Freitag, 25. August 2023

Not und Elend in turbulenten Zeiten.

In der Linzer Tages-Post und im Wiener Tagblatt  konnte man folgende Artikel lesen. Sie wurden etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Prielkreuz Gemälde von E.T. Compton

(Linzer) Tages-Post 12. Januar 1922
Schiunglück oder Verbrechen.
Aus Gößl bei Bad Aussee wird uns berichtet: Ein in Sportkreisen bekannter
Hamburger, Herr Othmar, der sich derzeit in Österreich aufhält, ist auf einer
Schitour, die er allein von Hinterstoder aus über das Tote Gebirge machen
wollte, schwer verunglückt. Othmar dürfte Infolge des einsetzenden Tauwetters
seine Tour rasch noch erledigen haben wollen und dürfte die Absicht gehabt
haben, über den Brotfall und das Prielplateau, nach Elmgrube und Gößl zu fahren,
geriet jedoch in das sogenannte Feuertal, wo er am 7. Januar schwer verwundet
gefunden wurde. Schneeschuhläufer, die ebenfalls nach Bad Aussee wollten,
bemerkten im Schnee einen zirka 100 Meter langen Blutstreifen, der in
abschüssiger Richtung gegen das Feuertal zeigte. Die Leute befürchteten
sofort ein Unglück und fanden, als sie dieser entsetzlichen Markierung
nachgingen, bei einem Steinblock liegend, den Verunglückten.

Othmar war vollständig bei Besinnung, obwohl er eine große Menge Blut
verloren hatte. Allerdings verlor er kurze Zeit darauf, nachdem man ihn
auf eine aus Schi zusammengestellte Tragbahre gelegt hatte, sein Bewusstsein.
Es wird gezweifelt, ob Othmar mit dem Leben davon kommen wird, zumal schwere innere Verletzungen festgestellt wurden. Merkwürdig ist, dass der
verunglückte Schiläufer weder Geld noch eine Uhr hatte, obwohl ein Bergführer
der sich Othmar zur Führung antrug, bestimmt behauptet, dass Othmar eine
„gut gefüllte" rote Juchtenlederbrieftasche und eine Armbanduhr gehabt hätte,
da er den Führer frug, in wie viel Stunden es möglich wäre, Gößl zu erreichen,
wobei er den Sweater zurückstreifte und auf die Uhr sah. Gleich darauf
sei er allein aufgebrochen. Diese Umstände würden ein Verbrechen nicht
ausgeschlossen machen und es wird Sache der Untersuchung sein, die näheren
Umstände aufzuklären.
Ein in Hamburg lebender Bruder des Verunglückten wurde telegraphisch verständigt.
— Diese etwas geheimnisvolle Nachricht über das Schiunglück ist jedenfalls mit
einiger Vorsicht aufzunehmen.

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Anfang der 1920er Jahre, in den Zeiten der Hyperinflation, in der die Geldscheine täglich rasant an Kaufkraft verloren, waren viele Gemeinden, wie auch Hinterstoder gezwungen, eigene Geldscheine drucken zu lassen. Das sogenannte Notgeld. Die Währung waren Kronen und Heller.
1 Krone hatte 100 Heller.
Im Jahr 1924 ging die Republik Österreich zur Schillingwährung über.
Aus 10 000 Kronen wurde 1 Schilling. 

(Linzer) Tages-Post 22. Juni 1920
Das von der Gemeinde Hinterstoder zur Ausgabe gelangende Notgeld (Entwurf von E.T. Compton) wird in allernächster Zeit ausgegeben und in Verkehr gesetzt. Es wollen sich alle diejenigen, welche bereits Notgeld bei der Gemeinde
Hinterstoder bestellten und Geld hierfür eingesandt haben, noch kurze
Zeit gedulden, da das Notqeld demnächst fertiggestellt ist und nach
Einlangen sofort an die Besteller abgesendet wird.
Die Gutscheine werden folgende Bilder tragen: 10er Scheine das
Prielkreuz, 20er Scheine die Spitzmauer, 50er Scheine die Polsterlucke.
Die Ausführung ist eine sehr gediegene und gute und diese Notgeldserie
wird gewiss jedem Sammleralbum eine Zierde sein.

