Die Oberdonau–Zeitung vom 8. Jänner 1943 berichtet von der „Rockerroas“ (Zusammensitzen der Mägde und ledigen Mädchen an den Winterabenden) und anderen Bräuchen im Norden von Oberösterreich und im Böhmerwald. Diese bäuerlichen Bräuche gab es aber auch im Süden, im Stodertal. Deshalb sei es gestattet, diesen Artikel von S. Droste-Hülshoff aus dem Jahr 1943 zu übernehmen. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.
Nahe der ehemaligen Grenze zwischen der Tschechei und Oberösterreich liegt am Fuße des Viehberges das Dorf Windhag. Man wüßte in der weiten Welt kaum viel von diesem kleinen Ort in den Ausläufern des Böhmerwaldes, wenn nicht ein großer deutscher Meister einige Zeit dort zugebracht hätte.Anton Bruckner weilte in den 1840er Jahren des vorvorigen Jahrhunderts als Gehilfe des damaligen Schulmeisters Fuchs in Windhag und musste für einen Jahresgehalt von ganzen zwölf Gulden (ca.160€) nicht nur Schulunterricht erteilen, sondern auch als Organist und Mesner amtieren, sowie in der Landwirtschaft tüchtig mithelfen.
War an den Winterabenden die Arbeit getan, ging es zum „Tanzl-Geigen“. Die Mädchen des Ortes wanderten ein- oder zweimal wöchentlich in die „Rockenstuben" (Spinnstuben) zu den einzelnen Bauernhöfen zum gemeinsamen Spinnen. Auch die Burschen stellten sich ein und brachten stets ein paar Musikanten, meist zwei Geiger und einen Trompeter mit. Diese verkürzten den Mädchen die Arbeit durch allerlei Volkslieder, die mitgesungen wurden.
Wenn der Flachs abgesponnen war und die Spinnräder beiseite gestellt werden durften, klangen lustige Ländler und Walzer durch die niederen Bauernstuben und Burschen und Mädel drehten sich halbe Nächte hindurch im Tanz.
Die „Rockengeiger“ wurden ebenso wie die anderen Gäste der Rockenstuben von den Bäuerinnen mit Most und Krapfen bewirtet und erhielten überdies für ihr Spiel je drei Zehner als Lohn.
Anton Bruckner hat nach seinen eigenen Erzählungen in seiner Windhager Zeit viele Nächte hindurch mit seinen Freunden den Webern Franz und Josef Sücka und dem Müller Jobst als „Rockengeiger“ in den Spinnstuben zum Tanz aufgespielt.
Früher war das Wolle- oder Flachsspinnen in ganz Oberösterreich allgemein üblich. Überall klapperten damals in den niederen Waldlerhütten auch noch die
Webstühle der Handweber, die das über Winter gesponnene Garn zu Leinwand verarbeiteten. In den letzten Jahrzehnten sind wohl viele Spindeln in die Rumpelkammern gewandert. Doch bauen die Bauern noch immer viel Flachs an und in den einsamen Gehöften tief im schneeverwehten Waldland surren und sausen die Rädchen unter den Händen der fleißigen Spinnerinnen.
Der sauber gehechelte Flachs wird in breite, silbrig schimmernde Zöpfe geflochten und in den buntbemalten Bauernkästen aufbewahrt bis das Ende der Feldarbeit Zeit zum Sitzen in der warmen Stube und das Spinnen gewährt.
Allerhand uralte Bräuche sind heute noch mit der Arbeit am Spinnrad verbunden. Schon die kleinen Mädchen werden zum Spinnen angehalten.
Sie lernen es oft eher als das Stricken, das Lesen oder gar das Schreiben.
Das allererste Garn, das die Kleinen fertigen, legt man vor das Fenster. „Der
Geier“, in manchen Gegenden auch ,“d’ Frau Berscht“ — wohl eine Abwandlung
der Frau Holle — begutachtet die Arbeit, trägt sie fort, wenn sie einigermaßen
geraten ist, legt sie dafür kleine Belohnungen in Gestalt von Süßigkeiten oder
Äpfeln auf das Fensterbrett, die von den Kindern am Morgen jubelnd in Empfang genommen werden. Sobald die Finger der kleinen Spinnerinnen halbwegs gleichmäßig grobe Fäden zustande bringen, sammelt man das Garn sorgfältig und lässt ein
Sätuch daraus weben. Nach altem Volksglauben soll nämlich das Korn, das man aus solchen Tüchern von Kinderhand aussät, gesegnet sein und besonders gut gedeihen.
Die winterliche Spinnarbeit beginnt in den Dörfem meist um Martini.
(11. November). Die ledigen Bauernmädchen und die jungen Mägde binden das erste Flachsbüschel mit bunten Bändern an den Rocken, spinnen es sogleich an und gucken dabei neugierig zur Stubentür. Die erste Person, die nach dem "Anspinnen" zur Tür hereintritt, ist von Bedeutung für künftige Heiratsaussichten.
