Montag, 23. Dezember 2019

In der Heiligen Nacht "redet das Vieh" manchmal im Stall

Der Tiroler Pfarrer und Heimatdichter Sebastian Rieger (geb. 1867 in St. Veit - Deferreggen,  gest. 1953 in Heiligkreuz - Hall in Tirol) schrieb unter dem  Pseudonym "Reimmichl" Geschichten und Romane aus seiner gebirgigen Heimat - eine Heimat, ähnlich dem Stodertal.

Der Blaser Riepl horcht was das Vieh redet in der heiligen Nacht

Beim Tengelhofer in Martein saßen die Leute gerade beim heiligen Mahl, welches am hohen Weihnachtsabend nach zwölf Uhr mittags eingenommen zu werden pflegte. Die Pfanne mit dem leckeren Schmalzmus hatte bereits das Feld geräumt oder war vielmehr geräumt worden, der Weihnachtsbrei mit den roten Apfelwangen und den schwarzen Weinbeeraugen hatte auch schon das Tageslicht hinter sich.  Nun arbeiteten die tapferen Esser an den eingemachten süßen Krapfen, an denen die Silbertropfen von Butter und Honig wie ein Perlenkranz oder wie schillernde Eiszäpfchen herunter hingen. Peterle, der jüngste Tengelhofer, ließ sich die schwere Arbeit so angelegen sein, dass bereits glänzende Spuren seiner Wirksamkeit im ganzen Gesicht bemerkbar waren und um sein Mäulchen rundherum ein dicker Bart von schwarzen Mohnkörnchen heraus wuchs. — Als nun zuletzt der mit Süßigkeiten gespickte Nußzelten (Kuchen) auf den Tisch rückte, lockerten die Knechte in weiser Vorsicht ihren Bauchgurt um einige Löcher. Riepl (Rupert, der Großknecht, in seiner Heimat der Blaser genannt) schnitt ein breites Stück aus dem Zelten heraus und reichte es der Mitterdirn (Magd) Nandl. Die Nandl blitzte ihn mit ihren dunklen Augen freundlich an und schob einen rotwangigen Apfel an seinen Platz. Da schnitt Thrine, die alte, einäugige Stalldirn, eine bitterböse Grimasse auf die Mitterdirn herüber, denn sie stand von jeher mit der Nandl auf dem Kriegsfuß. Die anderen Dienstboten neckten den Großknecht und die Mitterdirn, diese aber machten sich wenig daraus; denn sie hatten es schon richtig miteinander und um Lichtmess wollten sie zusammen heiraten. Das konnten sie auch tun, denn der Riepl hatte sich mit seinen ersparten Kreuzern einen kleinen Hof gekauft, wo er mit der Nandl zu hausen gedachte. — Die beiden standen nicht mehr im jugendlichen Alter. Nandl ging schon stark in die Dreißig, aber ihr munteres "Herschauen" und die frischen Wangen ließen sie jünger erscheinen. An Riepl erkannte man schnell den Hoch-Vierziger, aber er repräsentierte immer noch einen rüstigen Bräutigam. In Bezug auf die Geistesgaben war die Nandl ihrem Zukünftigen weit über; sie war leichtmerkig, findig und geschickt, der Riepl hingegen war schon von seinen Wiegenzeiten her etwas begriffstützig und vernagelt. Lesen, Schreiben und Rechnen, selbst der Katechismus blieben ihm russische Dörfer; aber in einem Fache kannte er sich aus: er wusste jeglichen Aberglauben, der im weiten Umkreise aus alle Zeiten des Jahres gestiftet war, und glaubte felsenfest an die Unfehlbarkeit derselben. — Als daher nach dem „heiligen Mahle" die Rede auf all die Wunderdinge kam, die sich zufolge alten Volksglaubens während der heiligen Nacht in Haus und Stall ereignen, nickte der Riepl verständnisinnig mit dem Haupte. — Die Grossdirn sagte: "Riepl, möchtest nicht statt in die Christmette heute Nacht zum Vieh in die Schule gehen? — Das Vieh soll gar so gescheit reden in der heiligen Nacht". "Und gar zukünftige Dinge voraussagen!" mischte sich der Bauknecht in die Rede; "die Kühe möchten dir vielleicht gern was erzählen von deiner zukünftigen Bäuerin!" "Der Bauknecht darf einmal sicher nicht in den Stall — Ochsen könnten ihm das Stroh aus seinem Tappschädel herausfressen," gab die Nandl herüber, dann sprang sie auf und huschte zur Tür hinaus; die anderen lachten hell auf, der Bauknecht aber kratzte sich hinter den Ohren. „Wills keinem raten, in der heiligen Nacht das Vieh zu stören," warnte Thrine, die Stalldirn. "Und warum nicht?" fragte der kleine Knecht. "Warum nicht? Weil´s das Vieh nicht leidet. Lass dir´s nur einmal erzählen, wie es dem alten Rindlhofer gegangen ist!" "Wie denn?" "Wie? Er ist halt in den Stall gegangen zu horchen. Das Vieh hat auch geredet. Ein Ochs hat gesagt: "Heut haben wir einen dicken Stock im Barren (Futterkrippe); in drei Tagen werden wir ihn zu Grabe fahren!" — und richtig, am St. Johannistag hat man den Rindlhofer in den Friedhof getragen. Das magst dir merken, Frosch, du grasgrüner!" "Den Quatemberkindern (Kinder die an Quatembertagen - Fast- und Abstinenztagen geboren wurden) geschieht nichts, wenn sie horchen," sagte jetzt der Riepl.
