Freitag, 30. Juni 2023

Ein vereiteltes Wegverbot.


Ein vereiteltes Wegverbot.
Georg Aigner, Linz
So lange ich auch schon den Vorsatz hegte, vom Prielgipfel einmal Ausschau zu
halten, immer waren Hindernisse da, derentwegen ich meinen Plan verschoben
habe. Da sollte einmal ein außerordentlicher Anlaß eintreten, der mir den
langgehegten Wunsch nach einer Prielpartie nahezu zur Pflicht machte. 
Die Sektion Linz des Österreichischen Touristenklubs hat auf dem Großen Priel ihr Schutzhaus und ihr Arbeitsgebiet. Im eigenen Interesse und im Interesse des Fremdenverkehres war sie gezwungen, gegen den Besitzer des Prielergutes, Herrn Bachmann, (jetzt im Besitz von Eulenburg) den Weg des Kampfes zu betreten, da friedliche Verhandlungen nicht zum Ziel führten.

Der genannte Herr wollte den Servitutsweg, der über seine Besitzung auf den Kleinen Priel führt, absperren und die Begehung desselben von seinen Launen abhängig machen. Die Sektion Linz des Österreichischen Touristenklubs setzte sich mit der Gemeinde Hinterstoder und mit anderen berufenen Körperschaften ins Einvernehmen und versicherte sich deren Hilfe, dann wurde für den
20. September eine Trutzpartie angekündigt. Der 20. September 1908 war ein schöner Spätsommertag an welchem 18 Linzer Touristen, darunter 4 „Naturfreunde“, um 3'30 früh hinausfuhren in das herrliche Kremstal. Als wir in dem Zuge entstiegen, schloss sich uns ein Jurist, Herr Z. an, der in Windischgarsten zum Sommeraufenthalt weilte und der von unserem Unternehmen Kunde erhalten hatte. Munter marschierte die kleine Gesellschaft in das taufrische Stodertal hinein. Ich selbst beeilte mich nicht sonderlich, wusste ich ja, dass wir im Jaidhaus in Hinterstoder zum Frühstück zusammentreffen würden. Ich schlenderte daher gemächlich dahin und ließ die Schönheit des Stodertales ungehemmt auf mich wirken. So wanderte ich zum Strombodingfall, dem schönsten Schaustücke des Tales, dann wieder an der Straße weiter, stand ich beglückt still vor dem prächtigen Talschluss, der hinter den leichten Morgenschleiern zum Entzücken schön war und traf doch noch meine vorausgeeilten Gefährten in der Glasveranda des Jaidhauses. Als wir nach kurzer Rast über die Steyrbrücke wanderten, schloss sich uns noch ein Vorstandsmitglied der Sektion Linz des Österr. Touristen-Klubs und der Besitzer des Erholungsheims in Hinterstoder an.
Eben waren wir im Begriff, das Prielergut zu passieren, da trat Herr Bachmann aus der Türe und fragte wohin wir wollten. „Auf den Kleinen Priel“, schallte es ihm entgegen. „Ja, meine Herren“, begann der Wegverbieter, „kommen sie ein andermal, heute kann ich das nicht erlauben, weil ich Jagdzeit habe und da darf mir das Wild nicht verscheucht werden.“ Nachdem er sah, dass sein Verbot nichts fruchtete, erklärte er uns allen, wenn wir den Weg fortsetzen würden, würde er uns wegen Besitzstörung verklagen und erbat sich zu diesem Behufe unsere Adressen, die ihm bereitwilligst ausgefolgt wurden.
Wir setzten nun unseren Weg fort über Wiesen der Prielerreith zu und gelangten von dort auf einem neuen im Bau begriffenen Reitwege in den Hochwald. Als der Reitweg dann abbrach, ging’s ein Stück steil empor, bis wir den gewöhnlichen Weg erreichten. Hier fanden wir das erste Zeichen des Wegverbotes; auf einer frisch gestrichenen Tafel standen die Worte: „Aus Jagdrücksichten verbotener Weg“. Wir kümmerten uns nicht um diese Warnung, sondern wanderten weiter bis zur Prieleralm, die jetzt dem Jäger zur Wohnung diente. Der kam uns schon entgegen und wollte uns anhalten, als wir ihm jedoch sagten, wir hätten schon mit seinem Herrn gesprochen, gab er sich zufrieden. Nach einer längeren Rast, während der dem Inhalte unserer Rucksäcke wacker zugesprochen wurde, wanderten wir weiter. Die Umgebung der Prieleralm ist herrlich. Links von uns, im Sinne des Anstieges, erhebt der Schwarzkopf sein kühnes Haupt zum Großen Priel, während in der Verschneidung zwischen dem Grat und dem Stocke des Kleinen Priel eine kleine Waldparzelle steht, wie eine Oase in der Wüste und bedroht von den mächtigen Schuttströmen. Der Jäger nannte diesen Ort die Eisgrube und er begleitete uns ein Stück, wie er sagte, um zu verhindern, dass wir in die Grube hineingeraten, in der sich das Wild, darunter ein am Vortag angeschossener Hirsch aufhalten sollte. Dann empfahl er sich mit der Bitte, wir mögen die möglichste Ruhe bewahren.
