Freitag, 4. August 2023

In 100 Jahren hat sich manches geändert, manches nicht.

Im Tagblatt und in der (Linzer) Tages-Post konnte man folgende Artikel lesen. Sie wurden etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst. 


Tagblatt 26. November 1919
Zu der Postmisere. Aus Vorderstoder schreibt man uns :
Man will uns ganz von der Welt abschneiden. Haben wir schon die Fußbotenverbindung zur Station Pießling verloren, so will man uns jetzt auch die Fahrpost nach Windischgarsten nehmen. Interessant ist der Gedankengang der hohen Herren bei der Linzer Postdirektion: Für die Fahrpost von Windischgarsten nach Vorderstoder werden für Wagen und Fuhrmann täglich 20 Kronen 
(1 Krone = 2€) gezahlt. Dass dies eine lächerliche Bezahlung ist, ist für jeden Menschen einleuchtend, sogar um 20 K Reisediäten ging keiner dieser Herren herein, aber für eine Volksnotwendigkeit will man nicht mehr hergeben. 

Dem Fußboten, der nun von Hinterstoder nach Vorderstoder gehen soll, aber erst dann, nachdem er in Hinterstoder seinen Rayon abgegangen hat, will man für diesen Weg, der im Sommer hin und zurück drei Stunden, im Winter bei knietiefem Schnee vier und mehr Stunden dauert, sage und schreibe 5 K bezahlen. Dabei hat er die Postbeutel und alle Sachen bis fünf Kilogramm zu tragen. Ein Paar Schuhe kosten derzeit 200 K und dürften, nachdem der Preis der Häute ab Fleischhauer auf 15 K per Kilogramm erhöht wurde (bisher 2 K 30 bis 8 K), auf 800 und vielleicht mehr kommen. Wenn der Bote ein halbes Jahr täglich damit geht, so sind sie hin und er hat 900 K nicht ganz verdient. Zum Glück ist der Bote bei diesem Verdienst herrlich „verhungert".
Solche Ansichten werden von staatlichen Ämtern im zweiten Jahr der Republik vertreten! Will man wirklich das Volk zum Äußersten reizen. 

