Freitag, 22. Oktober 2021

Aus den Jahren 1943 bis 1947, Erinnerungen von Konsulent OSR Peter Grassnigg - Teil 7

Herr Konsulent OSR Peter Grassnigg verbrachte seine frühe Kindheit in Vorderstoder, da sein Vater im 2. Weltkrieg dort Oberlehrer war.

Durch den frühen Bergtod seines Vaters, der 1946, 36 jährig in einem Schneesturm am Priel ums Leben kam, übersiedelte seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder zu den Großeltern nach Steyr.

Herr Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen.


Der Waschtag

Einmal im Monat, zumeist an einem Montag, war Waschtag. Dieser begann schon am Vorabend mit dem Einweichen der Wäsche in einer Lauge im Grander der Waschküche. Das Heizmaterial für den Ofen, dessen Kupferkessel von unten beheizt wurde, musste ich aus dem Kellerabteil herbeischaffen. Am nächsten Tag, bald in der Früh, ging es richtig los.
Sobald das Wasser im Kessel die richtige Temperatur erreicht hatte, wurde die inzwischen in einem Holztrog umgebettete Wäsche gesechtert. Dieser Ausdruck stammte von einem runden Holzeimer mit Stil dem Sechter, mit dem die heiße Lauge aus dem Kessel geschöpft und über das Eingeweichte gegossen wurde. Das besorgte allerdings die Mutter, denn für mich wäre das zu gefährlich gewesen. Als Reinigungsmittel kamen damals nur Soda und Kernseife zum Einsatz.
Den weiteren Waschvorgang kann ich nicht beschreiben, denn ich musste zur Schule.

Wenn ich zu Mittag heim kam, quollen noch immer Dampfwolken aus dem Waschküchenfenster und die Mutter war dahinter nur schemenhaft zu sehen. Beim Schwemmen und beim Aufhängen half ich wieder mit. Im Sommer machte das Spaß, in der kalten Jahreszeit weniger. Oft hatte ich von der Kälte ganz rote Finger.
Die Strahlungswärme des Kachelofens im Wohnzimmer beschleunigte den Trocknungsvorgang. Auf einer mehrmals um ihn gewickelten Leine konnte man kleinere Wäschestücke mit Kluppen befestigen und dadurch wieder rascher verwenden. Der Waschtag ist mir als Fixpunkt meiner frühen Kinderjahre in Erinnerung geblieben.

Die Puppenproduktion

Die folgenden Ereignisse bekam ich nur am Rande mit, weil sich diese in der Grillparzerstraße zutrugen und ich, wie bereits erwähnt, in der zweiten und dritten Klasse der Volksschule größtenteils bei meinen Großeltern in der Bahnhofstraße lebte.
In der Nachkriegszeit gab es, wie bei vielen nicht unbedingt notwendigen Produkten, einen Mangel, der nur durch Eigeninitiative behoben werden konnte. Das betraf auch Spielzeug, insbesondere die von den Mädchen heiß begehrten Puppen. Die Mutter und die Besitzerin einer Spielwarenhandlung in der Sierninger Straße kamen bezüglich Produktion selbst hergestellter Puppen zu einer Einigung, die näher betrachtet, sehr einseitig und zu Ungunsten der Mutter, was die Relation von Material, Zeit und Verdienst betraf, ausfiel.
Der Stoff für die Puppenkörper stammte von Leintüchern, die Körperfarbe erhielten. Die Einfärbung des Stoffes geschah in großen Töpfen mit kochendem Wasser auf dem Gasherd. Woher die Puppenköpfe stammten, habe ich nie nachgefragt. Sie bestanden aus übermaltem Papiermachee und sahen sehr echt aus, da sie auch die Augenlider bewegen konnten. Die Mutter nähte nach vorgezeichneten Schnittmustern mit der Maschine den Rumpf und die einzelnen Gliedmaßen. In Form gebracht wurden die Teile mit eingestopfter Holzwolle. Den Einnähern bei den Fingern und Zehen galt die besondere Vorsicht. Das Einstopfen erfolgte mit einem dünnen Kochlöffelstiel. Die aufwändigste Arbeit kam erst mit der Bekleidung nach dem Zusammenbau der Körperteile. Die Mutter verbrachte halbe Nächte damit und verwendete besonderes Augenmerk und Sorgfalt darauf, jeder Puppe ein spezifisches Aussehen zu verleihen. Einmal war ich dabei, als wir die große Einkaufstasche, gefüllt mit einer neuen Puppenlieferung, in das Geschäft trugen und dort bei der Frau Beranek, so hieß die Besitzerin des Ladens, abgaben.