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Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe) 4. August 1939
Am Samstag, den 5.8.1939 findet in den Bergen von Hinterstoder eine
Gedenkfeier für den im Jahre 1934 beim Hissen einer Hakenkreuzfahne
tödlich verunglückten illegalen Ortsgruppenleiter der NSDAP- von Hinterstoder
Karl Weigerstorfer statt, der in der damaligen schweren Zeit mit seinen großen
Propagandaaktionen beispielgebend wirkte. Von den mächtigen Bergwänden des
Stodertales grüßte fast an jedem neu erwachenden Tag ein neues mächtiges
Hakenkreuz das Tal. In schwerer Kletterei in kalten Nächten, mit dem Farbkübel
oder mit eingerollten Fahnen, stieg Weigerstorfer mit seinen SA-Kameraden
in die schwersten Wände ein und brachte die Zeichen der Bewegung an Stellen
an, wo sie die Hüter des damaligen Systems auch bei Tag sich nicht zu entfernen
getrauten. Eines Tages nun kam Weigerstorfer von einer solchen Kletterei nicht
mehr zurück. Man fand ihn zwanzig Meter unter der wehenden Fahne, die er
vorher noch gehißt hatte, an einer Felswand, von der er abgestürzt war
tot auf. An dieser Stelle soll nun ein würdiges Ehrenmal errichtet werden.
 

Freitag, 18. August 2023

Nachdenklich werden manche alten Zeitungsartikel gelesen.

Im Linzer Volksblatt, in der Salzkammergut Zeitung, und im Salzburger Volksblatt  konnte man folgende Artikel lesen. Sie wurden etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.



Linzer Volksblatt 2. August 1901
Hinterstoder, 31. Juli. Von der Almwirtschaft.
Eine bedauerliche Erscheinung ist die fortwährende Abnahme der Almwirtschaften. Eine Almhütte nach der anderen fällt dem Jagdsport zum Opfer. So werden die schönen Almen des Rottales heuer zum letzten mal betrieben.
Eine Alm dieses Tales wurde bereits heuer nicht mehr betrieben. Das Vieh, das sonst dort weidete, brach nun »eigenmächtig« nach dieser Alm durch und war nur mit  großer Anstrengung wieder fortzubringen.
Es ist nun zu begreifen, dass der Gebirgsbewohner in seinem wirtschaftlichen Notstand dem Zauber des blanken Geldes erliegt, aber er gibt mit der Alm einen Teil seiner Freiheit und Selbständigkeit hin und je häufiger dieser Verkauf wird, desto größer muss naturgemäß die Abhängigkeit der gesamten Gebirgsbevölkerung von den Jagdherren werden.

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Salzkammergut-Zeitung 23. September 1900
Maria Kumitz, 16. September 1900.
Unter den vielen Wallfahrern befand sich heute bei unserem Kirchenfest auch der Schmiedsohn I. Sch. von Hinterstoder und dessen greiser, 79jähriger Vater. Der lange, teilweise beschwerliche Wallfahrtsweg der Beiden (von Hinterstoder über den Salzsteig nach Maria Kumitz) war ein Dank und Bittopfer, denn der Sohn kam vor fünf Wochen dem Transmissionsriemen des Gebläsegetriebes beim Einölen so nahe, dass der rechte Arm erfasst, wie eine Wurst gedreht und viermal gebrochen wurde. Und nach dieser kurzen Frist ist wieder Leben in den Fingern und etwas Bewegung im Ellbogen und in der Schulter.
Darum war die Wallfahrt ein Dank, sie ist aber auch eine Bitte, um durch die mächtige Fürbitte der Schmerzensmutter die vollständige Heilung zu erflehen, welche wir dem guten Schmiedsohn vom Herzen wünschen, denn er ist ein eifriger Marienverehrer, indem er schon viele Jahre mit Vater und Bruder die Leitung der so beschwerlichen Stodererwallfahrt auf sich genommen hat.
Auch der Bauernsohn von Tauplitz, von dem wir berichteten, dass ihm die Sense bis an das Bein des Unterarmes drang, geht seiner Genesung entgegen.

