Durch den frühen Bergtod seines Vaters, der 1946, 36 jährig in einem Schneesturm am Priel ums Leben kam übersiedelte seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder zu den Großeltern nach Steyr.
Herr Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen.
Weihnachten 1947
An das Fest dieses Jahres stellte ich keine Ansprüche Es schien auch so zu vergehen, wie die Abende vorher. Um halb acht Uhr ins Bett und aus …
Es kam dann doch etwas anders. Als es dunkel wurde, zauberte der Opa plötzlich einen kleinen Fichtenwipfel mit einer Höhe von etwa 40 cm hervor und sagte, dass ich ihn aufstellen und schön schmücken solle. Nach einer kurzen Diskussion mit der Oma kam das Bäumchen in einen Kochtopf aus Blech mit etwas Wasser am Boden. Die untersten Äste und der Rand des Topfes machten ihn stabil. So kam er auf der Abwasch zur Aufstellung.
Bei der Behängung mit Silberstreifen, sogenanntem Lametta, verfuhr ich äußerst großzügig, sodass die Oma meinte, man solle auch das Grün der Zweige noch gut sehen können. Kerzen für die Beleuchtung fand ich keine, nur ausgebrannte Halterungen aus vergangenen Jahren. Dennoch gab es etwas zum Aufhängen. Die Tante Herta stellte sich mit zehn Krachmandeln ein, die ich sorgsam in beiderseits ausgefranstes Papier wickelte. Das Aufhängen der Süßigkeiten bereitete mir Schwierigkeiten. Mit einer Schnur konnte ich leicht einen Knoten binden, mit dem dünnen weißen Zwirn brachte ich keinen zusammen.
Der Opa leistete zum Baum auch einen Beitrag. Er fertigte aus Karton einen fünfzackigen Stern an, bemalte ihn mit roter Farbe und heftete ihn an die Spitze des Baumes. Damals ist mir die Symbolik seines Tuns nicht bewusst geworden. Er wollte damit seinen Bruder Alois, der nach 12 Jahren im Exil aus der Sowjetunion aus Steyr zurückgekehrt war, ein wenig ärgern, weil dieser Weihnachten ablehnte und wie die Russen alle, nur dem „Väterchen Frost“ huldigte.
Ein Geschenk bekam ich auch. Es befand sich in einer kleinen Schachtel. Als ich sie öffnete, fiel eine Maus aus Metall in Lebensgröße mit einem Schlüssel zum Aufziehen heraus. Die Freude darüber verflog rasch, denn nach jedem Freilauf verkroch sich das Ding irgendwo unter einem Möbelstück und war nur unter Verwendung von Hilfsmitteln hervor zubringen.
Bei meinem nächsten Besuch in der Grillparzerstraße startete ich den Versuch, die Maus gegen die Puppe, die mein um drei Jahre jüngerer Bruder vom Christkind erhalten hatte, einzutauschen. Ohne Erfolg.
Aus purer Lust und Neugierde drang ich etwas später mit Opas Werkzeug in das Innenleben der Maus vor. Das tat ihr überhaupt nicht gut, denn plötzlich sprang sie in zwei Teile samt der Aufzugsfeder auseinander und segnete so für immer das Zeitliche.
Die Steyrtalbahn
Mit Ausnahme der beiden Schuljahre, die ich bei Oma und Opa in der Bahnhofstraße verbrachte, begleitete mich die Steyrtalbahn während meiner gesamten Pflichtschulzeit.
Sie bestand seit 1889 als Schmalspurbahn mit 760 mm Schienenbreite, fuhr ausschließlich im Dampfbetrieb und stellte die Verbindung der Ennstalbahn mit dem Ausgangspunkt Garsten mit der Kremstal-Phyrnbahn mit dem Endpunkt Klaus her. Seit 1985 wird die Strecke Steyr – Grünburg als Museumsbahn privat betrieben.
Die Schienen verliefen von Garsten kommend, über mehrere ungesicherte Kreuzungen zum Lokalbahnhof Steyr. Die leicht abfallende Trasse führte ca. 200 m nur durch einige Bäume, einen Bach und eine Wiese getrennt an unserem Wohnhaus vorbei.
