Freitag, 9. Februar 2024

Aus der "Allgemeinen Österreichischen Gerichtszeitung" 25. Dezember 1862

 



Wenn man alte Gerichtszeitungen durchblättert sieht man, dass der alte Spruch „auf der Alm gibt es keine Sünde“ nicht stimmt. Manchmal kann man lesen, dass Sennerinnen verlassen wurden und aus Verzweiflung Straftaten begangen haben, weil sie ihrem Schicksal nicht gewachsen waren.
Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Verbrechens des Kindesmordes.
Am 24. Mai 1862 bezog Walburga H. 21 Jahre alt, eines verstorbenen Ausseer Salinen-Arbeiters eheliche Tochter, ein Mädchen von sehr einnehmendem Äußeren, als Sennerin des Steffler in Reitern dessen Alm auf der Pötschen oder dem sogenannten Höhentritt liegt. Die von Walburga H. allein bezogene Almhütte enthielt ebenerdig den mit Holz verschallten Rinderstall und die Kochstube so wie die Milch- und Schlafkammer. Von letzterer gelangt man neben dem dort stehenden Bett der Sennerin durch eine Falltür über eine Stiege mit 7 Stufen unmittelbar in den Viehstall hinunter. Gleich nach dem Auftreiben auf die Alm fiel den benachbarten Sennerinnen der Leibesumfang der Walburga H. auf. Dieselbe stellte aber aufs Bestimmteste jede Beziehung auf eine Schwangerschaft in Abrede. Sonntag den 22.Juni klagte sie der benachbarten Sennerin über Kreuzschmerzen. 
Montag den 23. Juni, Früh um 5 Uhr, erschien sie bei der Nachbaralmhütte und bat die dortige Sennerin, für sie wegen ihres Unwohlseins die Arbeit beim Vieh zu verrichten, was diese ohne Anstand tat. Gegen 7 Uhr Morgens besuchten sie benachbarte Sennerinnen, denen sie über Schmerzen im Unterleib klagte. Dazu kam, dass Walburga H. als sie gegen 10 Uhr Vormittags die Almhütte verließ, ganz schlank erschien. Über Vorhalt, ob sie etwa gar ein Kind geboren habe, lachte sie denselben ins Gesicht. Gleiches tat sie als am selben Tag, nachmittags die von ihrem Unwohlsein verständigten Angehörigen, Mutter und Schwester, erschienen waren.
Am 2S. Juni verliess sie die Steffler-Alm, um am Steffler-Gut bei der Wäschereinigung mitzuwirken. Nach ihrer Entfernung beschäftigte die zurückgebliebenen Sennerinnen der Gedanke, dass eine Leibesfrucht der Walburga H. irgendwo verborgen sein müsse. Da glaubte eine Sennerin einmal gehört zu haben, dass eine Mutter ihr Kind unter Dielen verborgen habe. Sie besah daher abends, als das Vieh gemolken wurde, die Dielen und entdeckte unter der Stiege nahe der Wand eine Stelle, wo die Dielen leicht wegzuheben waren. Die Sennerin hob die Dielen in die Höhe. Da lag eine Schicht von frischem mit Stroh gemengtem Kuhmist. Sie räumte eine ziemliche Menge davon weg, da zeigte sich das Füßchen eines Kindes. Ihr Geschrei führte die Sennerinnen der Almhütten herbei. Da sie den Mist weiter beseitigt hatte zogen die Sennerinnen das Kind vollends hervor. Das Kind war weiblichen Geschlechtes mit einem sichtbaren Eindruck an der linken Schläfenseite. Es war unter den letzten zwei Stufen mit dem Kopf nach abwärts, das Gesicht nach unten gekehrt, unter frischem mit wenig Stroh vermengtem Kuhmist gelegen. Eine Sennerin trug das Kind sogleich hinaus, wusch es am Brunnen und bahrte es in ihrer Almhütte auf. Nachdem hierauf vom Totenbeschauer die gerichtliche Anzeige gemacht worden war, erklärten die Gerichtsärzte, dass das neugeborene Mädchen lebend geboren und wenn auch nur kurze Zeit, aber doch vollständig geatmet hatte und am Blutschlagfluss gestorben war, ohne dass bestimmt angegeben werden konnte, ob die wahrgenommenen Verletzungen an der linken Schläfe damit in Zusammenhang stehen.