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Linzer Volksblatt 27. Oktober 1903
Gemeindewahlen. Man schreibt uns aus Hinterstoder, 24. Oktober1903.
Bei der heute stattgehabten Bürgermeisterwahl wurde Stephan Ramsebner, Besitzer des Nickergutes, eine stattliche Persönlichkeit, zum neuen Bürgermeister von Hinterstoder gewählt. Dieser Neuwahl wohnt insofern eine besondere Bedeutung inne, als sie zeigt, dass das Vertrauen der Bevölkerung sich allgemach anderen Männern als bisher zuzuwenden beginnt.
Es ist schließlich auch kein Wunder, wenn Männer, die als Gegner von so gemeinnützigen Anstalten wie die Raiffeisenkassa eine ist, dastehen, das Vertrauen nicht so genießen, wie sie es wünschen. Die vor etwa drei Wochen stattgefundene Gemeindeausschusswahl erregte diesmal allgemeine Befriedigung durch den Umstand, dass wir endlich einmal eine wirklich geheime Wahl hatten und niemand mehr Ursache zu irgend einer Klage hatte.
Diese sehr angenehme Wendung wird allgemein dem Bestreben des gewesenen Gemeinderates Doktor der Medizin Adolf Hauer zugeschrieben. Allgemein beklagt man es, dass genannter Herr Doktor mit seinem fast klassischen und seltenen Rechtlichkeitssinn den neuen Gemeinderat nicht mehr ziert.

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Kriegerdenkmal

Salzburger Volksblatt: unabh. Tageszeitung f. Stadt u. Land Salzburg 15. Mai 1925
Die schwersten Blutopfer aller deutschöstereichischen Gemeinden hat im Kriege
Hinterstoder gebracht. Die Zahl der Gefallenen Hinterstoders beträgt 64, das sind 51 Prozent aller Gemeindekinder, die an der Front standen. Am 29. Juni (Peter und Paul) wird Hinterstoder seinen Blutzeugen ein Kriegerdenkmal enthüllen.

Freitag, 11. August 2023

Was früher die Stodertaler bewegte.

In der  Neuen Zeit, in der (Linzer) Tages-Post und im Grazer Tagblatt konnte man folgende Artikel lesen. Sie wurden etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst. 

Hinterstoder

Vorderstoder

 
Neue Zeit 17. Februar 1950
Sänger gegen Bauer.
Eine Verhandlung in Wien gegen den wegen Körperbeschädigung angeklagten Opernsänger Otto Braun‚ einen fast zwei Meter großen, breitschultrigen Mann endete gestern mit dem Freispruch des Beschuldigten. Als Braun mit seinem Wagen auf einer sehr schmalen Straße nach Hinterstoder fuhr, begegnete er dem Fuhrwerk des Bauern Pernkopf, der in seinem Heimatdorf als streitsüchtig gilt.

Obwohl Braun mit seinem Wagen stehenblieb‚ um den Bauern vorbeifahren zu lassen‚ wurde er von Pernkopf beschimpft. Braun stieg nun aus seinem Wagen und schüttelte Pernkopf am Rockkragen. Einen Tag später suchte der Bauer einen Arzt auf und behauptete dass ihm vom Sänger eine Rippe gebrochen worden sei. Es gelang jedoch durch ein Gutachten dem Bauer nachzuweisen‚ dass es sich um einen alten, nicht ausgeheilten Rippenbruch handelt.

(Linzer) Tages-Post 25. Januar 1906
Konzessions-Erteilung.
Dem Realitäten-Besitzer Georg Julius Schachinger
in Hinterstoder wurde die Konzession für eine elektrisch zu betreibende
Kleinbahn von der Station Dirnbach- S t o d e r der Pyhrnbahn nach Hinterstoder im Sinne der bestehenden Normen auf die Dauer eines Jahres verliehen.