Jeden Morgen erfüllte das mehrmalige Pfeifen der Lok beim Frühzug Richtung Grünburg die Funktion eines Weckers. Die Gegenzüge mussten ordentlich schnaufen, damit sie die Steigung bewältigen konnten. Besonders in der dunklen Jahreszeit sprühten dabei die Loks Funken und Dampf aus – ein herrliches Schauspiel.
Ältere Spielkameraden machten sich einen Spaß daraus, bei einem Güterzug gleich hinter dem Bahnhof auf einen der hinteren Waggons aufzuspringen und ein Stück bergauf Richtung Garsten mitzufahren. Es sollen auch ein paar Lausbuben im Herbst bei der Rübenkampagne die Schienen wenige Meter mit Schmierseife bestrichen haben, sodass sich die Räder der Lok durchdrehten. Der Zug rollte verkehrt in den Lokalbahnhof zurück. Erst als man einige Waggons abhängte, gelang der zweite Versuch. Die wahre Ursache dieser Betriebsstörung wurde nie bekannt.
Mit dem Opa hamstern
Dieser Begriff und die damit verbundene Tätigkeit sind heute völlig aus dem Gebrauch verschwunden. In den Nachkriegsjahren verstand man darunter den Tauschhandel von Wertsachen und Dienstleistungen gegen Lebensmittel bei den Bauern der näheren und weiteren Umgebung. Begehrte Objekte beim Hamstern waren: Eier, Butter, Rahm, Topfen, mitunter auch Milch, ein Stück Schweinernes oder Geselchtes. Auch Honig, Obst und Mehlspeisen zählten dazu. Das Hamstern lieferte Produkte des täglichen Bedarfes, die der öffentliche Markt nicht zu liefern imstande war.
Deshalb ging der Opa zu einigen Bauern hamstern, die er schon von seinen Wanderungen in das Ennstal in der Vorkriegszeit kannte. Manchmal war ich auch mit von der Partie, weil dabei für mich gelegentlich etwas abfiel. Zum Beispiel ein Butterbrot, ein Stück Kuchen oder im Herbst Zwetschken.
Einmal sagte eine Bäuerin zu mir: „Bua wüst a Kohramern “? (Kohramern: In der Früh aßen die Bauern das Koch. Es ist mit einem Grieß- oder Reisauflauf oder mit einem Sterz in der Steiermark vergleichbar. An den Rändern der Pfanne oder Rein bildeten sich Krusten, die „Ramer“ hießen). Ich schaute fragend zum Opa hinüber:
„Sag bittschön und glei danke, des is wos guads“, antwortete er. Bei einem anderen Bauern, den wir beim Hamstern aufsuchten, saßen Holzknechte am Tisch, denen die Hausfrau eine große Rein mit Hausmannskost vorsetzte. Zu denen sagte sie: „Essts bis enk d´Fettn vo da Pappn owa rinnt.“ Der Opa erzählte von diesem Zuspruch zu Hause und mokierte sich über die rüde Ausdrucksweise der Bäuerin.
Vom Stodertal her waren mir Dialektausdrücke unter anderem, wie „me denn“ statt „warum“ bekannt. Trotzdem verstand ich die Leute südlich von Steyr nicht immer und musste mir den Sinn des Gesprochenen zusammen reimen. Es fiel mir auch auf, dass die Landkinder gegenüber ihren Eltern eine andere Anrede benutzten und statt dem „Du“ ein abgewandeltes „Sie“ verwendeten. Sie sagten zum Beispiel: „Vater habt`s es“ oder „Mutter kinnt`s es“ oder „Kinnt`s enk erinnern“.
Auf dem Nachhauseweg nach dem Hamstern musste ich ca. 100 Meter vor dem Opa gehen und nach Gendarmen Ausschau halten, die unsere Habseligkeiten beschlagnahmen konnten. Zum Glück kam das nie vor, auch nicht, wenn der Opa alleine unterwegs bei seinen stundenlangen Sammelzügen war.