Freitag, 19. April 2024

Erschließung des Stodertales durch eine neue Strasse 1928

Im Neuen Wiener Tagblatt konnte man folgenden Artikel lesen, der etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst wurde.




Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe) 30. März 1928
Das Stodertal.

Von Sektionsrat Ingenieur Erwin Deinlein.

Es ist noch gar nicht so lange her, da unterbreiteten die Gemeindeväter von Hinterstoder einem hochvermögenden Herrn die Bitte, er wolle, weil er doch der Besitzer der größten Herrschaft im Tal sei, ihnen zu einer Straße verhelfen, damit sie nicht so von aller Welt abgeschieden blieben. 
Wozu sie denn, um Gottes willen, auf einmal eine Straße brauchten, wo ihm zum Beispiel ein Reitsteig vollkommen genüge? Also sollen sie ihn mit derlei tollen Projekten gefälligst ungeschoren lassen; im übrigen wolle er ihnen, wie bisher, in vernünftigen Angelegenheiten seine Unterstützung nicht versagen.
 
Weil aber auf der Welt kein Ding so ganz schlecht ist, dass nicht auch immer noch etwas Gutes daran wäre, so hat gerade der Krieg, der so viel Unheil gestiftet, den Wunsch der Stodertaler in Erfüllung gehen lassen. Russische Kriegsgefangene begannen aus dem elenden Karrenweg, der halsbrecherisch genug am Rande der wilden, grünen Steyr balanzierte, in eine richtige, für Autos fahrbare Straße zu verwandeln, so dass man heute von Dirnbach-Stoder, der elf Kilometer talauswärts gelegenen Schnellzugsstation der Pyhrnbahn, im Sommer mit dem Postautobus, sonst mit bestellten Privatautos, in einer halben Stunde hereinfährt. Dadurch ist eines der herrlichsten Alpentäler Österreichs dem Verkehr erschlossen. Von andern zeichnet es sich besonders dadurch aus, dass es zu jeder Jahreszeit empfangsbereit ist und seine Gäste, wann immer sie auch kommen mögen, niemals enttäuschen wird. Es gibt in gleicher oder geringerer Entfernung von Wien kein zweites Alpental, das die Romantik wahrhaft grandioser Hochgebirgsszenerie mit der Lieblichkeit einer gottbegnadeten Tallandschaft und was besonders in Betracht kommt, mit solch erfreulicher Wohnlichkeit in ähnlicher Harmonie vereinen würde. Der bestrickende Eindruck, den Hinterstoder auf seine Besucher ausübt, lässt sich am besten in einem einzigen Wort wiedergeben: Willkommen!
Da ist ein langgestreckter, dabei aber behaglich breiter, sonnendurchfluteter Kessel, von Nadelwäldern ringsherum eingeschlossen, die an den Hängen hoch hinaufsteigen, bis ihnen die jäh aufragenden Wände des Toten Gebirges halt gebieten. Die zu wilden Zacken und Graten zerrissenen Kalkfelsen, deren Gipfelkontur sich in blendendem Weiß vom tiefblauen Himmel so wirkungsvoll abhebt, leben im unaufhörlichen Farbenspiel von Licht und Schatten. Vollends Sonnenaufgang und Untergang, die die blendende Spitzenkette in purpurne Glut tauchen, wandeln die Erhabenheit des Bildes ins Wunderbare.
Dank ihrer charakteristischen Form sind die hohen Schirmherren des Tales, die wohl der Sonne reichlich Zutritt gewähren, aber Wind und Nebel fast vollkommen abhalten, leicht zu merken und schon nach ein paar Stunden Aufenthalt sprechen wir vom Hohen Priel (2514 Meter), der Spitzmauer (2446 Meter), dem Ostrawitz,
dem Kraxenberg, dem Eisenberg und andern wie von alten Bekannten. Sie tun auch weiter gar nicht fremd, sondern zeigen sich immer wieder von allen Seiten.
Blau, weiß, grün, ein entzückender Farbenakkord, der in tausend Variationen
alle die vielen herrlichen Waldspaziergänge im Tal beherrscht. Der Glanzpunkt
unter diesen aber ist der Weg zur Polsterluke, das ist der Talschluss zu Füßen
des Hohen Priel. Am Eingang steht heute eine reizende, mit viel Kunstsinn und
Behaglichkeit eingerichtete Pension. Der liebenswürdige Hausherr zeigt uns aber
den Platz, auf dem eigentlich ein modernes großes Hotel stehen müsste, das die
ersten Schweizer Hotels um seine unvergleichliche Aussicht nur beneiden könnten.
Dabei läge es nur ein paar Schritte von der Straße entfernt, aber dennoch durch
einen Waldgürtel gegen Staub geschützt. Auch ein künstlicher See ließe sich durch
eine nur drei Meter hohe und gar nicht lange Staumauer an der Steyr, die nicht
weit von hier entspringt, machen. Vorläufig bildet sie, ebenfalls durch kleine
Dämme gezwungen, zwei bescheidene Forellenweiher, die, ungeachtet ihrer geringen Ausdehnung, das Bild durch Spiegelung der Berge sehr beleben. Wir gehen weiter.
Der herrliche Morgen mit seiner strahlenden Sonne veranlasst sogar den Schnee,
der sich da und dort noch in glitzernten Flächen ausbreitet, nicht, wie es die einschlägigen Lehrbücher vorschreiben, hübsch bescheiden in hexagonalen Formen, sondern in glänzenden, parallel geschieferten Platten zu kristallisieren. Lange dauert seine Herrschaft nicht mehr, denn schon beginnen sich sonnseitige Böschungen und Raine mit dem ersten jungen Grün zu schmücken und aus dem Unterholz grüßen Schneerosen und Erika in Hülle und Fülle. Drei Rehe ziehen durch das Gehölz, ganz vertraut—voran zwei Geißen, hinterdrein ein kapitaler Bock, der den Jagdkalender so genau im Kopf hat, dass er es kaum der Mühe wert hält, bei unserm Anblick ein wenig zu sichern. Bald nachher kommen wir an dem Heustadl vorbei, bei dem im Winter regelmäßig Wildfütterungen stattfinden. Hier kann man zu bestimmten Stunden oft 80 bis 100 Stück Hochwild zählen. Zwar war der Jäger heuer mit ihrer Pünktlichkeit nicht besonders zufrieden. Der verhältnismäßig milde Winter hatte im Revier nicht alle Nahrung geraubt. Und diese war den Hirschen doch noch lieber als das leidige „Anstellen" um Laub, Heu und Rosskastanien.
Da wir nicht vorhaben, den Hohen Priel zu besteigen, biegen wir in den Weg ein,
der in den Haupttalschluss zum Steyrursprung führt. Trotz den wilden Felskarren,
die hier aus allen Seiten das Tal umschließen, ist der Eindruck doch immer noch
freundlich, weil die Frühlingssonne bis in die entlegensten Winkel leuchtet. 
Nun sollte man meinen, dass sich in dieser romantischen Wildnis vielleicht eine
rußige Köhlerhütte, höchstens ein schlichtes Jagdhaus vorfinden könnte. Um so
angenehmer wird man überrascht, wenn man sich auf einmal einer überaus malerisch gelegenen, nagelneuen Familienpension gegenübersieht, die sich äußerlich wunderbar in die großartige Landschaft einfügt und im Innern ein wahres Juwel an Geschmack und Komfort ist. Zentralheizung, fließendes Warmwasser, Tanzdiele, Wintergarten, Liegeterrasse und was sonst noch zu einem zeitgemäßen Fremdenheim gehört. Dies alles gar nicht weit von der schaurigen Dietlhöhle, in der nach der Volkssage in grauer Vorzeit ein greulicher Drache hauste, der nur Jungfrauen fraß. Er soll indes, wie die Überlieferung beruhigend versichert, bald an Unterernährung eingegangen sein. Der Weg zur Höhle ist im letzten Teil verfallen, aber wenn man ihm ein Stück folgt, so sieht man oft auf den ihn begleitenden Lehnen stattliche Rudel von Gemsen, die in diesem Revier besonders zahlreich stehen. Und wenn man Glück hat, so kommt einem auch eines von den Adlerpaaren, die in den Wänden horsten, zu Gesicht.