(Linzer) Tages-Post 27. November 1890

Unser Gemeindearzt.
Jeder Freund Windischgarstens muß peinlich berührt werden, wenn er erfährt, dass der dortige, einzige und langjährige Arzt Herr Dr. Oskar Lerperger sich veranlasst sieht, Windischgarsten zu verlassen und sich in einem Ort des Kronlandes Salzburg niederzulassen entschlossen ist.
Wer mit den Verhältnissen Windischgarstens und dessen Umgebung vertraut ist, muss wohl wissen, welch beschwerliches, mühevolles und zugleich wenig einträgliches Terrain diese Gegend für den ärztlichen Beruf ist. Trotz seiner dornenvollen Lebensaufgabe hat Herr Dr. Lerperger während seines fast 15jährigen Hierseins sein schweres Amt mit unvergleichlicher Gewissenhaftigkeit versehen. Der ganze Gerichtsbezirk Windischgarsten von der Grenze Steiermarks bis zur Steyr und über diese hinaus, samt Vorder- und Hinterstoder hatte lange Jahre in Dr. Lerperger seinen einzigen Arzt und trotz dieses weiten Umkreises war Lerperger für jeden Kranken zu haben, der ihn an sein Lager rief. So gab es wohl der Nächte genug, in denen der pflichttreue Arzt in die weit entlegendsten Gebirgsbauern-Herbergen pilgerte, wenn auch der Erkrankte der Ärmsten einer war und nicht selten konnte er erst nach Wochen wieder daran denken, dass er nicht nur Arzt, sondern auch Familienvater ist um sich den seinen einige Stunden zu widmen.
Nun bei solchen Mühseligkeiten und Entbehrungen hat auch die ärztliche Praxis hier ihren Mann ernährt, aber das „Wie" kann sich jeder Unbefangene selbst ausmalen. Man darf überdies nicht vergessen, dass der erkrankte Bauer gleich nach seiner Genesung nicht immer in der Lage war den Arzt zu honorieren, dass er oft mit dem besten Willen nicht kann und so oft jahrelang die Krankenkosten schuldet, überdies wird ja kein Kreuzer unlieber gezahlt als für den Arzt und die Medizin. Nun sind auch die ärztlichen Chirurgate in Spital am Pyhrn und Stoder wieder besetzt und es ist nun natürlich, dass diese Besetzungen mit Ärzten einen bedeutenden Entgang am sauer erworbenen Budget des Doktors in Windischgarsten bedeuten und die Rentabilität der ärztlichen Praxis für Windischgarsten und nächste Umgebung allein eine sehr geringe ist.

So hat sich Herr Dr. Lerperger gezwungen gesehen die Gemeindevertretung von Windischgarsten um eine Subvention als Gemeindearzt zu bitten, ohne die ja heute fast kein graduierter Arzt mehr sich in kleinen Orten niederlässt und welche in anderen Kronländern, besonders in Tirol und Vorarlberg, in ausgiebiger Weise zuerkannt werden. Leider hat sich die hiesige Gemeindevertretung nicht bestimmt gefunden, eine auch nur bescheidene Subvention zu gewähren und so kommt es, dass Herr Dr. Lerperger einen anderen Ort, der ihm ein besseres Einkommen garantiert, zu wählen sich entschlossen hat. Doch nein, noch ist es unglaublich, dass Windischgarsten seinen einzigen, so tüchtigen und hochverdienten Doktor ziehen lässt, dem es zu vielem Dank verpflichtet ist; denken wir nur an die letzte Influenza-Epidemie, wo der selbst an schwerer Lungenentzündung erkrankte Arzt sogar die zu seinem Krankenbett geeilten Patienten nicht ziehen ließ, ohne ihnen den erbetenen ärztlichen Rat erteilt zu haben. Wir hoffen sicher, Windischgarsten wird noch in letzter Stunde alles aufbieten und selbst ein Opfer nicht scheuen, um seinen erfahrenen Arzt, zu dem sich jeder Ort nur gratulieren kann, nicht zu verlieren.

Grazer Tagblatt 10. Februar 1929
Wir werden älter.
Wir leben länger! Wir werden älter! Unsere durchschnittliche Lebensdauer hat sich in den letzten 50 Jahren um 20 Jahre verbessert. Der Beweis? Werfen wir einen Blick in die Statistik.
Von 1871 bis 1880 war das Durchschnittsalter der Männer 35,6 Jahre, das der Frauen 38,5 Jahre.
Von 1901 bis 1910 wurden die Männer durchschnittlich 44,8 und die Frauen 48 Jahre alt.
Von 1924 bis 1926 bringen es die Männer auf durchschnittlich 56, die Frauen auf 58,8 Jahre.
Wer einmal aus den Kinderkrankheiten heraus ist, wer zum Beispiel das 20. Lebensjahr erreicht hat, dem geht es noch besser. Von 1871 bis 1880 wurden die 20jährigen Männer durchschnittlich 58 Jahre alt. In den Jahren 1910 bis 1921 brachten sie es bereits auf 63 Jahre. Die Frauen sind beim alt werden den Männern immer um 2 bis 4 Jahre voraus. Diese Zahlen beweisen, dass die Lebenshaltung sich erheblich gebessert hat.

