Freitag, 3. Dezember 2021

Kindheitserlebnisse zu Ende des 2. Weltkrieges 1943 bis 1947 - Teil 13

Herr Konsulent OSR Peter Grassnigg verbrachte seine frühe Kindheit in Vorderstoder, da sein Vater im 2. Weltkrieg dort Oberlehrer war.

Durch den frühen Bergtod seines Vaters, der 1946, 36 jährig in einem Schneesturm am Priel ums Leben kam übersiedelte seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder zu den Großeltern nach Steyr.

Herr Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen.

Der Sailer

Er hieß mit Vornamen Herbert und war der Freund von Tante Herta, der Schwester meines Vaters.
Als Zuckergroßhändler bediente er von Steyr aus die Kaufmannschaft des Enns- und Steyrtales mit dem in der Nachkriegszeit begehrten Produkt. Meine Mutter hielt viel von ihm, weil er ihr in der Phase der Umrechnung von Mark wieder auf Schilling anbot, ihre Ersparnisse in seine Firma aufzunehmen, wodurch sich ein Umrechnungskurs von 1:1 ergab und die Mutter nicht die Hälfte ihres Geldes verlor.
Das Zuckermonopol war auf Dauer nicht zu halten, da sich die Kaufmannschaft völlig neu organisierte. Sailer musste Konkurs anmelden und die Firma schließen. Zudem ging seine Ehe, aus der zwei Kinder hervorgegangen waren u.a. wegen der Tante in Brüche. Äußerlich merkte man ihm nichts an, er war stets höflich und freundlich, gerade zu mir und meinem Bruder. Auf der Negativbilanz ist zu vermelden, dass er dem Trunke zugetan war. Seinen Stammtisch hatte er in der „Gösser“ in der Steyrer Enge Gasse. Später heirateten er und die Tante.

Auf dem Platz des SK Vorwärts

Gleich nach dem Krieg erfuhr das gegenüber unserer Wohnanlage in der Grillparzerstraße liegende Spielfeld des SK Vorwärts Steyr eine totale Umgestaltung. Der ohnehin geringe Rasenbewuchs war abgetragen worden, sodass der ganze Platz einer Schotterdeponie glich.
Eine Firma kam bei der Wiederherstellung nicht zum Einsatz, nur Männer, alle mit gleicher grauer Adjustierung ausgestattet, besorgten die Arbeiten. Es handelte sich um Häftlinge aus dem Gefangenenhaus Garsten, die jeden Morgen von wenigen Wächtern begleitet, im Marschschritt daher kamen. Auf der Rückseite ihrer Joppen trugen alle ein großes Z und ein großes G (Zuchthaus Garsten).
Am Rande des Platzes legten sie fein säuberlich auf Zwischenräume achtend ihre Habseligkeiten in kleinen Häufchen ab. Die Arbeiten fanden nur bei günstigen Witterungsbedingungen statt. Zu Mittag rasteten einige am Boden sitzend, andere spielten mit einem richtigen Fetzenlaberl Fußball. Als Tore dienten ihnen aufgetürmte Steine. Auch die Wächter saßen beisammen. Obwohl es eine Umzäunung des Platzes mit offenen Türen gab, lief keiner davon. Außenkontakte mit Zurufen und ein Gang zum Zaun, wo öfter Frauen standen, waren nicht erlaubt. Daran hielten sich alle. Nur wir Buben konnten uns innerhalb der Einfriedung frei bewegen.
Sogar der Rufname eines einzigen der Inhaftierten ist in mir hängen geblieben. Er betraf den Kleinsten aus der Truppe, der gleichzeitig der Lustigste von allen war und immer Späße machte. Seine Kameraden riefen ihm mit seinem Spitznamen „Bacherl“.
Bald hatten wir in Erfahrung gebracht, dass es sich bei den Männern um keine Verbrecher im üblichen Sinn handelte, sondern um sogenannte „Politische“, die aufgrund ihrer Mitgliedschaft und Tätigkeiten bei der NSDAP gerichtlich verurteilt mehrmonatige Haftstrafen abzusitzen hatten. Von den am Zaun stehenden Frauen bekamen wir mitunter kleine Päckchen und dazu genaue Anweisungen, unter welche der abgelegten Habseligkeiten wir sie verstecken sollten. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Zigaretten oder Süßigkeiten. Wir warteten immer, bis kein Wärter in der Nähe war oder gerade keiner herschaute. Wenn alles klappte, bekamen wir dafür ein paar Zuckerl oder einen Kaugummi. Alles in allem betrachtet, ging es bei dieser Art des Strafvollzugs äußerst locker zu. Ich glaube mich erinnern zu können, dass nur ein Wächter ein Gewehr trug, dem wohl nur Symbolkraft zukam. Am Abend marschierte die Kolonne in geordneter Formation wieder nach Garsten zurück.

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Die Kindheitserinnerungen von Herrn Konsulent OSR Peter Grassnigg haben die Leser dieses Blogs mit großem Interesse verfolgt. So manche können sich erst jetzt vorstellen, wie es ihren Eltern und Großeltern in dieser Zeit ergangen ist. Wir danken Herrn Grassnigg sehr herzlich für die Einblicke in seine Kindheit. 

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