In der Oberdonau Zeitung vom 3. 2. 1943 berichtet Heinz Scheibenpflug vom heimischer Bergwald im Schnee. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.
Gleißend und glitzernd liegt der feinkörnige Schnee im Bergwald. Er hat die Mulden und Hochkare ausgefüllt und schimmert von den Bändern der Felskare herab. Die Zirben, die ganz weit drinnen im Kar stehen, haben eine große Schneehaube bekommen und auch die schlanken und hohen Fichten, sind ganz weiß verbrämt. Der Bergwald hat sein Winterkleid angelegt und was in ihm lebt, hat sich auf die neuen Verhältnisse eingestellt. Was im Sommer grün war und bunt blühte, ist nun im hohen Schnee vergraben und auch für die Tiere unerreichbar, die nach Nahrung suchen.
Droben ziehen die dunklen Dohlen um die Gipfel und schweben über die jähen Felshänge, so wie wir es auch vom Sommer her gewohnt waren, von den Tagen frohen Rastens hoch über den Tälern. Nur wenn ein Wettersturz droht, wenn die Wolken bleigrau und dichtgeballt heraufziehen, dann stoßen sie kreischend und rufend in die Waldtäler hinunter und fliehen vor dem Sturm. Bitterkalt ist es im blauen Schatten der Fichten, die hier im schütteren Bergwald zusammenstehen, und man meint, hier müsse alles Leben sterben, alles öde sein und leer.
Doch bald verraten uns die Spuren im Schnee, dass die Tiere des Bergwaldes auch im Hochwinter unterwegs sind. Die Mäuse ziehen ihr zartes Getrippel durch den glitzernden Schnee und es sieht aus, als ob ein zierliches Perlenkettchen in den Schnee gefallen wäre. Und auch die Hasenspur sehen wir, unverkennbar an den zwei kleinen und den zwei großen Abdrücken — aber breiter und derber ist sie, als unten in den Tälern die Hasenspuren sind. Sie stammen vom Schneehasen, der im Sommer graubraun und jetzt ganz der Landschaft gleich geworden ist, weiß bis auf die Spitzen seiner Ohren. Solange die kleinen Heuhütten droben auf den Almen noch voll sind von duftendem Heu, haben es die Schneehasen ja ganz gut. Wenn die Bauern aber dann dieses Heu zu Tal geführt haben, wenn die hochkufigen Hörnerschlitten in sausender Fahrt zu Tal gefahren sind, dann kommt für die Tiere hier erst die schwerste Zeit. Da haben die Murmeln es freilich besser. Sie haben sich im Oktober schon endgültig und unwiderruflich vergraben und ihre Gänge mit Heu ausgestopft. Erst wenn das Glucksen des Schneewassers sie aus dem Schlaf weckt und schon die weißen und blauen Krokusse auf den Bergwiesen blühen, kommen alle wieder zum Vorschein. Aber die Schneehasen sind nicht allein im winterlichen Hochgebirge. Da sind auch die Schneehühner, die im Sommer ihre Jungen in den Geröllhalden und Schuttfeldern herumführten und die sich nun ebenfalls verfärbt haben, aus einem scheckigen Graubraun in reines Weiß. Ruhelos ziehen sie bei ruhigem Wetter zwischen den tiefverschneiten Latschenbüschen umher und suchen überall nach Futter. Gern ziehen sie hinauf auf die abgewehten Hochflächen wo die Schifahrer mit ihren Bretteln polternd über das blanke Eis fegen und sich manchmal in den gebleichten Grasbüscheln verfangen. Hier hat der Wind den Neuschnee weggefegt und so liegen die Samen der Alpengräser frei und gewähren karge Äsung. Wenn dann wieder das Schneien aus den stahlgrauen Wolken bricht und der Sturm über die Gipfel fegt, dann sitzen die Schneehühner zusammengekauert im Krummholz oder oft zu zweit unter den dichthängenden Ästen einer Fichte und warten das Ende des Schneefalles ab. Auch wenn der Schneefall Tage dauert.
Durch das dunkle, dichte Geäst der Zirben huschen die Tannenhäher und sind mit ihren mächtigen Schnäbeln hinter den reifen, blauschimmernden Zirbenzapfen her, aus denen sie mit viel Eifer und Geschick die fetten Nüsse herausholen. Ihre zackigen Flügel schwingen langsam und bedächtig, wenn sie zum anderen Talhang hinüber segeln. Sie kennen keine Not und ihnen ist der winterliche Bergwald ruhige und sichere Heimat. Lustig und lebendig sind auch die Kreuzschnäbel. In großen Schwärmen streichen sie durch die Bergwälder, ihr munteres Geschwätz ist aus allen Wipfeln zu hören und dazwischen tönt das leise Krächzen der Jungen. Wahrhaftig! Sie haben Junge im Nest, jetzt mitten im Hochwinter! Da mag der Schnee noch so hoch liegen und mag der Sturm noch so sehr durchs Geäst der Wetterfichten pfeifen — die Kreuzschnäbel halten Hochzeit. Wenn auch all die anderen Vögel nach dem Süden gezogen sind oder ihre liebe Not haben, den harten 'Winter zu überstehen. Die rotbraunen Vagabunden aber, die sich den Sommer über weiß Gott wo in Europa herumgetrieben haben, die sind jetzt munter und guter Dinge. Junge zieht man dann auf, wenn man sie am besten ernähren kann, und das kann der Kreuzschnabel eben jetzt im Hochwinter, wenn alle Zweige voll sind mit prallen Fichtenzapfen, aus denen man mit dem überkreuzten Schnabel die Samen so schnell und geschickt herausholen kann wie sonst niemand auf der Welt!
So ist es hier heller Frühling geworden, mitten im Winter und das Leben siegt, auch inmitten von Frost und Schnee! Das ist der Winter im Bergwald. Schon stehen ja unter dem Schnee die Knospen, die sich in den ersten Sonnenstrahlen öffnen werden. Der Schneerosen große weiße Blumensterne sind noch zu Knospen gefaltet und unter dem Schnee zusammengedrückt, aber jederzeit zum Blühen bereit. Die rosenrote Erika arbeitet sich oft schon mitten im Winter durch die weiße Decke und öffnen ihre zarten Krugblütchen. Des Frühlings Vorboten stehen mitten im blanken Eis des Winters und nirgends sind die zwei Jahreszeiten einander so nah wie hier im Bergwald. Da braucht bloß der Föhn über den Felskamm zu kommen und schon in einer einzigen Nacht ist der Winter ausgelöscht und stehen die weißen Krokusse auf den feuchten Hangwiesen.