Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.
Johannes Brahms (geb.1833, gest.1897) |
An einem Sommertag vor fünfzig Jahren (ca.1890) war das Hotel zu den „Quatro Pellegrini" (Vier Pilger) in Bologna von ungewöhnlichem Leben erfüllt. Hier trafen sich Musiker aus allen Teilen Italiens, aber auch fremde Sprachen hörte man. Kunstbegeisterung einte alle Besucher, sie waren zur „Allgemeinen Musikausstellung" hierher gekommen.
Nun zeigten sich die bekannten Männer aus nah und fern. Ihre größte, fast scheue Verehrung galt dem stattlichen, silberbärtigen, gebürtigen Deutschen, der in Österreich lebte, der am Morgen angekommen und von Maestro Martucci, dem Direktor des Konservatoriums von Bologna, begrüßt worden war. Andächtig flüsterten sie sich den Namen des Mannes zu, der sogar jenseits des Ozeans berühmt war, nachdem er die Prüfungen harter Jugendjahre bestanden und den Weg zur Höhe erkämpft hatte: Johannes Brahms.
Sie beobachteten den lebhaften Italiener und den besinnlichen Brahms am Morgen, als Martucci den Gast durch einen nahen Park führte. Sie hätten gewiss vieles komisch empfunden, wenn sie nicht geahnt hätten, was da verhandelt wurde. Martucci, der kein Deutsch verstand, hatte mit Gebärden und Tönen „gesprochen", Brahms Melodien und Themen aus Sinfonien und kammermusikalischen Werken gesungen, gepfiffen und mit großen Armbewegungen begleitet und der Komponist hatte oft mit einem kräftigen Nicken des gewaltigen Kopfes zugestimmt. Die Besucher der Musikausstellung konnten Brahms auch beim Mittagsmahl im Speisesaal des Hotels begrüßen. Freilich hätten sie sich gewundert, wenn sie gehört hätten, was Brahms jetzt mit grimmigem Witz seinem Freund Wibmann zuflüsterte, dem schweizerischen Dichter, der neben ihm saß: „Dass Sie sich nicht verplappern"— Widmann kniff ein Auge zu: „Sie wissen, dass Sie sich auf mich verlassen können, gestrenger Meister!" Die beiden Freunde hatten ein schlimmes Geheimnis: Bis zu diesem Morgen hatten sie von einem „Allgemeinen Musikfest" in Bologna nichts gewusst. Ahnungslos waren sie — wie im vergangenen Jahr — in die Stadt gekommen, ahnungslos hatte sich der Deutsche plötzlich im Mittelpunkt einer Künstlerfeier gesehen. Wieder einmal — wie so oft in den letzten Jahren — war er in der vergangenen Woche aus Wien abgereist, das dem gebürtigen Hamburger zur zweiten Heimat wurde. Brahms fuhr gerne in den Süden und wählte Widmann, den klugen Freund, zum Begleiter. Besonders beglückend war die Liebe der Kinder, die Brahms überall besuchte. Sie war freilich nicht immer ganz selbstlos, weil der Komponist mit Münzen, Schokolade und Früchten recht freigebig umging. So wie ihm Wiener und Schweizer Kinder in Scharen nachliefen, hatte er auch in Italien rasch hundert kleine Freunde. In Venedig zeigten sie ihm Taucherkunststücke, in Rom sangen sie ihm kleine Lieder vor und wenn er dann mit einer Kutsche oder in einem Zug davonfuhr sahen sie ihm mit dunklen, traurigen Augen nach, wie wenn ihnen ein väterlicher Beschützer entrissen worden wäre. „Es ist schlimm!" stöhnte manchmal Brahms gespielt. „Ich bin hierzulande unheimlich bekannt!" Das hatte er nun auch in Bologna erfahren. Als ihn die Veranstalter der Ausstellung im Hotel erblickten, dachten sie, dass der Maestro gekommen sei, um ihr Fest