"Du bist ja ein Quatemberkind", bemerkte die Großdirn. "Sell woll!" (Jawohl) — der Riepl. "Dann musst´s doch probieren", neckte der Bauknecht. "Bin nicht neugierig", versicherte der Riepl, dabei lachte er aber so pfiffig, wie er es zustande brachte. Allerdings hatte er sich schon längst den Plan gemacht, in der heiligen Nacht das Vieh im Stall zu belauschen; es brauchte jedoch niemand seine Geheimnisse zu kennen. Er war vollkommen überzeugt, dass das Vieh heuer von ihm und von der Nandl reden müsse. — Durch das Vieh hoffte er in der heiligen Nacht mit Sicherheit zu erfahren, wie es ihm und der Nandl im neuen Stande gehen werde; denn er war ja ein Quatemberkind. — Sagen durfte er aber niemand etwas — selbst der Nandl nicht. Der Bauknecht hatte das pfiffige Lächeln des Riepl bemerkt und sofort richtig gedeutet. — Wenn der Riepl einmal so pfiffig lachte, dann konnte man sich auf ein "hochweises Schildbürgerstücklein" gefasst machen. Im Laufe des Nachmittags hatte der Bauknecht durch verschiedene Kreuz- und Querfragen bereits vollkommene Sicherheit erlangt, dass der Riepl heute im Stalle zu übernachten gedenke. Die Hausräucherung war vorüber, das Nachtmahl ebenfalls, die drei Rosenkränze, welche am heiligen Abend in allen Häusern gebetet werden, kamen heute etwas rascher weg, hernach las das Rosele aus dem alten Evangelienbuch wunderschön die drei Evangelien von der heiligen Nacht und dem Christtag nebst einer frommen Erklärung — dann suchten alle eine kurze Nachtruhe. Vom Kirchturm schlug es gerade 10 Uhr, als eine dunkle Gestalt beim Tengelhofer in die Scheune huschte. — Es war Riepl, der Großknecht. — Drinnen suchte er auf dem Heuboden ein Futterloch, das auf einen leeren Barren in den Stall hinunter mündete. Er warf einige Büschel Heu durch das Loch, und dann rutschte er selber über ein Brett hinunter in den Barren. So vorsichtig und heimlich er seine Abfahrt auch bewerkstelligt hatte, es entstand doch einiger Tumult unter dem Vieh; erst nach geraumer Weile beruhigten sich die Tiere. Es war behaglich warm im Stalle, der Riepl lag weich gebettet im Heu, und doch fühlte er sich nicht ganz Wohl im Viehbarren. Eine unheimliche Stille herrschte, nur ab und zu vernahm man das Hauchen oder das Wiederkäuen eines Rindes — von draußen herein scholl das eintönige Bellen der Habergeiß (Nachteule): „Pipipipipi!" Soeben stieg der Mond hinter dem Walde empor und warf einen geisterhaften Schein durch das trübe Glas der Stallfenster. Dem Riepl wurde von Minute zu Minute unheimlicher. — Auf einmal tönten vom Kirchturm im gewaltigen Chor die Glocken hinaus in die Nacht. Es war, als ob jede eine lebendige Seele habe und aus ganzer Seele ihren Ruf hinaus singe in die Berge und Täler. — Dem Riepl drangen die Glockentöne durch Mark und Bein — so unheimlich hatten die Glocken noch niemals geklungen. — Jetzt schwiegen sie und jetzt