Lebenserwartung 2020 lt. Statistischem Bundesamt Deutschland:
Männer 78,5 Jahre. Frauen 83.4 Jahre.

Freitag, 4. August 2023

In 100 Jahren hat sich manches geändert, manches nicht.

Im Tagblatt und in der (Linzer) Tages-Post konnte man folgende Artikel lesen. Sie wurden etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst. 


Tagblatt 26. November 1919
Zu der Postmisere. Aus Vorderstoder schreibt man uns :
Man will uns ganz von der Welt abschneiden. Haben wir schon die Fußbotenverbindung zur Station Pießling verloren, so will man uns jetzt auch die Fahrpost nach Windischgarsten nehmen. Interessant ist der Gedankengang der hohen Herren bei der Linzer Postdirektion: Für die Fahrpost von Windischgarsten nach Vorderstoder werden für Wagen und Fuhrmann täglich 20 Kronen 
(1 Krone = 2€) gezahlt. Dass dies eine lächerliche Bezahlung ist, ist für jeden Menschen einleuchtend, sogar um 20 K Reisediäten ging keiner dieser Herren herein, aber für eine Volksnotwendigkeit will man nicht mehr hergeben. 

Dem Fußboten, der nun von Hinterstoder nach Vorderstoder gehen soll, aber erst dann, nachdem er in Hinterstoder seinen Rayon abgegangen hat, will man für diesen Weg, der im Sommer hin und zurück drei Stunden, im Winter bei knietiefem Schnee vier und mehr Stunden dauert, sage und schreibe 5 K bezahlen. Dabei hat er die Postbeutel und alle Sachen bis fünf Kilogramm zu tragen. Ein Paar Schuhe kosten derzeit 200 K und dürften, nachdem der Preis der Häute ab Fleischhauer auf 15 K per Kilogramm erhöht wurde (bisher 2 K 30 bis 8 K), auf 800 und vielleicht mehr kommen. Wenn der Bote ein halbes Jahr täglich damit geht, so sind sie hin und er hat 900 K nicht ganz verdient. Zum Glück ist der Bote bei diesem Verdienst herrlich „verhungert".
Solche Ansichten werden von staatlichen Ämtern im zweiten Jahr der Republik vertreten! Will man wirklich das Volk zum Äußersten reizen. 