Nun ging’s über den steilen Grat empor, zuerst über Schutt, dann durch ein dichtes Geflecht von Legföhren (Latschen) zu einen südwestlichen Seitengrat des Kleinen Priel, über welchen wir nach kurzer Kletterei über ein Trümmerfeld von Gesteinblöcken die grasbewachsene Spitze erreichten. Dort ließen wir uns dann zur wohlverdienten Rast nieder, aßen und tranken von unseren Vorräten und würdigten die herrliche Rundschau nach Gebühr. Da zieht der teilweise messerscharfe Grat, unterbrochen von trotzigen Türmen, hinüber zum Großen Priel, der von unserem Standpunkt aus sich großartig präsentiert. Ihm folgt in der Reihe der Berghäupter der Brotfall, die stolze Spitzmauer, der Hohe Kasten, das Salzsteigjoch, über dem der Hohe Dachstein mit dem Karlseisfeld herüberblickt. Im Süden erhebt sich die Warscheneckgruppe, im Südosten die Haller Mauern, im Osten das Sengsengebirge, gegen Norden grüßt das Flachland Oberösterreichs, begrenzt von den Mühlviertler Bergen. Im Westen stehen die Berge des Salzkammergutes.
Mit unserer Bewunderung der Fernsicht war die Zeit verstrichen und wir mussten an den Heimweg denken. Auf demselben Weg, den wir zum Aufstieg benützten, wurde der Abstieg angetreten. So stiegen wir über das steil sich heraufziehende Geröllfeld hinunter in das Schnabelkar, von dort über grasige Schroffen auf einen Kamm und diesen überquerend auf einer langen, steilen Wiese absteigend, gelangten wir zum gewöhnlichen Weg, den wir des Morgens begangen hatten. Nun ging’s im raschen Tempo auf schattigem Wege zur Prielerreith, wo uns zwei unserer Gefährten, die hier zurückgeblieben waren, Mitteilung machten,dass der Jäger über uns an seinen Herrn Bericht erstattet habe. Als wir nun an dem letzteren, der in Gesellschaft seiner Frau und des Jägers war, vorbei wollten, teilte er uns sehr aufgeregt mit, sein Jäger habe ihn benachrichtigt, dass wir durch mutwilliges Steineablassen, sowie durch Schreien und Johlen etwa 30 bis 40 Stück Gems- und Hirschwild aus seinem Jagdgebiet über die Grenze gejagt hätten. Wir waren starr vor Erstaunen ob dieser Lüge, war ja doch ein Bergfink auf der Spitze das einzige Tier, das unser spähendes Auge zu entdecken vermocht hatte und außerdem war unsere Wanderung in vollkommener Stille erfolgt. Herr Bachmann beklagte sich auch ferner, dass wir seinen neu angelegten Reitsteig benutzt hätten. Wir wiesen des Jägers faustgroße Lüge energisch zurück und entfernten uns.
Im Jaidhause angekommen, wurde Nachtmahl gegessen. Einige Wochen waren ins Land gegangen, da bekamen sieben von den damaligen Prielbesuchern die Anklageschrift zugestellt, worin wir wegen Störung im ruhigen Besitz des Prielergutes und insbesondere wegen Begehung der Wege auf den Kleinen Priel belangt wurden. Es wurde beantragt, uns das eigenmächtige Begehen der Prielerwege gerichtlich zu untersagen und uns zum Ersatz der Prozesskosten ungeteilter Hand zu verurteilen. Die Sektion Linz des Österr. Touristen-Klubs nahm die juridische Durchfechtung der ganzen Angelegenheit auf sich und deren Vorstand übertrug die Vertretung der Rechtssache dem bewährten Juristen Herrn Dr. Wessely in Linz. Herr Bachmann hatte, in der sicheren Hoffnung Recht zu bekommen, „keine Kosten gescheut“ und sich einen Rechtsanwalt aus Wien kommen lassen. Zum Glück für unsere Taschen entschied das Gericht anders: Herr Bachmann musste einen Weg auf den Priel freigeben, während jedem der streitenden Teile aufgetragen wurde, die eigenen Prozesskosten zu bezahlen. Herr Bachmann hat also neben dem Ärger, den ihm unser gemeinsamer Ausflug verursacht hat, noch die Kosten für seinen Anwalt zu bezahlen, so wie sich’s gehört, jedermann das Recht lassen, neben andern Bergen auch den Kleinen Priel zu besteigen. Der Sektion Linz des Österr. Touristen-Klubs aber gebührt für ihr energisches Eintreten in Sachen dieses Wegverbotes der Dank aller Naturfreunde und Bergsteiger.

Der Text, der mehr als 100 Jahre alt ist, wurde etwas gekürzt und geringfügig unserer Zeit angepasst.



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