setzten sie wieder ein im vollen, majestätischen Dreiklang. — Nun musste die Christmette in der Kirche begonnen haben. Der Riepl wischte sich leise die kalten Schweißtropfen von der Stirn. — Doch was war das? — Ein gespenstiger Laut.Jetzt wieder ein tiefes, langgedehntes: "Määh!" - Und nun begann es wirklich in menschlichen Stimmen zu reden. Scheck, die alte Kuh im gegenüberliegenden Winkel, eröffnete die Unterhaltung. Sie sagte mit dumpfer Stimme: "Unsere Stunde ist da - sind alle wach?" Das Vieh wurde unruhig, brüllte und riss an den Ketten, nach einer Weile sagte der braune Ochs auf der anderen Seite: "Alle sind wach: Kuh, Kalb, Bock und Schaf!" "Ist keins zuviel?" fragte die Schecke wieder. Nun lachte der Geißbock hinter den Planken hervor und rief im lauten Meckertone: "Einer ist zuviel — der größte Ochs — er liegt im hintersten Barren." "Wie schaut er aus?" fragte die Kuh. Der Bock meckerte wieder: "Kleinen Kopf und große Ohr'n, weites Maul und keine Horn'. . . . meck, meck, meck!" "Was will er hier?" — die Kuh. "Seine langen Ohren strecken!" — der Bock. "Wenn´s ihn nur nicht reut!" — die Kuh. Es entstand eine Pause und der Riepl klapperte mit den Zähnen. Nach einem Zeitl (einiger Zeit) begann folgendes Gespräch: Die Kuh: "Was bringt das neue Jahr?" Der falbe Ochs: "Muh, muh, muh — Fasnacht, Schnee, Peterstag viel Heu, Jakobi schweren Hagel. Die Kuh: "Was noch?" Der braune Ochs: "Dem Bauer Zwilling in die Wieg'n;aus dem Haus ein Paar — und ein halbes." Die Kuh: "Wieso? Wieso?" Der braune Ochs: "Die Nandl mit dem jungen Birnhofer — und der Riepl mit der einaugerten Thrine. "Ein Schaf: "Nicht wahr, nicht wahr! — Der Riepl kriegt die Nandl. "Der Bock: "Meck, meck, meck — die Nandl kann gut foppen; der alte Krampen ist ihr z'dumm; sie macht ihm`s Maul und nimmt den andern." Die Kuh: „Ist´s wahr? Ist´s wahr?" Bock und Ochs und Kalb: "Auf´s Haar, auf´s Haar, auf´s Haar." Das Schaf: "Der Riepl nimmt die Thrine nicht." Der Bock: "Aber die Thrine nimmt den Riepl! — Meck, meck, meck." Die Kuh: "Wie geht die Geschichte weiter mit der Thrine und dem Riepl?" Der Bock: "Bei der Hochzeit hat er Flausen, nach vierzehn Tag 's Grausen, nach einem Vierteljahr tut sie ihn hussen, und über´s Jahr kriegt er Pumpernussen." Die Kuh: "Ist´s wahr? Ist´s wahr?" Bock und Ochs und Kalb: "Auf´s Haar, auf´s Haar, auf´s Haar." Es entstand eine lange Pause. Der Riepl ballte die Fäuste. Am liebsten wäre er herausgesprungen und hätte den Bock bei beiden Ohren genommen. Aber er wagte nicht, sich zu regen. Jetzt sagte die Kuh: "Die Stund  ist aus, gute Nacht!" "Gute Nacht! Gute Nacht!" schollen viele Stimmen durcheinander. Zuletzt kam noch der Bock: "Gute Nacht, meck, meck. . . Glückseliges neues Jahr! meck, meck!" Dann herrschte Stille. Nach langer Zeit stieg der Riepl vorsichtig aus dem Barren und kroch auf allen Vieren aus dem Stall.