mitzumachen. Johannes Brahms, der trotz manch' polternder Worte sehr zart empfand, hatte rasch erkannt, dass er ehrliche Liebhaber seiner Kunst vor sich hatte und entschloss sich, sie in ihrem guten Glauben von der Ursache seiner Anwesenheit nicht zu enttäuschen. So saßen die beiden Erholungsreisenden beim Festmahl als Mittelpunkt der Feier. Sie ahnten nicht, dass Deutsche in ihrer Nähe waren, die sie mit Anerkennung, aber auch mit Spott bedachten. Ein Geschäftsreisender, hatte mit wichtigen Gebärden seine Wissenschaft um Brahms zum besten gegeben: „... Gewiss, ein großer Mann, aber was man sich da erzählte!"— Wer wie Brahms aus dem Hamburger Gängeviertel stammte und in früher Jugend in einem Tingeltangel Klavier spielte, wer auch in reiferen Jahren mit Vergnügen in einem .Wirtshausgarten in Hemdsärmeln feine Zigarre rauchte und am Stammtisch jeden um Verzeihung bat, den er noch nicht beleidigt hatte — wie bezeichnete man diesen Mann? — „Dieser Mann ist eben ein Genie und ein Grobian, ein genialer Grobian!" Dies hörte eine junge Mannheimerin, Franziska Wolter, die mit ihrem Vater die erste Südlandreise unternommen hatte und vom freundlichen Zufall in die Nähe, des Tondichters geführt worden war, dessen Werke ihre verstorbene Mutter schwärmerisch liebte. Sie wusste und empfand es besser: Der Schöpfer des „Deutschen Requiems“ und der „Ersten Sinfonie“ stand hoch über allem. In ihr klang oft das Lied das ihre Mutter gesungen hatte:
„O wüßt ich doch den Weg zurück, den lieben Weg zum Kinderland! O warum sucht' ich nach dem Glück und ließ der Mutter Hand?“
Und sie fühlte, dass Brahms zart empfand. Sie wollte den wortreichen Kaufmann zurechtweisen — da sah sie. wie Brahms, der an der Stirnseite des Saales saß, den Kuchen und die Früchte, die als Nachtisch gebracht wurden, in eine Papierserviette wickelte und in die Rocktasche schob. Ihr war, als ob sie einen Schmerz verspürte. Gewiss, es war kein Vergehen, aber unpassend. Sie konnte nicht genau erklären warum sie dem Tondichter heimlich folgte, als sie ihn am Nachmittag vor dem Postamt sah. Sie wusste, dass es für eine junge Dame wenig schicklich war, wie ein Späher einem Großen nachzugehen, aber es trieb sie, den Verehrten einmal zu sehen, wenn er sich unbeobachtet wähnte. Da sah sie, wie er in eine Straße der Armut einschwenkte, in der viel Wäsche von Haus zu Haus gespannt war. Sie hörte und sah, dort viele Kinder die den „Signore Brahms", den sie aus dem vergangenen Jahr rasch wiedererkannten mit Lachen und Rufen umringten. Da sah sie auch, wie er den Inhalt seiner prallgefüllten Rocktaschen unter die jubelnde Schar verteilte, viele Schokoladeplätzchen, Kupfermünzen und auch — die Serviettenpakete aus dem Hotel. Franziska fühlte brennende Scham. Am nächsten Abend aber, als ihr der gefeierte Landsmann vorgestellt wurde bekannte sie ihm, dass sie ihn inmitten einer frohen Kinderschar gesehen habe. Er lachte herzhaft: „Ja. liebe junge Dame. Die sind meine besten Freunde allüberall. Sie. spüren, dass ich sie verstehe. Ich war ja auch ein Kind der Armut. Gott weiß, dass ich es nicht leicht gehabt habe. Kinder sind oft kluge Richter. Wer sie auf seiner Seite hat, kann auf eine Armee von Besserwissern verzichten."
So sprach Johannes Brahms.
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