                                                        ********

Oberjäger Prause

(Linzer) Tages-Post 25. Oktober 1876
Eine Prielpartie mit Hindernissen.
Für gewöhnlich nimmt man den September als geeignetsten Monat für größere Bergpartien. Wir beabsichtigten daher unsere längst projektierte Partie auf den großen Priel und das Tote Gebirge zum Grundlsee im Laufe desselben auszuführen. Doch von Woche zu Woche mussten wir dieselbe in Folge des konstant schlechten Wetters verschieben. Dem Barometer wurde eine Aufmerksamkeit erwiesen wie nie zuvor, doch mit einer wahrhaft klassischen Ruhe verharrte dasselbe in seiner gesunkenen Stellung. Wir aber hatten es uns in den Kopf gesetzt heuer noch den Priel zu besteigen und sollte es November werden. Unsere Ausdauer wurde denn auch belohnt,denn gleich Ende September begann eine Serie von so wunderbar schönen und reinen Tagen, wie wir sie heuer noch nicht hatten. Wir beeilten uns demnach unsere Ruckssäcke zu schnüren und uns auf die Beine zu machen.
Am 2. Oktober, abends 10 Uhr in Hinterstoder angekommen, wollten wir anfangs die prachtvolle Mondnacht benützen und nach kurzem Aufenthalt aufsteigen, um bei Tagesanbruch oben zu sein. Wir änderten jedoch später unseren Plan und brachen erst morgens auf. Der erste Gedanke ist fast immer der beste, wir hätten uns viel Ärger erspart, wenn wir dabei geblieben wären. Da wir alle drei geübte Bergsteiger sind, wären wir um 10, längstens 11 Uhr oben gewesen und somit da es zu dieser Jahreszeit um Mittag am wärmsten ist, gerade zur günstigsten Zeit. Doch es sollte anders kommen.
Schon beim Weggehen erzählte uns der Führer, dass heute der Herr Prinz von Württemberg mit mehreren seiner Gäste am Priel eine Gemsjagd abhalten werde, dass der erste Trieb um den Brotfall herum stattfinde und dass, wenn wir jetzt aufstiegen, wir wohl die Jagd beeinträchtigen könnten. Wenn wir jedoch eine oder höchstens anderthalb Stunden warten möchten, so wäre der erste Trieb vorüber und wir könnten der Jagd nicht mehr schaden. Da wir durchaus keine böswilligen Menschen sind und niemanden, ob hoch oder nieder, eine Freude verderben wollen, da wir auch einsahen, dass unser Führer Ursache haben möge, sich mit den Jägern nicht zu verfeinden, beschlossen wir aus freiem Antrieb in der Salmer Alm, wo wir ungefähr um 6 Uhr anlangten, Station zu machen um den ersten Trieb abzuwarten. Da diese Jagden, wie uns der Führer sagte, immer zeitlich Früh abgehalten werden, vermuteten wir die Jagdgesellschaft längst oben; machten es uns daher in der erwähnten Alm so bequem als möglich und ließen uns die aus Erbswurst bereitete Suppe trefflich schmecken. Doch diesmal schienen sich die Herrschaften etwas verschlafen zu haben, denn wir waren schon längere Zeit daselbst, als wir die selben erst heraufkommen sahen.
Der Oberjäger Prause, wie er uns genannt wurde, ging ohne uns zu grüßen, direkt auf uns zu und schnauzte unsern Führer an: „Was machen Sie da? Kommen Sie herunter oder gehen Sie hinauf?“ Auf die Antwort, dass wir erst hinaufgingen und ohnedies schon längere Zeit hier warten, um die Jagd nicht zu schädigen, replizierte Herr Prause mit Entfaltung von möglichst noch mehr Grobheit in Ton und Gebärden: „Das geht nicht, sie dürfen nicht hinauf." Sprachs und zog, natürlich wieder ohne zu grüßen, mit der übrigen Gesellschaft weiter. Dass wir über diese Szene, die sich unendlich rasch abwickelte, ganz paff waren, wird jeder Mensch begreifen. Ich ließ mich erst durch meinen Kalender überzeugen, dass ich mich bezüglich des Jahrhunderts in dem wir leben, nicht täusche, betrachtete dann die Umgebung, ob keine Ritterburgen mit gähnenden Burgverliesen bereit sind uns aufzunehmen oder andere Merkmale des Mittelalters zu sehen wären.— Doch alles stimmte, es war keine Täuschung, wir lebten wirklich im Jahre 1876. Ein Irrtum unsererseits war nur der, zu glauben, dass man das Besteigen der Berge niemanden verwehren könne und dass, wenn man von jemanden eine Gefälligkeit erwartet, man demselben höflich entgegenkommen müsse. Diesen Irrtum muss man aber wohl unserem beschränkten bürgerlichen Fassungsvermögen zu Gute halten. Nach der eben erhaltenen Probe von Rücksichtslosigkeit hielten uns auch wir nicht mehr länger gebunden und beschlossen, eventuell ohne Führer unseren Weg fortzusetzen. Wir waren aber kaum eine halbe Stunde gegangen, da trafen wir schon auf einen Jäger, der uns bedeutete, er habe strengen Auftrag uns nicht weiter zu lassen. Ob sein Auftrag auch dahin lautete, uns nötigenfalls niederzuschießen, wollten wir nicht erst erproben. Uns war klar, dass hier Gewalt vor Recht gehe und dass wir nur riskierten, auch noch geprügelt zu werden, wenn wir uns nicht gutwillig fügten.