Als er fort war, wurde es lebendig. Drei dunkle Gestalten kamen hinter den Futterkrippen hervor und hielten sich den Bauch vor Lachen. Es waren der Bauknecht vom Tengelhofer und zwei Burschen aus der Nachbarschaft. Am nächsten Tag, beim festlichen Weihnachtsmahl, saß der Blaser-Riepl wie ein begossener Pudel hinter dem Tische. Er schaute weder links noch rechts, steckte seine Nase tief in die Schüssel und sprach kein Wort. Die anderen Dienstboten neckten und stichelten, — der Bauknecht lachte, dass ihm die Tränen über die Wangen rollten. Da reichte Thrine, die Stalldirn, dem Riepl einen süßen Krapfen herüber und sagte: "Aber Riepl, du machst heut ein Leichenbittergesicht! — Da, iss einen süßen Krapfen — der hilft gegen Herzbrennen!" Der Riepel wurde putenrot, riss den Kopf in die Höhe, warf der Thrine ihren Krapfen mitten ins Gesicht und schrie: "Alte Flatter, du Garstige mich kriegst nicht, und magst dein Katzenauge noch so scheinheilig verdrehen!" Die Thrine spreizte ihre Finger auseinander und wollte dem Angreifer in die Haare schießen; aber Nandl hielt die Rasende zurück und sagte vorwurfsvoll zum Großknecht: "Riepl, was treibst denn? Bist ganz aus dem Häusl?" Da schrie der Riepl aus vollem Halse: "Larve, du falsche! Mit dir red ich überhaupt nichts mehr, — kannst einen andern foppen und dir selber das Maul machen — wir sind miteinander fertig, ein für allemal!" Es gab einen gewaltigen Lärm und Tumult, die Nandl lief weinend zur Türe hinaus. Nun setzte der Bauer eine ernste Miene auf und erklärte: "Riepl, meine Leute lass ich nicht schimpfen, dass du´s weist! Ich mein, du bist wieder einem Schalksnarr auf den Leim gegangen und die Unschuldigen müssen es entgelten." Der Riepl aber schrie: "Ich weiß schon, was ich weiß, und will dir auch was erzählen, wenn du neugierig bist. — Kannst dir eine große Wiege richten, oder gar zwei — bekommst zwei junge Quartierleut. Um Fasnacht macht´s einen großen Schnee und um Jakobi tut´s schauern. Jetzt siehst, dass ich etwas weiß. "Aller Augen richteten sich besorgt auf den Riepl, während der Bauer mit dem Finger nach dem Hirnkasten deutete; — der Bauknecht aber lachte immer noch. Endlich sagte er: "Riepl, bist am End gar heute Nacht im Stall gewesen und hast dir vom Vieh die Neuigkeiten erzählen lassen?" "Das geht niemand nichts an!" knurrte der Riepl. Nun lachten alle wieder zusammen. Die Geschichte war jetzt klar und das Rätsel gelöst. Die Bäuerin aber sprach: "Ein guter Christ geht in der Heiligen Nacht zur Kirche und nicht in den Stall, um sich vom bösen Feind allerlei Träume vorgaukeln zu lassen." Zornig entgegnete der Riepl: "Ich weiß, was ich weiß!" Damit rannte er fort und schlug die Türe hinter sich zu. Vierzehn Tage später trat beim Tengelhofer richtig ein freudiges Ereignis ein — aber es erschienen nicht zwei Buben, sondern ein Mädchen. Der Riepl stutzte. — Sollte der Malefizbock gelogen haben? Am nächsten Sonntag wurde der Birnhofer verkündet, aber nicht mit der Nandl, sondern mit der Rauch-Stine. — Nun verlor der Riepl alle Fassung. Wie ein armer Sünder kam er zur Nandl und bat um Verzeihung. — Das verlogene Bockvieh, dem er noch den Hals umdrehen wolle, habe ihn betrogen und das Unheil verschuldet. Die Nandl wusste bereits alles vom Bauknecht. Sie hatte lange schon gewartet, dass der Riepl komme. Anfangs schmollte sie und stellte sich gekränkt. Dann hielt sie dem Riepl eine gesalzene Predigt über das erste Gebot Gottes. Schließlich zündete sie ihm noch ein großes Licht auf und der Riepl fasste einen bitteren Grimm auf den Bauknecht.
Trotzdem wurde der Bauknecht dem Riepl sein Hochzeitslader und nach vier Wochen gab es eine lustige Heirat. Die Nandl und der Riepl sind heute ein glückliches Ehepaar.


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