Das Stodertal wird zwar nicht zum eigentlichen Salzkammergut gerechnet, steht aber damit, sowohl nach der Gliederung des Geländes als auch verkehr
sgeographisch in offensichtlichem Zusammenhang. Mehrere Übergänge führen über das Gebirge hinüber, so zum Beispiel die als Hochskitour beliebte Route über die Klinserscharte und die bewirtschaftete Pühringer-Hütte nach Grundlsee oder Bad Aussee; eine andre über das Siegistal, dann das Skiplateau um die bewirtschaftete Tauplitzalm über den Steirersee nach Mitterndorf. Kleinere, sehr lohnende Ausflüge unternimmt man in das prächtige Weißenbachtal, auf die Huttererböden (1380 Meter) ein vortreffliches Skigelände, zur Klinserau und zur Stromboding, einer Stromschnelle der Steyr. Im Sommer kommt noch der Übergang über das Salzsteigjoch nach Klachau in Betracht.

Hinterstoder erfreut sich als Sommerfrische seit Jahren schon besonderer Beliebtheit und hat nun auch als Wintersportplatz einen stetig wachsenden Besuch zu verzeichnen. Zur schönsten Zeit aber, im Frühjahr, wenn das Tal in Blüte steht, während auf den Bergen noch Schnee liegt, ist das Stodertal noch immer viel zu wenig beachtet. Es sei daher als Ziel für Osterreisen und für Maiurlaube bestens empfohlen.





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