Freitag, 24. Februar 2017

Vom Schicksal des kleinen Michl

Es war im Stodertal vor rund 100 Jahren. Heute noch kennen manche alten Leute diese Geschichte.
Beim großen "Grabenbauer" (Name geändert) arbeitete neben anderen Knechten und Mägden auch eine junge, geistig etwas zurückgebliebene "Dirn" (Magd). Sie nannten sie die "Grabenbauer Lies" (Name geändert). Sie hatte einen Buckl (gekrümmtes Rückgrat), trug immer nur geschenkte, alte viel zu große Kleider. Die Lies  hatte bestimmt keine erbliche Geistesschwäche. Vielmehr lag es an der Erziehung und der mieserablen Ernährung  von Klein auf. Sie wurde schon als kleines Kind von Bauern ausgeschunden und bekam nie ein kindgerechtes Essen und Pflege.
Heute kann man sich kaum mehr vorstellen wie manche Kinder auf Bauernhöfen behandelt wurden. Der "Zuzl" (Schnuller) wurde in Schnaps und Zucker getaucht und den Kleinkindern in den Mund gesteckt, so dass sie ruhig waren und lange schliefen. Damit sie nichts anstellen konnten und die Eltern Ruhe bei der Arbeit hatten wurden sie oft in einen großen, alten Bottich gesetzt aus dem sie nicht alleine herausklettern konnten. Gelegentlich bekamen sie etwas zu essen und zu trinken. Oft mussten sie den ganzen Tag in so einem "Gefängnis" ausharren.
Die Lies hatte schon mehrere uneheliche Kinder. Manche Knechte und Burschen nahmen sie einfach, weil sie sich nicht wehren konnte und sie gerade ein Bedürfnis verspürten. Ihre Kinder kamen alle verstreut zu verschiedenen Bauern. Sie wusste nicht einmal wo ihre Kinder hingekommen sind. Man könnte fast sagen, dass das wie bei einer Katze war, der man die Jungen weggenommen hat. Wenn kein Vater bekannt war zahlte die Gemeinde 10 Schilling Alimente im Monat. Wer die Väter der Kinder waren wurde früher nie eruiert. Die Kinder, von denen der Vater unbekannt war, fielen der Heimatgemeinde zur Last.
Im Dorf wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, dass auch ein Kind vom Bauern selbst dabei war und zwar der "Michl" (Name geändert). Michael wurde er genannt weil er zu Michaeli geboren wurde.
Eines Morgens hat sich beim Grabenbauer folgendes zugetragen. Die Schweinemagd hat in der Früh wie immer den Schweinestall gereinigt. Dazu musste sie auch frisches Stroh holen. Sie hörte unter dem Stroh ein Wimmern und glaubte zunächst eine Katze hätte Junge geworfen. An diesem Tag war es ziemlich kalt und deshalb wollte sie die jungen Kätzchen in den warmen Stall bringen. Unter einem Strohballen fand sie statt der jungen Kätzchen ein neugeborenes Kind mit einer abgerissenen Nabelschnur. Sie holte sofort die Bäuerin, die gleich sagte: "das kann nur die Lies gewesen sein". Niemand hatte die Schwangerschaft bei der Lies bemerkt, denn sie trug immer nur alte, viel zu große Kleider. Die Bäuerin und die Magd suchten sofort nach der Lies. Sie fanden sie draußen auf dem Erdäpfelacker (Kartoffelacker) bei der Arbeit. Auf dem Acker fanden sie auch Blutspuren, wo die Nachgeburt abging. Die Bäuerin nahm die Lies sofort mit und legte sie in das Bett. Kindswäsche hatte man nicht und so wickelte man das Kind in alte Hemden und legte es in der Stube auf einen Polster. Die Bäuerin war zwar nicht erfreut über das Kind, doch sie hatte Erbarmen mit dem armen "Hascherl" (hilflosem Baby).  Das Kind bekam ein "Mehlkoch", das war geröstetes Mehl  in Milch eingekocht. Das gab man früher den Kindern statt Muttermilch.

Je älter der Michl wurde, desto mehr sah er dem Bauer ähnlich. Die Lies sagte nie wer der Vater zu ihrem Kind war. Der Bauer hat ihr auch gedroht und sie geschlagen wenn sie nicht schnell genug bei der Arbeit war. Sie hatte ungeheure Angst vor ihm und sie hätte bestimmt nie etwas gesagt. Die Bäuerin aber musste etwas gewusst haben, denn sie hat den Michl großgezogen. Michael ist zu einem stattlichen, feschen Mann herangewachsen und blieb als angenommener Sohn beim Grabenbauer.





  

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