Ein alter Spruch lautet: "Heut spinn i den Rocken an, wer z’erscht reingeht, werd mei Mann.“ Die besten Heiratskünder sind natürlich ledige Burschen. Auch verheiratete Männer deuten auf baldige Ehe. Betritt jedoch eine Frauensperson die Stube, so betrachtet man dies als ein Zeichen, dass die betreffende Spinnerin im kommenden Jahre noch nicht auf den Hochzeiter rechnen kann. Man spinnt an allen Tagen der Woche, so oft man Zeit dazu findet, nur nicht an Samstagen und Sonntagen. Alte Bauernsprüche warnen: „Wer am Freitag singt,
am Samstag spinnt, am Sonntag sauft, hat den Himmel verkauft!“ Oder: „Wer am Sonntag spinnt, spinnt sich sein Totenhemd.“ In manchen Gebieten vermeidet man auch, im Dunkeln zu spinnen. Wenigstens eine Kerze oder das Feuer in der offenen Ofentür soll zur Arbeit leuchten, sonst zieht es die Hexen an und bringt Unheil und Krankheit.
Da und dort ist das „Strohsackin“ Brauch, ein gegenseitiges "Sichansingen" mit kleinen Trutzversen und Spottliedchen, die rasch aus dem Stegreif erfunden werden müssen. Wer die besten „G’sangl“ weiß, erhält kleine Preise, Apfel, gedörrte Zwetschken oder gar ein paar „Tabakkreuzer".
Auch alte Sagen und
Geistergeschichten werden beim „Hoagascht“ gern erzählt. Gerade das Bauernvolk in abgelegenen Gebieten besitzt einen noch wenig bekannten, schier unerschöpflichen Schatz an Märchen und uralten Geschichten die in den
Rockenstuben entstanden und von Generation zu Generation überliefert wurden.
Schließlich getrauten sie sich kaum mehr vor’s Haus und nehmen die von den Burschen eifrig angebotene Begleitung auf dem nächtlichen Heimweg gern an. Mancher tüchtige Märchenerzähler sucht solche Wirkung mit seinen Schauergeschichten absichtlich hervor zu rufen.
Um Lichtmeß wird der Tag länger: „Lichtmeß — ’s Spinnen vergeß!“ Die Arbeit im
Freien setzt wieder ein und die Spinnräder werden beiseite gestellt. Bis Lichtmeß, mitunter bis zur Fastnacht muss der letzte Flachszopf versponnen sein. Eine kleine Feier, die „Sengnacht“, beendet den letzten Spinnabend. Man sengt die letzten Flachsfasern mit einem brennenden Span vom Rocken ab und vergnügt
sich hernach bei einem guten Mahl, Musik und Tanz.
Übrigens mussten noch vor dem Weltkrieg im Böhmerwald wie im benachbarten Bayrischen Wald auch die Männer am Spinnrad arbeiten.
In den langen Wintern tobten oft derartige Schneestürme über die Waldberge, dass selbst die wetterharten Bauern oft wochenlang Haus und Hof nicht verlassen konnten.
Weil man aber früher für Knechte und Söhne daheim wenig Beschäftigung hatte, sie aber anderweitig auch nicht faulenzen lassen wollte, wiesen die Bäuerinnen allen männlichen Hausgenossen, ebenso wie Töchtern und Mägden, eine bestimmte Menge Flachs zu, die gesponnen werden musste.
Die Jugend wusste sich die langweilige Arbeit vergnüglicher zu gestalten.
Man packte eines Morgens gleich nach der Stallarbeit, wenn der Wintertag noch kaum heraufdämmerte, die Spinnräder auf Pferdeschlitten und fuhr unter lustigem Schellengeläut munter in ein Nachbardorf „zur Rockaroas“. In irgend einem bekannten Bauernhof wurde eingekehrt. Bald fanden sich auch Burschen und Mädchen des Dorfes mit ihren Spinnrädern ein. Zuerst wurde fleißig gesponnen. Gegen Abend kochte dann die Hausfrau ein gutes Essen, Musikanten kamen, man tanzte
bis spät in die Nacht und fuhr endlich singend wieder heimwärts. In den folgenden Tagen und Wochen ging die „Rockaroas“ in andere Ortschaften, deren Jungvolk bald dafür seinerseits mit Spinnrädern und klingenden Schlitten zum Gegenbesuch erschien.
Alt-Bauern, die in ihren Jugendtagen selbst noch von gestrengen Müttern hinter die Spinnräder gesetzt wurden, wissen noch viel von den Geistern und Hexen, von Schatzgräbern, von Zwergen und der „Drud“ und lustigen Spinnfahrten zu erzählen.
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