Die "Moarbichler" aus Windischgarsten waren seit
vielen Generationen als Beineinrichter und Naturheiler im südlichen
Oberösterreich und im Norden der Steiermark bekannt. Ihr Wissen wurde stets an Nachkommen oder Verwandte weitergegeben. Bis Ende des 2. Weltkriegs war Ottilie
Schöngruber aus der Moarbichlerfamilie eine viel konsultierte Naturheilerin und danach wirkte Zäzilia Helml als ihre Nachfolgerin
. Sie starb 1984 mit 86 Jahren im Altersheim Ried im Innkreis. (Rudolf Kusche - "Leutgeschichten")
Erinnerungen einer Schülerin an die Jugendzeit in den 1930er Jahren:
"Einmal hat sich meine Schwester beim Schlittenfahren drei mal den Arm gebrochen. Es konnte uns nicht
schnell genug gehen und so gab ihr die Peperl vom Nachbar noch einen Schubs,
daß sie wie ein Blitz den Berg hinuntersauste. Die Folge war ein riesiger
Sturz. Sie hat geschrien wie am Spieß. Ihr stürzten die Tränen wie ein
Sturzbach aus den Augen.
Mutter hat meine Schwester in eine Decke gepackt, sie mit
Stricken am Schlitten befestigt und wir sind mit ihr 3 Stunden zur
Moarbichlerin nach Windischgarsten gefahren. Dort wurde ihr der Arm wieder
eingerenkt. Meine Schwester brüllte und weinte herzergreifend.
Die Moarbichlerin war Heilpraktikerin und hatte einen großen
Zuspruch von Leuten aus Nah und Fern. Besonders nach dem Kirchgang am Sonntag
war ihre Stube voll. Der Medizinkasten war ihr Schatzkasterl. Die Medizin wurde
in kleinen Fläschchen verabreicht. Sie bestand aus Kräuteressenzen, auch aus
der Apotheke war etwas dabei. Z.B. Hoffmannstropfen, Melissengeist, Baldrian,
Wermutstropfen, gestoßene Enzian- und Chinawurzeln. Diese Kräuteressenzen
ergänzte sie mit verschiedenen Kräutertees, mit Honig und kalt gepresstem Himbeersaft. Sie machte für jede Flasche eine besondere Zusammenstellung nach
ihrer Diagnose. Die Diagnose erstellte sie aus dem Morgenurin. Die mitgebrachte
Urinflasche mußte 15 - 20 Minuten an einem warmen Ort stehen. Ich sah wie die
Moarbichlerin die Flasche gegen das Tageslicht hielt. Es durfte kein künstliches
Licht sein. Sie schüttelte die Flasche und erstellte dann die Diagnose. Ihre
Medizin half fast immer. Auf keinen Fall hat sie jemals geschadet. Die
Moarbichlerin bekam fast nie Geld für ihre Arbeit. Ihr reichte ein "Vergelts
Gott" oder sie bekam Naturalien. Wenn es hoch herging bekam sie ein
Schweinderl, eine Fuhre Heu oder etwas Schmalz und Butter. Selten bekam sie
Geld. Meistens wurde ihr etwas versprochen, aber sie bekam es nie. Wenn es eine
arme Bauernmagd war, was konnte die ihr schon geben.
Die Moarbichlerin sammelte alle ihre Kräuter selbst. Die
Kräuter und Wurzeln wurden auf ihrem Dachboden getrocknet. Es duftete immer
nach Schafgarbe, Huflattich, Kamille,
Hollunderblüten und Kümmel.
Ottilie Schöngruber ( geb. 1881, gest. 1945) |
Zäzilia Helml (geb. 1898, gest. 1984) |
Die Fraisen – abgeleitet vom
Mittelhochdeutschen „vreise“, was soviel wie Angst, Wut, Schrecken bedeutet –,
„in Froas fallen“, im Osten Österreichs auch Bockerlfraß genannt, war einst eine
der gefürchtetsten und gefährlichsten Kinderkrankheiten. Die Anfälle im frühen
Kindesalter waren die häufigste Todesursache bei Säuglingen. Die Ursache war ein
durch die fast ununterbrochenen Schwangerschaften der Mütter hervorgerufener
massiver Kalkmangel – was allerdings lange Zeit nicht bekannt war. Gegen eine so
rätselhafte Krankheit konnten also nur magische Kräfte helfen. Da die
Ursache unbekannt war, versuchte man das Kind sowohl mit religiösen als auch mit
abergläubischen Heilpraktiken – ”Frais-Briefen”, Hexensprüchen, Beschwörungen,
Abwehrzaubern oder dem Gebrauch von Fetischen und Amuletten – zu schützen.
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