Freitag, 11. Februar 2022

Der ominöse Kanon

In der Oberdonau-Zeitung am 10.2.1945 berichtete Alfred Semerau von einem  Kanon (Lied, bei dem in einem bestimmten Abstand zwei oder mehrere Stimmen nacheinander mit der Melodie einsetzen) den ein Dorfkantor (Vorsänger) bei einem Kirchweihfest zur Aufführung bringen wollte.
Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Ein Dorfkantor wollte einmal das Kirchweihfest durch die Aufführung einer neuen,
 großen Kirchenmusik besonders prächtig gestalten und wandte sich deshalb an Johann Sebastian Bach (geb. 1685, gest. 1750 Komponist, Violinist, Hofkonzertmeister, Orgel- und Cembalovirtuose) mit der Bitte, ihm eine solche Musik zu schreiben, die er dann mit seinen Kollegen aus der näheren Umgebung aufführen wollte. Bach aber, der die armseligen musikalischen Kenntnisse dieser Dorfkantoren nur zu gut kannte, lehnte unter verschiedenen Vorwänden ab. Als aber der gute Kantor mit Bitten nicht abließ und immer dringlicher wurde, fragte er ihn endlich halb unwillig, halb belustigt, welchen Text man denn gewählt habe.

„O, den belieben Sie selbst zu wählen“, versetzte der Kantor mit einer tiefen Verbeugung, „einen Bibelspruch, oder was Sie sonst passend finden mögen.“ Bach versprach nun, die Bitte zu erfüllen und trug dem Kantor auf, alles zur Probe vorzubereiten, zu der er dann selbst sich mit einigen Bekannten einfinden werde. Hocherfreut und mit vielem Dank und Lob verabschiedete sich der Kantor.

Am Morgen des Kirchweihtages fand sich Bach zur Probe in der Dorfkirche ein und sogleich wurden die einzelnen Stimmen der Musik verteilt, die Bach als Kanon mit dem Text „Wir können nichts wider den Herrn reden" gesetzt hatte. Als die Kantoren ihre Plätze eingenommen hatten, begannen sie sogleich frisch vom Blatt zu singen und aus allen Kehlen erscholl es um die Wette in Misstönen und wie Jammergeschrei: „Wir— wir— wir können nichts— nichts— wieder nichts— wir können nichts — wir können wieder nichts...“, bis die Sänger, durch Bach und seiner Begleiter lautes Gelächter aufmerksam gemacht, erkannten, was sie soeben mit viel Eifer in die Welt geschrieen hatten und nun verdutzt und zerknischt wie begossene Pudel dastanden.
„Das macht sich freilich nicht gut, meinte Bach, „aber wir wollen sehen, wie wir das ändern
können.“ Er zog ein anderes kleines Musikstück aus seiner Tasche, das er nun selbst mit seinen Begleitern aufzuführen begann. Und so bekam das Kirchweihfest doch noch, zur großen Freude des Kantors, seinen besonderen festlichen Glanz.

Johann Sebastian Bach 

Bachdenkmal in Leipzig
 



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