bereits in Haft.
Zunächst gestand er, im Jahre 1916 in der Vogelgesangklamm
einen Mord begangen zu haben. Auch bei Gericht gab er vorerst sein Verbrechen
zu, später aber verlegte er sich plötzlich aufs Leugnen.
In den Verhören versuchte es Harbacher jetzt mit folgender
Geschichte: Damals im Sechzehnerjahr sei ein Wanderbursche zu ihm gekommen
der nur gebrochen Deutsch sprach und habe ein Glas Milch verlangt. Harbacher habe es
ihm gereicht und während dessen sei der Fremde mit des Korbflechters zufällig
anwesendem Freund Johann Brendtner und mit ihm
selbst in einen Wortwechsel gekommen, der in eine Rauferei ausartete.
Schließlich sei ihm der Wanderbursche an die Gurgel gesprungen. Um dem Freund
zu helfen habe Brendtner ein Korbflechtermesser ergriffen und damit in Notwehr den
Fremden erstochen. Sie hätten dann die Leiche ausbluten lassen und in die Klamm
geworfen. Harbacher der sich zunächst in Windischgarsten befunden hatte, kam jetzt
nach Steyr in das Gefängnis des dortigen Gerichtes. Von dort richtete er zwei
"G`sieberl" (geheime geschmuggelte Botschaften) an die Aussenwelt. Der eine der Schmuggelbriefe war an Brendtner gerichtet, der andere an einen gewissen Mittermayer, dem damaligen Dienstgeber des
verschwundenen Knechtes Haidhauser. Die Schmuggelbriefe aber, die übrigens den
gleichen Inhalt hatten, enthielten die Aufforderung Zeugen zu suchen und zwar
im beiderseitigem Interesse. Sonst würden auch sie verhaftet werden.
Tod um 1000 Kronen
Die G´sieberln wurden erwischt. Die Folge war, dass auch die
Adressaten in Haft genommen wurden. Die drei leugneten unentwegt weiter,
dennoch aber sind die Behörden überzeugt, sie in den nächsten Tagen völlig
ihres entsetzlichen Verbrechens überführen zu können.
Die von Harbacher aufgetischte Geschichte ist natürlich völlig
unglaubwürdig. Außerdem kann sich niemand erinnern im Jahr 1916 einen fremden
Wanderburschen in der Gegend gesehen zu haben. Nach den behördlichen
Erhebungen, die - wie man hofft - in
kürzester Zeit auch zu einem Geständnis der Verhafteten führen werden, liegt
vielmehr folgender Tatbestand vor:
Nachdem der schwachsinnige Haidhauser bei seinem Dienstgeber
betrunken gemacht worden war, wurde er um neuen Most geschickt.
Auf dem Heimweg wurde der Knecht dann entweder von Harbacher allein
oder aber zusammen mit Brendtner und Mittermayer überfallen, getötet und in den Abgrund
geworfen.
Und das Motiv: Mittermayer, der Dienstgeber des Schwachsinnigen und
zweifellos der Anstifter des Verbrechens, hatte kurz vorher eine Versicherung
auf das Leben seines Knechtes über 1000 Kronen abgeschlossen.
Er suchte auch bald nach dessen Verschwinden das Geld
einzukassieren, wurde aber vorerst abgewiesen, weil er noch keine
Todeserklärung beibringen konnte. In der Inflationszeit, als die Polizze, um
derentwillen das Verbrechen begangen worden war, wertlos zu werden drohte, hat
er das Papier dann bei Gericht deponiert, wo es sich noch heute befindet und
ein wichtiges Indiz bildet. Die oberösterreichischen Behörden hoffen - wie
gesagt - dass ihnen die Überführung der Verbrecher in den nächsten Tagen
gelingen wird und so die furchtbare Bluttat nach 17 Jahren endlich ihre Sühne finden
kann".
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Vogelgesangklamm |