Durch den frühen Bergtod seines Vaters, der 1946, 36 jährig in einem Schneesturm am Priel ums Leben kam übersiedelte seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder zu den Großeltern nach Steyr.
Herr Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen.
Mein erster Wickel mit der Religion
Das Haus Steyr, Bahnhofstraße 14, in dem meine Großeltern wohnten, gehörte einem Fleischhauer, der mit seiner Frau als Pensionist ebendort wohnte und Fischlmayr hieß.
Mein Großvater sagte beim Grüßen, als überzeugter Sozialdemokrat, niemals „Grüß Gott“, sondern immer „Guten Tag“. Trotzdem trichterte er mir ein, den Herrn Fischlmayr mit „Grüß Gott Hausherr“ und sie, die Frau Fischlmayr, mit „Grüß Gott Hausfrau“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit, auch mehrmals am Tag, zu grüßen. Ich tat das auch, wie mir geheißen und aufgetragen, bis das Verhängnis seinen Lauf nahm.
Im Rahmen der Vorbereitungen für die Erstkommunion in der zweiten Klasse lernten wir auch die zehn Gebote auswendig. Für die meisten brachte ich das nötige kindgemäße Verständnis auf, nur bei dem, in dem es hieß „Du sollst nicht begehren Deines nächsten Hausfrau“ schwindelte sich der Katechet in der Schule über die Runden, indem er sagte, dass wir dieses Gebot erst verstehen würden, wenn wir etwas größer werden.
Mir als Wiffzack war diese Begründung zu wenig, deshalb fragte ich daheim bei meinem Großvater nach, warum ich die Frau Fischlmayr, unsere Hausfrau, nicht begehren dürfe. Zum besseren Verständnis muss ich hinzufügen, dass die Frau Fischlmayr zu jener Zeit bereits über achtzig Jahre alt war und bekleidet mit Kopftuch und einem langen Kittel gelegentlich zusammen mit ihrem Mann auf einer Bank bei Sonnenschein im Hinterhof saß. Meine Frage, „Opa, warum darf ich die Frau Fischlmayr nicht begehren“, versetzte ihn zunächst in Erstaunen. Er stellte die Gegenfrage, warum ich das wissen wolle: „Weil es in den zehn Geboten steht“, antwortete ich. „So, so“, sagte der Großvater. -
Nach einer kurzen Nachdenkphase zog er sich mit der gleichen Argumentation wie der Religionslehrer aus der Affäre, indem er meinte: „Dafür bist du noch zu klein. Es betrifft Dich nicht, das ist etwas für die Erwachsenen“. „Tu aber, wie ich es Dir aufgetragen habe, die Hausfrau weiter schön grüßen“.
Wen wundert es, dass ich das Geheimnis der nicht zu begehrenden Hausfrau auch noch lange nach deren Tod in mir herumtrug und es noch Jahre dauerte, bis ich seinen Sinn verstand.
Wen wundert es weiter, wenn ein im Kindesalter gesäter Zweifel an der Religion eine nachhaltige Wirkung erzeugt?
Übrigens: Die katholische Kirche hat irgendwann das „Haus“ vor der „Frau“ im Text gestrichen.
Ich maße mir nicht an, der Auslöser dieser Veränderung gewesen zu sein!
Die Ausspeisung
Zu bestimmten Zeiten fuhren die Amerikaner mit ihrer Feldküche, die wir wie die Erwachsenen Gulaschkanone nannten, vor das Schulhaus und begannen mit der Verteilung einer Suppe. Diese roch fantastisch und hatte immer einen guten Geschmack. Wir tranken sie, jeder aus seinem Blechnapf erst in der Klasse, denn die Frau Bartel legte Wert auf Ordnung und Disziplin. Fand einer ein Stückchen Fleisch im Suppenbrei, tat er dies lautstark kund, wurde aber zurecht gewiesen.
Einmal verschlug es uns die Sprache, denn der Soldat, der die Suppe mit einer Schürze und einer weißen hohen Kochhaube bekleidet austeilte, hatte eine schwarze Hautfarbe. Die vorne Stehenden trauten sich anfangs nicht in seine Nähe. Er war groß gewachsen und hatte Zähne wie Schnee im Sonnenlicht. Er zeigte sie fortwährend und sagte zu jedem Knirps: „Komm her!“
Am nächsten Tag verrichtete ein anderer Amerikaner den Dienst. Wir waren zwar enttäuscht, freuten uns aber jedes Mal, wenn der freundliche Schwarze wieder bei der Verteilung da war und uns mit seinem breiten Grinsen anlächelte.
Bisher kannten wir Dunkelhäutige nur von Erzählungen und der Geschichte von den „Zehn kleinen Negerlein“. Das Auftreten einer Person mit schwarzer Hautfarbe war damals in Steyr eine echte Sensation.
Die Care Aktion
Zu Weihnachten 1947 erhielt jede Klasse ein Paket, in dem verschiedene Geschenke enthalten waren. Sie stammten von der Care Hilfsaktion der Amerikaner.
Herr Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen.
Mein erster Wickel mit der Religion
Das Haus Steyr, Bahnhofstraße 14, in dem meine Großeltern wohnten, gehörte einem Fleischhauer, der mit seiner Frau als Pensionist ebendort wohnte und Fischlmayr hieß.
