Freitag, 22. April 2022

Bettler und Bürgermeister.














Von dem kürzlich verstorbenen Großindustriellen Eberhard Hoesch berichtete das Czernowitzer Tagblatt am 26. Februar 1908.

Über Eberhard Hoesch der der Stadt Düren ein herrliches Stadttheater schenkte und sonstige Stiftungen im Betrag vieler Millionen vermachte, wird unter anderem folgende hübsche Anekdote erzählt. 

Jeden Vormittag, wenn der fast achtzigjährige Herr seinen Spaziergang machte, stellten sich an seinem Weg eine Anzahl mehr oder weniger hilfsbedürftiger Leute auf. Der alte Herr kannte die meisten von ihnen und im Vorbeigehen ließ er dann, je nachdem, eine oder zwei Mark zur Erde fallen, die dann von den Leuten schleunigst aufgehoben wurden. Anzubetteln wagte den alten Herrn keiner, denn man wusste, dass Hoesch in gewisser Entfernung meistens von einem Polizeibeamten in Zivil begleitet wurde, den die Stadtverwaltung beauftragt hatte, ihn vor Zudringlichkeiten nötigenfalls zu schützen. 

Eines Tages wagte nun doch ein ärmlicher Mann an Hoesch heranzutreten und ihn um Hilfe anzugehen. Kaum bemerkte dies der Polizist, als er pflichtgemäß den Mann wegen Bettelns verhaftete und mit zur Wache nahm. Kaum dort angelangt, klingelte es beim Polizeiinspektor: „Hier Polizeiverwaltung".— „Hier Eberhard Hoesch. Sagen Sie mal, Herr Polizeiinspektor, ist soeben eine Person wegen Bettelns eingeliefert worden?"— Polizeiinspektor: „Das wird schon stimmen, Herr Hoesch." Hoesch: „Lassen Sie doch, bitte, den Mann wieder laufen, ich möchte sehr darum bitten." Polizeiinspektor: „Unmöglich, Herr Hoesch, das geht leider nicht; es sei denn, dass der Herr Abgeordnete oder der Herr Oberbürgermeister die Freilassung verfügt."— Hoesch: „Bitte, verbinden Sie mich mit dem Herrn Abgeordneten Dr. L."— Und Hoesch richtete an den Abgeordneten das gleiche Ersuchen, den Mann freizugeben. Abgeordneter: „Leider ganz unmöglich, verehrter Herr Hoesch, wir müssen in solchen Fällen konsequent verfahren."— Hoesch: „Also unmöglich? Herr Abgeordneter, wenn Sie denn so konsequent verfahren müssen, dann wäre mir sehr daran gelegen, dass der Herr Oberbürgermeister ebenfalls sogleich in Haft genommen würde." Abgeordneter: „Das ist Wohl Ihr Scherz, verehrter, Herr Hoesch?" — Hoesch: „Nein, durchaus nicht, denn Ihr Herr Oberbürgermeister hat mich um viele Hunderttausende für die Stadt Düren angegangen, folglich muss ihn ebenfalls die gesetzliche Strafe wegen Bettelns treffen. Der soeben Verhaftete hat dagegen nur für seine kranke Frau und Kinder eine Gabe erbitten wollen."

Man entsprach dem Wunsche des alten Herrn insofern, als der Verhaftete mit einem Verweise sofort entlassen wurde.


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