Freitag, 29. Oktober 2021

Ende des 2.Weltkriegs 1943 bis 1947. Teil 8


Herr Konsulent OSR Peter Grassnigg verbrachte seine frühe Kindheit in Vorderstoder, da sein Vater im 2. Weltkrieg dort Oberlehrer war.

Durch den frühen Bergtod seines Vaters, der 1946, 36 jährig in einem Schneesturm am Priel ums Leben kam übersiedelte seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder zu den Großeltern nach Steyr.

Herr Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen. 


Die Bohnentorte

Im selben Stockwerk, in dem meine Großeltern in der Bahnhofstraße wohnten, lebte auch das Ehepaar Stangl. Die Oma und die Frau Stangl tauschten laufend gegenseitig Lebensmittel aus. Die eine gab der anderen einen Teil ihres irgendwie Erworbenen ab und umgekehrt. Auch fertige Mahlzeiten wechselten so zwischen Tür und Angel die Konsumation.
Eines Tages, an einem Sonntag, brachte uns die Frau Stangl drei Stück einer Torte herüber, die sehr schön aussah, brauner Schokoladenüberzug, weiße Stücke in der Fülle. Nach dem Mittagessen sollten sie verspeist werden. Es stellte sich aber heraus, dass der vermeintliche Schokoladenüberzug eine eingedickte Kaffeesauße und die Stücke weiße Bohnen waren. Damit hatte es sich für mich und man kann dazu nur bemerken: „Gut gemeint, aber schlecht getroffen“.

Man erkennt aus dieser kurzen Episode den Einfallsreichtum einer damaligen Köchin, die alles, was sie in gutem Glauben besaß, einer Verwertung zuführen wollte.

Das Kabinett

Es lag im hinteren Bereich der Wohnung meiner Großeltern, war mein Schlafzimmer und hatte ein Fenster zur Bahnhofstraße. Dem gegenüber befanden sich Doppeltüren, durch die man ins Vorhaus hätte gelangen können. Zwischen diesen Doppeltüren hatte aber der Opa Regale eingebaut, auf denen die Oma ihre Schätze hortete. Volle und leere Marmeladegläser, eingemachtes Obst in Rexgläsern, in Kalk eingelegte Eier sowie nicht dauernd verwendetes Geschirr.
Das Bett benützte schon mein Vater als er noch ledig war. In dem großen, geräumigen Bett schlief ich herrlich. Warum ich darüber schreibe, hat auch folgende Gründe: Auf der anderen Seite der Bahnhofstraße, schräg gegenüber war das Cafe Petzwinkler. Dort gingen die Amerikaner ein und aus. Durch die Fenster konnte man nicht ins Innere des Lokals sehen, die Scheiben hatten einen bunten Anstrich mit allerlei Figuren. Auf der Eingangstür stand etwas, das ich zwar lesen konnte, aber nicht verstand -
OFF LIMITS. Gelegentlich verlegten die Soldaten tagsüber ihre Unterhaltung auf die Straße. Dann stand unten nächst der Färbergasse einer mit einem Holzprügel. Mit diesem beförderte er einen weißen Ball die Bahnhofstraße hinauf. Oben wartete einer mit einem riesigen Handschuh, der den Ball fangen sollte. Ich konnte diesem Spiel nichts abgewinnen, weil ich seinen Sinn nicht verstand. Selbst, als ich einmal einen derartigen Ball kurzzeitig mein Eigentum nennen konnte, hatte ich keine Freude damit, weil er hart und nur zum Werfen geeignet war.
An den Wochenenden ging es beim Petzwinkler hoch her. Da spielten Bands in voller Lautstärke bei offenen Fenstern und Türen, manchmal sogar auf der Straße, wo auch getanzt wurde. Meinen Großeltern gefiel dieser Rummel gar nicht und der Opa sagte: „Diese Ami-Musik hat uns gerade noch gefehlt.“ Für mich war das alles Unterhaltung und Spaß. Stundenlang konnte ich wegen des Lärms nicht schlafen, stand am Fenster des Kabinetts im zweiten Stock und schaute auf die Straße hinunter, bis mich die Müdigkeit überkam. Am Sonntag konnte ich schlafen, solange ich wollte, denn in die Kirche gingen wir ohnehin nicht.