Mein Großvater sagte beim Grüßen, als überzeugter Sozialdemokrat, niemals „Grüß Gott“, sondern immer „Guten Tag“. Trotzdem trichterte er mir ein, den Herrn Fischlmayr mit „Grüß Gott Hausherr“ und sie, die Frau Fischlmayr, mit „Grüß Gott Hausfrau“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit, auch mehrmals am Tag, zu grüßen. Ich tat das auch, wie mir geheißen und aufgetragen, bis das Verhängnis seinen Lauf nahm.
Im Rahmen der Vorbereitungen für die Erstkommunion in der zweiten Klasse lernten wir auch die zehn Gebote auswendig. Für die meisten brachte ich das nötige kindgemäße Verständnis auf, nur bei dem, in dem es hieß „Du sollst nicht begehren Deines nächsten Hausfrau“ schwindelte sich der Katechet in der Schule über die Runden, indem er sagte, dass wir dieses Gebot erst verstehen würden, wenn wir etwas größer werden.
Mir als Wiffzack war diese Begründung zu wenig, deshalb fragte ich daheim bei meinem Großvater nach, warum ich die Frau Fischlmayr, unsere Hausfrau, nicht begehren dürfe. Zum besseren Verständnis muss ich hinzufügen, dass die Frau Fischlmayr zu jener Zeit bereits über achtzig Jahre alt war und bekleidet mit Kopftuch und einem langen Kittel gelegentlich zusammen mit ihrem Mann auf einer Bank bei Sonnenschein im Hinterhof saß. Meine Frage, „Opa, warum darf ich die Frau Fischlmayr nicht begehren“, versetzte ihn zunächst in Erstaunen. Er stellte die Gegenfrage, warum ich das wissen wolle: „Weil es in den zehn Geboten steht“, antwortete ich. „So, so“, sagte der Großvater. -
Nach einer kurzen Nachdenkphase zog er sich mit der gleichen Argumentation wie der Religionslehrer aus der Affäre, indem er meinte: „Dafür bist du noch zu klein. Es betrifft Dich nicht, das ist etwas für die Erwachsenen“. „Tu aber, wie ich es Dir aufgetragen habe, die Hausfrau weiter schön grüßen“.
Wen wundert es, dass ich das Geheimnis der nicht zu begehrenden Hausfrau auch noch lange nach deren Tod in mir herumtrug und es noch Jahre dauerte, bis ich seinen Sinn verstand.
Wen wundert es weiter, wenn ein im Kindesalter gesäter Zweifel an der Religion eine nachhaltige Wirkung erzeugt?
Übrigens: Die katholische Kirche hat irgendwann das „Haus“ vor der „Frau“ im Text gestrichen.
Ich maße mir nicht an, der Auslöser dieser Veränderung gewesen zu sein!
Die Ausspeisung
Zu bestimmten Zeiten fuhren die Amerikaner mit ihrer Feldküche, die wir wie die Erwachsenen Gulaschkanone nannten, vor das Schulhaus und begannen mit der Verteilung einer Suppe. Diese roch fantastisch und hatte immer einen guten Geschmack. Wir tranken sie, jeder aus seinem Blechnapf erst in der Klasse, denn die Frau Bartel legte Wert auf Ordnung und Disziplin. Fand einer ein Stückchen Fleisch im Suppenbrei, tat er dies lautstark kund, wurde aber zurecht gewiesen.
Einmal verschlug es uns die Sprache, denn der Soldat, der die Suppe mit einer Schürze und einer weißen hohen Kochhaube bekleidet austeilte, hatte eine schwarze Hautfarbe. Die vorne Stehenden trauten sich anfangs nicht in seine Nähe. Er war groß gewachsen und hatte Zähne wie Schnee im Sonnenlicht. Er zeigte sie fortwährend und sagte zu jedem Knirps: „Komm her!“
Am nächsten Tag verrichtete ein anderer Amerikaner den Dienst. Wir waren zwar enttäuscht, freuten uns aber jedes Mal, wenn der freundliche Schwarze wieder bei der Verteilung da war und uns mit seinem breiten Grinsen anlächelte.
Bisher kannten wir Dunkelhäutige nur von Erzählungen und der Geschichte von den „Zehn kleinen Negerlein“. Das Auftreten einer Person mit schwarzer Hautfarbe war damals in Steyr eine echte Sensation.
Die Care Aktion
Zu Weihnachten 1947 erhielt jede Klasse ein Paket, in dem verschiedene Geschenke enthalten waren. Sie stammten von der Care Hilfsaktion der Amerikaner.
Die Frau Bartel klebte auf jeden Gegenstand des Inhalts mit Mehlpapp einen kleinen Zettel und schrieb eine Nummer darauf. Bei der Verlosung erhielt ich eine quadratische olivgrüne Dose aus Metall von etwa 20 cm Seitenlänge und drei cm Höhe, die, wie sich daheim herausstellte, süße Trockenfrüchte enthielt. Dazu kam ein kleines Päckchen in der Größe einer Zündholzschachtel. Neugierig öffnet ich dieses schon in der Schule und bemerkte, dass es ein weißes Pulver enthielt, das, wenn man den feuchten Finger hinein steckte, nach Pfefferminz schmeckte. Die Frau Bartel erklärte mir, dass es sich bei dem Geschenk um ein Zahnputzpulver handle. Verwendet habe ich es nie, denn Zähne putzen war damals nicht gang und gäbe.
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