Opa und Oma

Die zweite und dritte Klasse der Volksschule verbrachte ich, wie bereits erwähnt, bei meinen Großeltern in der Bahnhofstraße. Der Großvater hieß, wie mein Vater, Fritz und war Jahrgang 1887.
Er konnte als Arbeiterkind die vierjährige Staatsgewerbeschule in Steyr besuchen, seine Mutter war in der Nagelfabrik der Firma Werndl in Unterhimmel beschäftigt und starb 1920 bei der Grippepandemie. Im Ersten Weltkrieg musste er nicht einrücken, er war unabkömmlich gestellt, weil er in der Brotfabrik Reder eine Stelle als Buchhalter inne hatte. Später wechselte er in die Steyrer Gebietskrankenkassa. Dort war er Kassier und für die Auszahlung der Krankengelder zuständig.
Er hatte es bei seiner Tätigkeit auch mit Fremdarbeitern aus verschiedenen Nationen zu tun, die als Folge des Krieges in Steyr gestrandet waren. Als sich einmal ein Grieche über den geringen ihm amtlich zuerkannten Betrag aufregte, sagte er zum Opa: „Wenn Du kommen Griechenland, ich Dich nicht einmal lassen auf mein Abort.“ Eines Tages brachte er eine Neuerung mit nach Hause, den ersten Kugelschreiber, der jedoch so patzte, dass er mir seine Benützung verbot.

Oft war ich nach der Schule in Opas Büro, machte auf einem kleinen Tischchen meine Hausaufgaben, las ein wenig und stempelte zur Vertreibung der Langeweile unzählige Krankenscheine. Nach 14.00 Uhr gingen wir gemeinsam zur Oma, die mit dem Mittagessen auf uns wartete.
Die Wohnküche der Großeltern lag südseitig. Aus ihren beiden Fenstern konnte ich zum Bahnhof, auf die Ennsleite, zur Evangelischen Kirche und zur Stadtpfarrkirche sehen. Das Essen bereitete die Oma auf einem zweiflammigen Gasherd, der auf dem Ofen stand, zu. Der Gasherd wurde allgemein mit Rechaud (Rescho gesprochen) bezeichnet. Sie konnte gut kochen, was in der unmittelbaren Nachkriegszeit wegen des Lebensmittelmangels nicht einfach war. Selbst wenn man Geld hatte, nützte das nichts, da nur mit Marken etwas zu kriegen war.

Die Oma hieß eigentlich mit Vornamen Josefine, das erfuhr ich allerdings erst später, weil die ganze Verwandtschaft sie Pia nannte. Sie war die Tochter des Tischlermeisters Böhm aus dem Steyrer Ortsteil Aichet und hatte zur Aussteuer eine Kredenz, eine Abwaschkommode mit zwei ausziehbaren Blechbecken, einen Tisch und vier Stühle erhalten.
Ihr besonderer Stolz war das zur Bahnhofstraße ausgerichtete, mit dunklen Möbeln bestückte Wohnzimmer, welches diesen Namen gar nicht verdiente, denn nur zu Weihnachten trat das sonst reine Schaustück in Funktion. Schon zwei Tage vorher musste der Opa den Kachelofen bedienen, damit es im Raum einigermaßen warm wurde.
Von der Oma sind mir Redewendungen in Erinnerung geblieben, die sie oft verwendete. Wenn sie bei ihren Zimmerpflanzen herum hantierte, sagte sie: „Was die Natur nicht so alles schafft“ und wenn sie zu ihrer Gesundheit angesprochen wurde, „Man kennt halt ein jedes Jahr“.
Einmal regte sie sich über einen Artikel im Tagblatt derart auf, dass sie den Opa bedrängte, das Abonnement der Zeitung zu stornieren. Sie hatte in einer Überschrift gelesen „72-jährige Greisin verunglückt“ - „Ich bin schon 75ig und noch lange keine Greisin“, schimpfte sie. „Ein Redakteur, der so etwas schreibt, gehört entlassen!“, „eine solche Frechheit lasse ich mir nicht bieten!“
Den Opa brachte das nicht aus der Ruhe.

Von ihm wäre noch nachzutragen, dass er immer von einem eigenen Haus träumte und Pläne dazu entwarf. Seine finanziellen Mittel reichten weder für einen Grundkauf, noch für einen Hausbau. Ins Gasthaus ging er nie! Sein einziges Hobby war der Arbeiter-Sängerbund-Stahlklang, dem er sich in der Jugend als Sänger und später als Funktionär zur Verfügung stellte. Opa und Oma waren Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei. Am pompösen Maiaufmarsch zum Steyrer Stadtplatz nahmen sie nie teil, sondern verfolgten ihn von der Straße aus.
Wenn der Opa mit der Oma Ärger hatte, ging er heimlich ins Wohnzimmer und nahm einen Zug aus der Flasche. Er nannte das „Stern gucken!“




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