Die zweite Klasse

Da hatten wir die Frau Bartel, eine ältere Dame, die aus der Pension wieder in den Schuldienst zurückgeholt worden war. Es gab damals zu wenig männliche Lehrer, da viele im Krieg gefallen waren oder als ehemalige Nazis noch nicht unterrichten durften. Die Frau Bartel trug mehrere bodenlange Kittel übereinander, aus denen schwarze Schnürschuhe hervorschauten. Ihre Oberbekleidung bestand immer aus einer ärmellangen weißen Bluse, die schon ergrauten Haare hatte sie aufgesteckt. Aus dieser Klasse habe ich einige besondere Erinnerungen:
Es gab nur wenig Papier, deshalb schrieben wir auf der Schiefertafel die Buchstaben im Takt nach Ansage. Während eines solchen Vorganges ging die Frau Bartel inspizierend durch die Knabenreihen. Wenn sie bei mir einen Fehler bemerkte, steckte sie den Finger in den Mund und verwischte mit ihrer Spucke die Schrift. Den dabei entstandenen Geruch habe ich heute noch in der Nase. Mir grauste fürchterlich.
Auf dem hohen Kasten, dem ein Fuß fehlte und deshalb wackelte, stand eine große braune Flasche. In ihr befand sich flüssiger Lebertran. In der Zehn-Uhr-Pause mussten wir uns in einer Reihe aufstellen und die Frau Bartel verpasste jedem von uns einen vollen Esslöffel davon. Widerspruch war zwecklos. Oft träumte ich davon die Flasche möge einmal von seinem wackeligen Untersatz herunterfallen und zerschellen. Der Traum blieb unerfüllt.
Ab der dritten Klasse wurde uns der Lebertran in Form von Kugerln verabreicht, weil wir alle als unterernährt galten.
Im Winter froren wir in der Klasse gelegentlich, weil es kein Heizmaterial zum Nachlegen für den Ofen gab. In einem Aufruf bat die Schulleitung die Eltern, man möge den Kindern einmal in der Woche ein Stück Holz mitgeben.
Wer eine bestimmte Menge Papier mitbrachte, bekam dafür ein Heft. Dessen Qualität war aber so schlecht, dass man nicht mit Tinte darauf schreiben konnte. Erst in der dritten Klasse fingen wir damit an, mit der Feder zu schreiben.
Ein bedeutendes Ereignis dieser Schulstufe war die Erstkommunion. Unser Religionslehrer, ein Franziskanerpater aus dem Konvikt Vogelsang, übte die Zeremonie mit uns. Wir sagten Herr Katechet zu ihm. Nicht alle, auch ich, hatten eine Kommunionkerze. Beim Empfang des Sakramentes in der Kirche borgte mir der neben mir stehende Klassenkamerad seine für den Augenblick.
Ich genoss allerdings den Vorteil, dass meine Mutter eine gute Schneiderin war und mir aus Anlass der Erstkommunion eine neue kurze Hose, ein weißes Hemd und ein Gilet nähte.
Wir Buben trugen damals bei Schönwetter und besseren Gelegenheiten Stutzen. Bei Schlechtwetter lange Wollstrümpfe zur kurzen Hose. Damit diese nicht nach unten rutschen konnten, versteckten wir unter dem Obergewand einen Strumpfgürtel aus Gummi um den Bauch. Von dem hing für jedes Bein vorne und hinten ein breites, mit Schlitzen versehenes Band hinunter. Mit einem Knopf bzw. mit einem kleinen Geldstück stellten wir zwischen dem Schlitz und dem Strumpf eine Verbindung her, die hielt.

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