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Oberjäger Prause

(Linzer) Tages-Post 25. Oktober 1876
Eine Prielpartie mit Hindernissen.
Für gewöhnlich nimmt man den September als geeignetsten Monat für größere Bergpartien. Wir beabsichtigten daher unsere längst projektierte Partie auf den großen Priel und das Tote Gebirge zum Grundlsee im Laufe desselben auszuführen. Doch von Woche zu Woche mussten wir dieselbe in Folge des konstant schlechten Wetters verschieben. Dem Barometer wurde eine Aufmerksamkeit erwiesen wie nie zuvor, doch mit einer wahrhaft klassischen Ruhe verharrte dasselbe in seiner gesunkenen Stellung. Wir aber hatten es uns in den Kopf gesetzt heuer noch den Priel zu besteigen und sollte es November werden. Unsere Ausdauer wurde denn auch belohnt,denn gleich Ende September begann eine Serie von so wunderbar schönen und reinen Tagen, wie wir sie heuer noch nicht hatten. Wir beeilten uns demnach unsere Ruckssäcke zu schnüren und uns auf die Beine zu machen.
Am 2. Oktober, abends 10 Uhr in Hinterstoder angekommen, wollten wir anfangs die prachtvolle Mondnacht benützen und nach kurzem Aufenthalt aufsteigen, um bei Tagesanbruch oben zu sein. Wir änderten jedoch später unseren Plan und brachen erst morgens auf. Der erste Gedanke ist fast immer der beste, wir hätten uns viel Ärger erspart, wenn wir dabei geblieben wären. Da wir alle drei geübte Bergsteiger sind, wären wir um 10, längstens 11 Uhr oben gewesen und somit da es zu dieser Jahreszeit um Mittag am wärmsten ist, gerade zur günstigsten Zeit. Doch es sollte anders kommen.
Schon beim Weggehen erzählte uns der Führer, dass heute der Herr Prinz von Württemberg mit mehreren seiner Gäste am Priel eine Gemsjagd abhalten werde, dass der erste Trieb um den Brotfall herum stattfinde und dass, wenn wir jetzt aufstiegen, wir wohl die Jagd beeinträchtigen könnten. Wenn wir jedoch eine oder höchstens anderthalb Stunden warten möchten, so wäre der erste Trieb vorüber und wir könnten der Jagd nicht mehr schaden. Da wir durchaus keine böswilligen Menschen sind und niemanden, ob hoch oder nieder, eine Freude verderben wollen, da wir auch einsahen, dass unser Führer Ursache haben möge, sich mit den Jägern nicht zu verfeinden, beschlossen wir aus freiem Antrieb in der Salmer Alm, wo wir ungefähr um 6 Uhr anlangten, Station zu machen um den ersten Trieb abzuwarten. Da diese Jagden, wie uns der Führer sagte, immer zeitlich Früh abgehalten werden, vermuteten wir die Jagdgesellschaft längst oben; machten es uns daher in der erwähnten Alm so bequem als möglich und ließen uns die aus Erbswurst bereitete Suppe trefflich schmecken. Doch diesmal schienen sich die Herrschaften etwas verschlafen zu haben, denn wir waren schon längere Zeit daselbst, als wir die selben erst heraufkommen sahen.
Der Oberjäger Prause, wie er uns genannt wurde, ging ohne uns zu grüßen, direkt auf uns zu und schnauzte unsern Führer an: „Was machen Sie da? Kommen Sie herunter oder gehen Sie hinauf?“ Auf die Antwort, dass wir erst hinaufgingen und ohnedies schon längere Zeit hier warten, um die Jagd nicht zu schädigen, replizierte Herr Prause mit Entfaltung von möglichst noch mehr Grobheit in Ton und Gebärden: „Das geht nicht, sie dürfen nicht hinauf." Sprachs und zog, natürlich wieder ohne zu grüßen, mit der übrigen Gesellschaft weiter. Dass wir über diese Szene, die sich unendlich rasch abwickelte, ganz paff waren, wird jeder Mensch begreifen. Ich ließ mich erst durch meinen Kalender überzeugen, dass ich mich bezüglich des Jahrhunderts in dem wir leben, nicht täusche, betrachtete dann die Umgebung, ob keine Ritterburgen mit gähnenden Burgverliesen bereit sind uns aufzunehmen oder andere Merkmale des Mittelalters zu sehen wären.— Doch alles stimmte, es war keine Täuschung, wir lebten wirklich im Jahre 1876. Ein Irrtum unsererseits war nur der, zu glauben, dass man das Besteigen der Berge niemanden verwehren könne und dass, wenn man von jemanden eine Gefälligkeit erwartet, man demselben höflich entgegenkommen müsse. Diesen Irrtum muss man aber wohl unserem beschränkten bürgerlichen Fassungsvermögen zu Gute halten. Nach der eben erhaltenen Probe von Rücksichtslosigkeit hielten uns auch wir nicht mehr länger gebunden und beschlossen, eventuell ohne Führer unseren Weg fortzusetzen. Wir waren aber kaum eine halbe Stunde gegangen, da trafen wir schon auf einen Jäger, der uns bedeutete, er habe strengen Auftrag uns nicht weiter zu lassen. Ob sein Auftrag auch dahin lautete, uns nötigenfalls niederzuschießen, wollten wir nicht erst erproben. Uns war klar, dass hier Gewalt vor Recht gehe und dass wir nur riskierten, auch noch geprügelt zu werden, wenn wir uns nicht gutwillig fügten.

