Freitag, 21. Oktober 2022

Anekdoten von unterschiedlichen Erlebnissen

 

Victor- Marie Vicomte Hugo (geb.1802, gest.1885)

Prager Tagblatt 13. Oktober 1927

Eines Tages im Karneval.
Da hatte der Friseur der Rue Custurc-St. Catherine, namens Brassier, ein Verzeichnis von dreißig Damen erhalten, die er besuchen sollte, um sie für den Abend zu verschönern.
Zur gleichen Zeit tritt der berühmte Schriftsteller und Politiker Victor Hugo, der Stammgast des Friseurs war, in die Stube und verlangte sofort rasiert zu werden. Meister Brassier lässt alles stehen und stellte sich selbst dem berühmten Dichter zur Verfügung. Er ergreift Pinsel und Seife und macht sich an die Arbeit. Der Poet drückt ihn brüsk mit der Hand zur Seite und sagt: „Warten Sie!", er nimmt einen Bleistift heraus und sucht dann fieberhaft in allen seinen Taschen herum, ohne zu finden, was er braucht. Endlich sieht er auf dem Spiegeltisch ein Blatt Papier, er packt es und beginnt zu schreiben. Monsieur Brassier wartet, macht sich dann bemerkbar, aber Victor Hugo behandelt ihn als Luft, schreibt und denkt nach. Monsieur Brassier schaut ihm ungeduldig zu und sagt: „Monsieur Hugo, ich bin heute sehr pressiert! (in Eile) Er erwidert ungeduldig: „Nur noch ein paar Sekunden. Ich bin ja gleich fertig!" Die Sekunden werden zu Minuten, zu einer Viertelstunde — der Dichter kritzelt, denkt nach, schreibt, pausiert wieder.. dichtet weiter. Dem Meister Brassier wird es schwül, er steht wie auf heissen Kohlen, nicht mehr so schüchtern wie früher, schon ganz energisch sagt er: „Aber, Herr Hugo, ich bin heute wirklich ganz außerordentlich pressiert!"— Der Dichter schaut auf: „Ach so, sie sind pressiert. Na gut, dann komme ich ein anderes Mal!" Er hebt sich und eilt von dannen.— Monsieur Brassier atmet auf: Gott Lob, der Dichter ist fort!
Aber jetzt schnell zu den Damen — wo ist die Liste mit den 30 Namen? Man sucht überall, das Blatt ist nicht zu finden. Erst am anderen Tag kam man darauf, dass dies das Blatt war, das Victor Hugo erwischt hatte. So geschah es, dass Monsieur Brassier an einem einzigen Tage dreißig Kundschaften verlor, wofür die französische Poesie dreißig Verse von Victor Hugo bekam.
Monsieur Brassier verschmerzte den materiellen Verlust, weil man ihn seither nicht mehr anders als den Mitarbeiter von Victor Hugo nannte.

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Mährisches Tagblatt 13. Juli 1883

Aus der Kinderwelt.
Deutsche Blätter erzählen folgende hübsche Anekdote:
Wie klug und vorsichtig das schöne Geschlecht schon in sehr jugendlichem Alter ist, beweist neuerdings ein Gespräch, das wir jüngst im Tiergarten belauscht haben. Der neunjährige, blondköpfige Fritz nähert sich dem brünetten, schwarzäugigen Gretchen, das erst sieben Frühlinge zählt und sich mit Schnur - springen amüsiert und bittet die junge Dame, sie möge ihm die Schnur ein wenig leihen. „Gern", erwidert Gretchen „aber dafür musst du mir ein Stück Schokolade geben." — „Doch erst nach der Schnur, Gretchen" bittet Fritz. „Nein!— Nein!" ruft sie. „Zuerst die Schokolade Oh! Ich kenne die Männer!"... Und gelassen hüpft die erfahrene Miniatur-Dame weiter und läßt den verblüfften Fritz stehen, dem dieser Sinn noch dunkel ist. Er wird später schon zu der Erkenntnis kommen, dass Gretchen Recht hat.

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                                               Arthur Rubinstein                       Arthur Sullivan
                                             (geb. 1887, gest.1982)             (geb. 1842, gest.1900)                           
                                          
Prager Tagblatt 13. Oktober 1927

Eine Rubinstein-Anekdote.
Eine hübsche Rubinstein-Anekdote erzählt der bekannte englische Komponist Arthur Sullivan, der Schöpfer des „Mikado".
„Eines Abends besuchte ich Rubinstein, den weltberühmten Pianisten, der sich damals gerade längere Zeit in London aufhielt. Der große Meister reichte mir die Hand und lud mich ein, auf dem Balkon mit ihm eine Zigarette zu rauchen. Wir nahmen in den dort befindlichen Schaukelstühlen Platz, drehten uns Zigaretten, zündeten diese an und hüllten uns in mächtige Rauchwolken. Nach einiger Zeit fragte ich: „Sie lieben Beethoven sehr nicht wahr?"— „O ja l" erwiderte der berühmte Musiker. — „Und Wagner?" erkundigte ich mich weiter. “Nein!" lautete die Antwort. Das war unser ganzes Gespräch. Wir rauchten weiter und schwiegen. Nach etwa einer Stunde sagte ich:„Jetzt ist es Zeit, dass ich aufbreche."— „Warum denn." sagte Rubinstein, „bleiben Sie noch; es plaudert sich mit Ihnen so angenehm."
Was war zu machen. Ich nahm nochmals Platz, rauchte weiter und sprach kein Wort. So kam Mitternacht heran. Da stand ich wieder auf und sagte: „Jetzt muss ich aber gehen, wir haben schon lange genug geplaudert." Rubinstein zog seine Uhr hervor und rief, den Kopf schüttelnd aus: „Schon halb Eins! Das ist doch merkwürdig, wie rasch die Zeit in angenehmer Gesellschaft vergeht."

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