Walburga H. hat sowohl in der Untersuchung, als auch am 2. Dezember vor dem k. k. Gerichtshof bei der Schlussverhandlung zugegeben, das Kind in der Nacht zum 23. Juni im Stall geboren zu haben. Wegen heftiger Kreuzschmerzen und Fieberfrost habe sie damals ihr Lager verlassen und sich in den wärmeren Viehstall hinabbegeben. Da erst habe sie erkannt, dass es zu einer Entbindung kommen könne. 
Nach beiläufig einer Stunde sei das Kind gekommen und auf die hölzernen Dielen aufgefallen. Sie habe das Kind in ihren Schoß gelegt wo sie einen schwachen Herzschlag verspürte. Ratlos sei sie so eine Viertelstunde dagesessen; dann habe auch der Herzschlag des Kindes aufgehört. Sie habe dann das Kind in ihre Schürze gewickelt und es hinaufgetragen. Zuerst wollte sie es am Herd wärmen, musste aber vor Fieberfrost ins Bett. Mit Tagesanbruch habe sie das Kind auf den Milchkasten gelegt, ein Brett vorgeschoben und es dort liegen gelassen, bis sie am 25. morgens von der Alm gehen musste. Vor ihrem Abgehen habe sie dann das Kind unter die Dielen dorthin verborgen, wo es dann am folgenden Abend von den übrigen Sennerinnen aufgefunden worden war. Bei diesem Geständnisse verharrte sie ungeachtet des Vorhaltes, dass ein so langes Liegen des Kindes in der bei der Sonnenhitze noch wärmeren Stube ohne Verbreitung eines die Wahrnehmung unabwendbar machenden Verwesungsgeruches nicht möglich gewesen wäre. Nach diesem Geständnisse haben die Gerichtsärzte erklärt, dass Walburga H. dadurch, dass sie auf harten Stalldielen geboren habe, während sie ja doch auf dem weichen Bett hätte entbinden können, dann dass sie das Kind beiläufig eine Viertelstunde mit noch schlagendem Herzen bis zum Tod ohne alle Wiederbelebungsversuche ruhig auf ihrem Schoss liegen ließ und ebenso wenig die benachbarten Sennerinnen zu Hilfe rief, obgleich sie diese bei und vor der Geburt nach den gepflogenen Lokal-Erhebungen leicht hätte rufen können, eine Unterlassung des bei der Geburt nötigen Beistandes sich habe zu Schulden kommen lassen.
Obschon die Verteidigung kräftigst bemüht war, darzutun, dass die Unterlassung dieses Beistandes eine ganze unfreiwillige war, weil Walburga H. in den Geheimnissen der Geburt noch ganz unerfahren, von solcher überrascht worden war und sich daher bloß eine Übertretung der Geburtsverheimlichung zu Schulden habe kommen lassen, so folgte der Gerichtshof doch dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die dann darlegte, wie aus ihrem Benehmen vor der Tat durch Verheimlichung ihres Zustandes vor Jedermann, selbst der Mutter und dem Liebhaber und durch Unterlassung jeder Vorbereitung zum Empfang des Kindes, durch Unterlassung jedes Hilferufes an die benachbarten Sennerinnen und jedes Belebungsversuches — endlich nach der Tat durch Verbergung und Vergrabung des Kindes die Absicht zur Beseitigung des Kindes durch Unterlassung jeden Beistandes klar hervorgehe. Wozu sie wohl auch dadurch verleitet worden sein mochte, dass dieses Kind während der Abwesenheit ihres eigentlichen Liebhabers im Militärdienst im Umgang mit einem zwischenzeitigen Liebhaber empfangen worden und der eigentliche Liebhaber nicht gar lange vor der Entbindung zurückgekehrt war. Walburga H. wurde daher des Verbrechens des Kindesmordes schuldig erklärt und nach §. 139 St. G. mit Anwendung des §. 286 St. P. O. zu zwei Jahren schweren Kerker verurteilt.