Und so wurde es glücklich 2 Uhr bis wir unbeanstandet den Aufstieg fortsetzen konnten. Wir müssen natürlich annehmen, dass den hohen Herrschaften dieses, jedem Rechtsgefühl und der gewöhnlichsten Lebensart Hohn sprechende Benehmen ihres Jägers, ganz entgangen sei. Ja wir glauben sogar überzeugt sein zu dürfen, dass dieselben, die doch das ganze Jahr ihrem Vergnügen nachzugehen in der angenehmen Lage sind, einer bescheidenen Touristengesellschaft, die sich das Vergnügen einer solchen Partie vielleicht einmal des Jahres erlauben kann und aus weiter Ferne deshalb herkommt, dieses Vergnügen selbst auf Kosten einer minder guten Jagd nicht missgönnen würden. Wir fühlten uns hauptsächlich deshalb veranlasst, diese Zeilen niederzuschreiben, weil vielleicht außer uns noch manch andere Touristen die irrtümliche Ansicht hegen, dass das Besteigen der Berge jederzeit zu den erlaubten Handlungen gehöre. Es ist uns zwar kein diesbezüglicher Gesetzesparagraph bekannt, doch hat vielleicht das Jagdgesetz einen geheimen Nachtrag über die „Schonzeit der Berge". Wir möchten dringend ersuchen, falls ein solcher existiert, denselben zu veröffentlichen. Unter solchen Umständen würde es sich auch sehr empfehlen, den verschiedenen Touristen - und Alpenvereinen das Errichten von Schutzhütten und das Verbessern der Wege zu untersagen, sowie die konzessionierten Führer abzuschaffen, um nicht noch mehr Fremde nach Österreich zu locken. Die Schweiz hat ohnedies Berge genug zum Besteigen und die Leute dort sind sogar so einfältig, die Fremden höflich zu behandeln.
Wie wir nachträglich erfuhren, war dieser Tag den Gemsen günstiger als den Schützen, da von den vielen Gemsen, die wir hätten verscheuchen können, trotz der vielen Schüsse, die wir hörten, keiner ein Haar gekrümmt wurde. Auch erfuhren wir, dass wir nicht die einzigen Internierten an diesem Tage waren. Denn den Schafen des Besitzers der Salmeralm wurde auch an diesem Tage das Botanisieren verboten. Doch scheint diese Maßregel, da bekanntlich Gemsen und Schafe ganz kollegial verkehren, mehr im Interesse der Letzteren, vielleicht aus Misstrauen gegen einen oder den anderen Schützen verfügt worden zu sein. Um nun wieder auf unsere Partie zu kommen, fügen wir nur noch bei, dass wir ungefähr um 5 Uhr auf der Spitze ankamen. Die Fernsicht war noch immer hübsch, doch die schönsten Stunden waren verloren. Nach Sonnenuntergang stiegen wir bei Mondbeleuchtung wieder ab. Da uns der Führer von der Partie über das Tote Gebirge abriet, änderten wir unseren Plan und gingen anderen Tags über den Salzsteig zum Grundlsee, wo wir abends um 8 Uhr ankamen. Der Tag war möglichst noch schöner, als die früheren und da wir keiner Jagdgesellschaft begegneten, erreichten wir unser Ziel ganz unbehelligt. Diese Tour ist jedem anzuempfehlen, der einen zweistündigen beschwerlichen Aufstieg und eine zehnstündige Wanderung nicht scheut.
Seit dieser Partie habe ich auch von dem Nutzen der Wallfahrten eine viel bessere Meinung als früher. Ich bemerkte nämlich an den gefährlichsten Punkten beim Aufstieg am Salzsteig neu angebrachte Verbesserungen, wie in den Felsen gehauene Stufen, eiserne Handhaben etc. Natürlich glaubte ich darin das Werk einer touristischen Gesellschaft zu finden, doch machten mich bald verschiedene Zeichen und unorthographische Heiligennamen in meiner Vermutung irre. Auf mein Befragen erfuhr ich denn auch vom Führer, dass diese Verbesserungen von einem gottesfürchtigen Mann aus der Landeshauptstadt herrühren. Es existiert nämlich jenseits der Berge ein Wallfahrtsort (Maria Kumitz) wohin die Leute aus Hinterstoder gern pilgerten. Da aber der betreffende Heilige, welchen man dort verehrt, nicht die Eigenschaft hat, den Schwindel zu verscheuchen, traute sich niemand mehr hinzugehen, bis der erwähnte Wohltäter den Weg verbessern ließ.
Wir benützten nun dir herrliche Mondnacht zu einer Fahrt über den Grundlsee, gingen dann nach Aussee. Nächsten Tages nach Altaussee, wo wir uns vom Anblick des Dachsteins kaum trennen konnten und dann weiter über Steinach, Selzthal und Admont durch das Gesäuse nach Hause. Den Ärger, den uns die unterbrochene Privatpartie verursachte, hatten wir bald überwunden und heute haben wir nur mehr die angenehmsten Erinnerungen an diese herrlichen Tage.

Nur wenn ich zufällig irgendwo lese oder sagen höre: Auf den Bergen wohnt die Freiheit,— denke ich mir meinen Teil.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen