Freitag, 6. Oktober 2023

Unterschiedliche Betrachtungen

Im Prager Tagblatt und im Grazer Tagblatt  konnte man folgende Anekdoten lesen. Die Artikel wurden etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Lady Arthur Grosvenor

Prager Tagblatt 16. Juli 1907
Lord und Lady als Zigeuner.
Dem „Figaro" wird aus London berichtet, dass Lord und Lady Arthur Grosvenor, britische Landbesitzer und eine der reichsten Familien der Welt, 
die letztere ist eine Schwägerin des Herzogs von Westminster, des Lebens in ihren Schlössern und Landsitzen müde, auch des Automobils überdrüssig sind und sich einen echten Zigeunerwagen von einer herum­ fahrenden Bande gekauft haben um darin jetzt dauernd Wohnung zu nehmen und eine Fahrt durch ganz England anzutreten.
Die Lady führt selbst in Holzschuhen, kurzem Rock und großem altem Sonnenhut das Pferd, während der Lord unterwegs das Brennholz für das Lagerfeuer zusammensucht.
Unter dem Namen Sarah Lee verkauft die Lady Nähnadeln und Flechtkörbe.

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Zar Nikolaus I. (geb.1796, gest.1855)

Schloss Peterhof

Prager Tagblatt 24. Juli 1914
Die Rose von Peterhof.
Der Hauptreiz des Schlosses Peterhof, das Peter der Große in dem Ehrgeiz erbauen ließ, ein zweites Versailles zu schaffen und wo jetzt Herr Raymond Poincare (französischer Staatspräsident) Gastfreundschaft genießt, ist der prachtvolle Park, im dem sich folgende amüsante Anekdote ereignete:

Eines Tages sah Zar Nikolaus I. eine Schildwache an der Kreuzung zweier Alleen des Parks stehen. „Was tust Du hier?" fragte er den Soldaten. „Ich weiß es nicht, ich habe meinen Kameraden vor einer Stunde abgelöst." Nikolaus wandte sich an den Konservator des Schlosses. Der wurde rot und blass und — wusste auch nichts. Und es waren einige Tage sorgfältiger Nachforschung nötig, ehe der Herrscher die Antwort bekam. „Majestät, die Schildwache soll eine Rose schützen, die ihre Majestät, die Kaiserin Katharina II., besonders gern hatte!

Es hat sich folgender Tatbestand herausgestellt: Vor nicht weniger als 50 Jahren hatte Katharina II. einmal eine erblühte Rose in einem Beet von Peterhof voll Bewunderung gesehen und verboten, dass sie abgepflückt würde. Um nun sicher zu sein, dass das Verbot der Herrscherin befolgt würde, ließ der damalige Gouverneur des Palastes die Blume durch einen Soldaten bewachen. Die Rose verblühte, aber man vergaß, die Schildwache abzuberufen. Und so kam es, dass auch noch zwei Menschenalter später ein Soldat die längst dahingeschwundene Rose der verstorbenen Kaiserin hütete.

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Friedrich der Große (geb.1712, gest.1786)

Grazer Tagblatt 12. Oktober 1929
Niesen als Entlassungsgrund.
Friedrich der Große als Kronzeuge in einem Prozess. Zwei Gerichtsinstanzen haben sich in einem Monate dauernden Prozess mit der Frage beschäftigt, ob das Niesen eines Verkäufers in Gegenwart einer Kundin Grund zur fristlosen Entlassung sei. Der Kläger, der auf Zahlung eines Dreimonatsgehaltes Anspruch erhob, war ein
 Verkäufer namens Josef Kowacs. Er hatte eine Dame bedient, die bei den Frühjahrsverkäufen ein Kleid auswählte und diese erklärte, sie sei durch das plötzliche Niesen des Verkäufers belästigt worden und verließ gekränkt den Laden. Darüber entrüstet entließ der Inhaber Kovacs fristlos und führte vor Gericht aus, er sei dazu berechtigt gewesen, weil der Angestellte ihm einen schweren Schaden zugefügt und sich unpassend benommen habe.

Kowacs aber führte bei seiner Verteidigung vor dem Obergericht als Kronzeugen Friedrich den Großen an und zwar erzählte er die Anekdote, dass dem großen König dasselbe Malheur wie ihm in Gegenwart einer Dame passiert sei und dass er darauf von einem seiner Höflinge mit der Bemerkung entschuldigt wurde: „Die römischen Kaiser waren Halbgötter und daher über menschliche Schwachheiten erhaben. Aber unser König ist, wie Sie sehen, auch nur ein Mensch, dem menschliches passiert." Dieser Kronzeuge machte auf die ungarischen Richter einen solchen Eindruck, dass sie dem Josef Kovacs für billig erklärten, was Friedrich dem Großen recht war und den Inhaber zur Zahlung verurteilten.

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