Freitag, 6. Januar 2017

Erinnerungen an die Moarbichlerin aus Windischgarsten.

Die "Moarbichler" aus Windischgarsten waren seit vielen Generationen als Beineinrichter und Naturheiler im südlichen Oberösterreich und im Norden der Steiermark bekannt. Ihr Wissen wurde stets an Nachkommen oder Verwandte weitergegeben. Bis Ende des 2. Weltkriegs war Ottilie Schöngruber aus der Moarbichlerfamilie eine viel konsultierte Naturheilerin und danach wirkte Zäzilia Helml als ihre Nachfolgerin . Sie starb 1984 mit 86 Jahren im Altersheim Ried im Innkreis.               (Rudolf Kusche - "Leutgeschichten")

Erinnerungen einer Schülerin an die Jugendzeit in den 1930er Jahren:
"Einmal hat sich meine Schwester beim Schlittenfahren  drei mal den Arm gebrochen. Es konnte uns nicht schnell genug gehen und so gab ihr die Peperl vom Nachbar noch einen Schubs, daß sie wie ein Blitz den Berg hinuntersauste. Die Folge war ein riesiger Sturz. Sie hat geschrien wie am Spieß. Ihr stürzten die Tränen wie ein Sturzbach aus den Augen.
Mutter hat meine Schwester in eine Decke gepackt, sie mit Stricken am Schlitten befestigt und wir sind mit ihr 3 Stunden zur Moarbichlerin nach Windischgarsten gefahren. Dort wurde ihr der Arm wieder eingerenkt. Meine Schwester brüllte und weinte herzergreifend.
Die Moarbichlerin war Heilpraktikerin und hatte einen großen Zuspruch von Leuten aus Nah und Fern. Besonders nach dem Kirchgang am Sonntag war ihre Stube voll. Der Medizinkasten war ihr Schatzkasterl. Die Medizin wurde in kleinen Fläschchen verabreicht. Sie bestand aus Kräuteressenzen, auch aus der Apotheke war etwas dabei. Z.B. Hoffmannstropfen, Melissengeist, Baldrian, Wermutstropfen, gestoßene Enzian- und Chinawurzeln. Diese Kräuteressenzen ergänzte sie mit verschiedenen Kräutertees, mit Honig und kalt gepresstem Himbeersaft. Sie machte für jede Flasche eine besondere Zusammenstellung nach ihrer Diagnose. Die Diagnose erstellte sie aus dem Morgenurin. Die mitgebrachte Urinflasche mußte 15 - 20 Minuten an einem warmen Ort stehen. Ich sah wie die Moarbichlerin die Flasche gegen das Tageslicht hielt. Es durfte kein künstliches Licht sein. Sie schüttelte die Flasche und erstellte dann die Diagnose. Ihre Medizin half fast immer. Auf keinen Fall hat sie jemals geschadet. Die Moarbichlerin bekam fast nie Geld für ihre Arbeit. Ihr reichte ein "Vergelts Gott" oder sie bekam Naturalien. Wenn es hoch herging bekam sie ein Schweinderl, eine Fuhre Heu oder etwas Schmalz und Butter. Selten bekam sie Geld. Meistens wurde ihr etwas versprochen, aber sie bekam es nie. Wenn es eine arme Bauernmagd war, was konnte die ihr schon geben.

Die Moarbichlerin sammelte alle ihre Kräuter selbst. Die Kräuter und Wurzeln wurden auf ihrem Dachboden getrocknet. Es duftete immer nach Schafgarbe,  Huflattich, Kamille, Hollunderblüten und Kümmel. 

Ottilie Schöngruber ( geb. 1881, gest. 1945)

Zäzilia Helml (geb. 1898, gest. 1984)



Die Fraisen – abgeleitet vom Mittelhochdeutschen „vreise“, was soviel wie Angst, Wut, Schrecken bedeutet –, „in Froas fallen“, im Osten Österreichs auch Bockerlfraß genannt, war einst eine der gefürchtetsten und gefährlichsten Kinderkrankheiten. Die Anfälle im frühen Kindesalter waren die häufigste Todesursache bei Säuglingen. Die Ursache war ein durch die fast ununterbrochenen Schwangerschaften der Mütter hervorgerufener massiver Kalkmangel – was allerdings lange Zeit nicht bekannt war. Gegen eine so rätselhafte Krankheit konnten also nur magische Kräfte helfen. Da die Ursache unbekannt war, versuchte man das Kind sowohl mit religiösen als auch mit abergläubischen Heilpraktiken – ”Frais-Briefen”, Hexensprüchen, Beschwörungen, Abwehrzaubern oder dem Gebrauch von Fetischen und Amuletten – zu schützen.  

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