Und so wurde es glücklich 2 Uhr bis wir unbeanstandet den Aufstieg fortsetzen konnten. Wir müssen natürlich annehmen, dass den hohen Herrschaften dieses, jedem Rechtsgefühl und der gewöhnlichsten Lebensart Hohn sprechende Benehmen ihres Jägers, ganz entgangen sei. Ja wir glauben sogar überzeugt sein zu dürfen, dass dieselben, die doch das ganze Jahr ihrem Vergnügen nachzugehen in der angenehmen Lage sind, einer bescheidenen Touristengesellschaft, die sich das Vergnügen einer solchen Partie vielleicht einmal des Jahres erlauben kann und aus weiter Ferne deshalb herkommt, dieses Vergnügen selbst auf Kosten einer minder guten Jagd nicht missgönnen würden. Wir fühlten uns hauptsächlich deshalb veranlasst, diese Zeilen niederzuschreiben, weil vielleicht außer uns noch manch andere Touristen die irrtümliche Ansicht hegen, dass das Besteigen der Berge jederzeit zu den erlaubten Handlungen gehöre. Es ist uns zwar kein diesbezüglicher Gesetzesparagraph bekannt, doch hat vielleicht das Jagdgesetz einen geheimen Nachtrag über die „Schonzeit der Berge". Wir möchten dringend ersuchen, falls ein solcher existiert, denselben zu veröffentlichen. Unter solchen Umständen würde es sich auch sehr empfehlen, den verschiedenen Touristen - und Alpenvereinen das Errichten von Schutzhütten und das Verbessern der Wege zu untersagen, sowie die konzessionierten Führer abzuschaffen, um nicht noch mehr Fremde nach Österreich zu locken. Die Schweiz hat ohnedies Berge genug zum Besteigen und die Leute dort sind sogar so einfältig, die Fremden höflich zu behandeln.
Wie wir nachträglich erfuhren, war dieser Tag den Gemsen günstiger als den Schützen, da von den vielen Gemsen, die wir hätten verscheuchen können, trotz der vielen Schüsse, die wir hörten, keiner ein Haar gekrümmt wurde. Auch erfuhren wir, dass wir nicht die einzigen Internierten an diesem Tage waren. Denn den Schafen des Besitzers der Salmeralm wurde auch an diesem Tage das Botanisieren verboten. Doch scheint diese Maßregel, da bekanntlich Gemsen und Schafe ganz kollegial verkehren, mehr im Interesse der Letzteren, vielleicht aus Misstrauen gegen einen oder den anderen Schützen verfügt worden zu sein. Um nun wieder auf unsere Partie zu kommen, fügen wir nur noch bei, dass wir ungefähr um 5 Uhr auf der Spitze ankamen. Die Fernsicht war noch immer hübsch, doch die schönsten Stunden waren verloren. Nach Sonnenuntergang stiegen wir bei Mondbeleuchtung wieder ab. Da uns der Führer von der Partie über das Tote Gebirge abriet, änderten wir unseren Plan und gingen anderen Tags über den Salzsteig zum Grundlsee, wo wir abends um 8 Uhr ankamen. Der Tag war möglichst noch schöner, als die früheren und da wir keiner Jagdgesellschaft begegneten, erreichten wir unser Ziel ganz unbehelligt. Diese Tour ist jedem anzuempfehlen, der einen zweistündigen beschwerlichen Aufstieg und eine zehnstündige Wanderung nicht scheut.
Seit dieser Partie habe ich auch von dem Nutzen der Wallfahrten eine viel bessere Meinung als früher. Ich bemerkte nämlich an den gefährlichsten Punkten beim Aufstieg am Salzsteig neu angebrachte Verbesserungen, wie in den Felsen gehauene Stufen, eiserne Handhaben etc. Natürlich glaubte ich darin das Werk einer touristischen Gesellschaft zu finden, doch machten mich bald verschiedene Zeichen und unorthographische Heiligennamen in meiner Vermutung irre. Auf mein Befragen erfuhr ich denn auch vom Führer, dass diese Verbesserungen von einem gottesfürchtigen Mann aus der Landeshauptstadt herrühren. Es existiert nämlich jenseits der Berge ein Wallfahrtsort (Maria Kumitz) wohin die Leute aus Hinterstoder gern pilgerten. Da aber der betreffende Heilige, welchen man dort verehrt, nicht die Eigenschaft hat, den Schwindel zu verscheuchen, traute sich niemand mehr hinzugehen, bis der erwähnte Wohltäter den Weg verbessern ließ.
Wir benützten nun dir herrliche Mondnacht zu einer Fahrt über den Grundlsee, gingen dann nach Aussee. Nächsten Tages nach Altaussee, wo wir uns vom Anblick des Dachsteins kaum trennen konnten und dann weiter über Steinach, Selzthal und Admont durch das Gesäuse nach Hause. Den Ärger, den uns die unterbrochene Privatpartie verursachte, hatten wir bald überwunden und heute haben wir nur mehr die angenehmsten Erinnerungen an diese herrlichen Tage.

Nur wenn ich zufällig irgendwo lese oder sagen höre: Auf den Bergen wohnt die Freiheit,— denke ich mir meinen Teil.