Nicht lange nach dem traurigen Fall auf der Pötschen-Alm wurde die Schladminger-Alm der Schauplatz eines gleichen Verbrechens. Elisabeth F., 30 Jahre alt, von nicht weniger einnehmendem Äußeren, Bauerntochter aus Haus bei Schladming, hatte im Dienst des Hundsbichler in Rumberg (Bezirk Gröbming) als Sennerin dessen Alm bezogen. Auch sie war durch ihren Umfang den benachbarten Sennerinnen auffällig geworden, leugnete aber beharrlich ihren Zustand. Am 20. August 1862 zeitig morgens kam Elisabeth F. zu der ihr benachbarten Hinteregger Sennerin und klagte ihr, dass sie sich vor Kreuzschmerzen kaum zu helfen wisse. Die Hinteregger Sennerin heizte sodann die Almütte der Elisabeth F. und besorgte ihr den Stalldienst, während Elisabeth F. auf einem Schemel saß. 
Es war dann beiläufig 9 Uhr Vormittags geworden, da bemerkten die benachbarten Sennerinnen, wie Elisabeth F. mit einer Schaufel am Misthaufen herumarbeitete. Elisabeth F. hatte sich kaum in ihre Hütte zurückgezogen, so eilten beide benachbarte Sennerinnen zum Misthaufen. Als die Hinteregger Sennerin etwa eine schuhtiefe Schichte Mist unter der Dachtraufe weggeräumt hatte, da wurde die Hand eines Kindes sichtbar, deren Finger sich bewegten. Sorgfältig zogen beide Sennerinnen das ganz nackte Kind hervor, aus dessen Mund und Nase schmutzige Jauche hervordrang. Sie reinigten das Kind sogleich und brachten es in die Hinteregger Almhütte. Da suchten sie dem Kind Luft einzublasen und es zu erwärmen. Das Kind röchelte aber nur mehr. Sie gaben demselben die Nottaufe und wurden nach kaum einer Viertelstunde Zeuginnen seines Dahinscheidends.
Die Hinteregger Sennerinen suchten darauf die Elisabeth F., welche fröstelnd beim Ofen saß. Die erklärte, dass es ihr nun etwas besser gehe und sich sodann in ihr Bett begab. Elisabeth F. verschwieg die Geburt so lange, bis ihre Mutter und ihr Dienstgeber auf die Alm kamen und ihr das vorhielten, was bereits offenkundig geworden war. Nach geschehener gerichtlicher Anzeige und vorgenommener Leichenöffnung, haben die Gerichtsärzte erklärt, das Kind weiblichen Geschlechtes, sei vollkommen reif zur Welt gekommen und habe gelebt, sei aber durch einen Fall und durch längeres Verweilen in einem den Atmungsprozess hindernden Medium am Schlag- und Stickfluss zu Grunde gegangen. In Übereinstimmung hiermit hat Elisabeth F. vor dem k. k. Untersuchungsgericht Liezen zugegeben, dass sie ihr Kind, während die Hinteregger Sennnerin ihr den Stalldienst besorgte, in einem Wasser-Schaff („Sechter“) geboren habe. Ganz ratlos und verzagt, zumal der Liebhaber sie lieblos behandelte, habe sie sich nun gedacht, das Kind könne ohnehin nicht lange leben und habe daher den Sechter samt Inhalt hinaus vor die Hütte getragen, dort mit der Schaufel den Mist ein wenig auseinander geschoben und den ganzen Inhalt des Sechters auf den Misthaufen geleert, so dass das Kind, welches mit den Füßen etwas zuckte und ein wenig röchelte, auf der Seite zu liegen kam. Sie habe dann das Kind mittels der Schaufel mit ein wenig Mist bedeckt, so dass es nicht mehr sichtbar war, und sei dann in die Hütte zurückgegangen.
Dieses Geständnis hat Elisabeth F. bei der am 18. November vor dem k. k. Kreisgericht Leoben stattgefundenen Schlussverhandlung unter allen Zeichen der ihr innewohnenden Verzagtheit und der Reue unter Tränen wiederholt.  Sie wurde nach den Schlussanträgen der Staatsanwaltschaft, wobei der Verteidigung ein sehr beschränktes Feld eingeräumt war und nur die Milderungsumstände das Gericht hervorgehoben hat, wegen Vebrechens des Kindesmordes Z. 139 St.  durch absichtliche Tötung schuldig erkannt und mit Anwendung des §. 286 St. P. O- zu schwerem Kerker in der Dauer von fünf Jahren verurteilt.

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