Freitag, 11. Juni 2021

Die Uhr ist stehen geblieben.

Der große Wiener Volksschauspieler Alexander Girardi (geb: 1850, gest. 1918) war, wie so mancher andere hervorragende Komiker, ein großer Hypochonder. Hörte er von einer Krankheit, so fragte er sich immer gleich bedrückt, ob er sie, wenn auch vorläufig noch versteckt, nicht ebenfalls habe.

Die Oberdonau-Zeitung vom 4.1.1943 berichtete darüber. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Eines Tages, während er gemächlich in Wien durch die Kärntner Straße nach dem Graben zu spazierte, traf Girardi einen seiner näheren Bekannten, einen Herrn Penkala. Dieser begrüßte ihn lebhaft, man bekomplimentierte (tauschte Komplimente aus) sich und ging zusammen weiter, wobei Girardi fragte: „Was gibt’s denn Neues?“ Penkala wiegte bedauernd den Kopf: „Neues gibt’s schon, aber nix Gutes. Wissen’s, Herr von Girardi, was gestern dem Hartlmeier passiert ist?“ Girardi schüttelte den Kopf: „Keine Ahnung! Was ist denn geschehen?“ „Also ein sehr trauriger Fall, das muss ich schon sagen. Da sieht man doch wieder, dass der Mensch ein Nichts ist. 

Der Hartlmeier sitzt also wie gewöhnlich nachmittags Im Kaffeehaus, spielt seinen Tarock und plaudert mit seinen Freunden und mit einem mal kommen ihm ihre Stimmen so gedämpft vor, werden immer leiser und der Hartlmeier sagt: „Was sprecht ihr denn so geheimnisvoll?“ Sie sehen ihn ganz verwundert an und sagen: „Wir reden doch wie sonst.“ Und da zieht er seine Uhr heraus, hält sie ans Ohr — und hört nichts mehr, keinen Ton. Taub ist er geworden.“

Girardi erbleichte und blieb stehen. „Was — was sagen Sie da?" Er griff hastig nach seiner Uhr, hielt sie ans Ohr, seine Augen wurden starr vor Schreck und er flüsterte: „Um Himmelswillen, ich hör nicht das Geringste!" Auch Penkala verlor die Fassung: „Sie hören nichts mehr? Zeigen`s mal die Uhr her! Er nahm sie dem bestürzten Künstler aus der Hand und sah auf das Zifferblatt, dann lächelte er: „Sie können auch nichts hören. Die geht ja gar nicht, die ist stehen geblieben!" „Stehen geblieben? Wirklich!" In Girardis Gesicht kam wieder Farbe. Penkala aber erklärte: „Sie, da können S' von Glück sagen, denn wenn die Uhr ginge — dann wären S’ jetzt taub!“                                                                                                      Alfred Semerau 

Der Girardi-Rostbraten

Girardi war einmal zu einem Essen mit Kaiser Franz Josrph bei der Schauspielerin Katharina Schratt in Bad Ischl eingeladen. Beim Zusammenstellen des Essens war die Schratt in der Zwickmühle. Girardi war als Gemüseliebhaber bekannt und der Kaiser hat am liebsten Rindfleisch gegessen. Da ist der Schratt die Idee gekommen und sie hat ihre Köchin angewiesen das Rindfleisch mit Gemüse zu garnieren so dass man vom Fleisch nur mehr wenig gesehen hat. Damit war der Girardi-Rostbraten erfunden, den es auch heute noch gibt. 

Girardi hatte nicht nur riesigen Erfolg, er musste auch dunkle Zeiten durchstehen. Das ist in Wikipedia nachzulesen.

Auf Alexander Girardi geht die Neurologie-Reform unter Kaiser Franz Joseph zurück.
Girardis erste Frau, Helene Odilon, wollte ihn entmündigen lassen. Der Arzt Josef Hoffmann (Arzt des Theaters an der Wien) stellte auf ihr Betreiben ein Attest aus, in dem er Girardi für geisteskrank erklärte. Im letzten Moment erfuhr Girardi von dieser Aktion und floh zu Katharina Schratt. Auf ihr Betreiben und das Einschalten des Burgtheaterarztes Staniek und des Gerichtspsychiaters Hinterstoißer wurde Girardi für „geistesgesund“ erklärt.
Nach einer anderen Darstellung dieses Ereignisses wurde Girardi vom berühmten Psychiater Julius Wagner Jauregg kurzfristig ohne Untersuchung in die Grazer Nervenheilanstalt eingewiesen. Girardis Ehefrau Helene hatte vor, den Schauspieler entmündigen zu lassen, weil sie ein Liebesverhältnis mit Albert von Rothschild, einem der reichsten Männer Europas hatte und Girardi sie störte. Dazu nutzte sie ihre Kontakte zu Wagner-Jauregg.

Der Schauspielerin Katharina Schratt, bekanntermaßen die „Freundin“ des Kaisers, gelang es durch ihre gesellschaftlichen Verbindungen, Girardi wieder aus der Heilanstalt herauszuholen. Deshalb entging Girardi zufällig seiner Einlieferung ins Irrenhaus.
Der Kaiser ordnet darauf hin an, dass nie wieder jemand per Ferngutachten in die Psychiatrie gesperrt werden dürfe.

Helene Odilon erlag im 74. Lebensjahr total verarmt 1939 einem Schlaganfall in Baden bei Wien.

Alexander Girardi

Helene Odilon

Alexander Girardi
 als Kaufmann, Abgeordneter und Richter



Girardi-Denkmal in Wien

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