Herr Konsulent OSR Peter Grassnigg verbrachte seine frühe Kindheit in Vorderstoder, da sein Vater im 2. Weltkrieg dort Oberlehrer war.
Durch den frühen Bergtod seines Vaters, der 1946, 36 jährig in einem Schneesturm am Priel ums Leben kam, übersiedelte seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder zu den Großeltern nach Steyr.
Herr Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen.
Die Großmutter
Sie war eine seelensgute Haut. Ich kann nur das Beste über sie berichten, unter anderem auch deswegen, weil sie uns in der schwierigen Situation nach dem unerwarteten Tod meines Vaters, selbst erst vor kurzem zum zweiten Mal Witwe geworden, aufnahm und mit versorgte.Ihre erste Ehe ging sie mit einem Herrn Rauscher ein. Mit diesem hatte sie einen Sohn, den Onkel Sepp, der allerdings in Wiener Neustadt lebte. Zum zweiten Mal verheiratet bekam sie 1909 den Onkel Fritz und 1910 meine Mutter Leopoldine. An ihren Mann, meinen eigentlichen Großvater, der Franz Burgholzer hieß, kann ich mich überhaupt nicht erinnern, obwohl es ein gemeinsames Foto von ihm und mir gibt. Auch auf weitere Daten kann ich nicht zurück greifen. Er starb im August 1946, drei Monate vor meinem Vater, wahrscheinlich an Krebs.
Die Großmutter führte den Haushalt, das heißt sie war für den Verzehr zuständig. Zum Großeinkauf im nahegelegenen Konsum erstellte sie zu Monatsbeginn eine Liste. Auf dieser schrieb sie Öl immer am Schluss mit zwei „ll“ und statt Senf „Senft“.
Unter tags saß sie häufig in einem Ohrensessel neben dem Kachelofen. Ihr Rückzugsgebiet befand sich im hinteren Teil der Wohnung, im sogenannten Kabinett. Um dieses zu erreichen oder zu verlassen, musste sie durch den gemeinsamen Schlafraum von mir und meinem Bruder gehen, dann weiter durch das Wohnzimmer, in dem die Mutter schlief.
Um niemanden während der Dunkelheit in seinem Schlaf zu stören, benützte sie einen irdenen weißen Nachttopf. Den trug sie am Morgen wie eine Kellnerin ins WC. Nach entsprechender Reinigung stellte sie ihn im Kabinett zum Trocknen auf das Fensterbrett. Das verleitete mich einmal dazu, von Mitschülern angestiftet, ein wenig Brausepulver, das wir zur Herstellung schmackhafter Getränke, verdünnt mit Wasser verwendeten, hineinzugeben. Am übernächsten Morgen ging die Großmutter mit einer Harnprobe zum Arzt. Das Ergebnis erfuhren wir nie.
Die Wohnung der Großmutter verfügte über ein abgetrenntes WC, aber kein Bad. Nur ein Waschbecken und eine Abwasch hatte die Küche vorzuweisen. Benötigtes Warmwasser wurde in Töpfen von unterschiedlicher Größe am Gasherd erhitzt. Wegen der akuten Verbrennungsgefahr durfte ich nichts angreifen oder eigenständig Warmwasser holen. Bei der Morgentoilette gab es ohnehin nur kaltes Wasser.
Die Leibwäsche wechselten wir einmal pro Woche, gebadet wurden mein Bruder und ich alle 14 Tage, meist an einem Samstag.
Die Handlung glich einem Ritual:
Beim Transport der Badewanne vom Dachboden in die Küche durfte, besser gesagt musste, ich mithelfen.
Zu allererst war die Großmutter an der Reihe. Während sie Badefreuden unter Mithilfe der Mutter einschließlich Kopfwäsche genoss, durften wir Kinder das Wohnzimmer nicht verlassen. Erst nach ihrem Rückzug in ihren Schlafraum endete für uns die Warterei. Gemeinsam schöpften mein Bruder und ich das Wasser aus und gossen es in die Abwasch. Dann füllte die Mutter die Wanne für uns aufs Neue.
Ich ärgerte mich immer furchtbar, dass mein Bruder den Vorrang genoss und ich mich in seiner „Hinterlassenschaft“ suhlen musste.
Das größte Augenmerk beim Baden genossen die Füße. Da wir nach dem Krieg in Ermangelung von geeignetem Schuhwerk meist barfuß liefen, bedurfte es oft eines Bimssteines, um sie wieder einigermaßen sauber zu kriegen. Das Wiesengrün erwies sich als besonders hartnäckig, denn die täglich abends durchgeführte Fußwaschung in einem Lavoir erzielte nur in geringem Maße Wirkung.
Nach mir kam es für die Mutter zu einem neuerlichen Wasserwechsel. Dann ging es ab ins Bett, das wir, wie bei der Großmutter zuvor, ebenfalls nicht mehr verlassen durften.
Am nächsten Tag trugen wir die Badewanne wieder auf den Dachboden zurück.
Großmutters besonderer Stolz war ihre Kaffeemaschine aus Porzellan. Sie bestand aus zwei Teilen, dem oberen, in dem die Zubereitung statt fand, und in dem unteren, in dem sich der fertige Kaffee befand, nachdem er ein im oberen Teil fest integriertes Sieb durchflossen hatte. Dieses Gerät, das man als Vorläufer eines späteren Apparates mit Filter bezeichnen könnte, hieß „Karlsbader“. Es gehörte in jeden besseren Haushalt, obwohl in den meisten Fällen mangels echter Kaffeebohnen ein Getränk nur aus Kaffeeersatz damit hergestellt werden konnte.
Die Zubereitung dieses „Kaffees“ erfolgte so: Als Ausgangsprodukt diente eine sechseckige Scheibe von 1,5 cm Dicke von der Fa. Titze bzw. Franck und Kathreiner, die es in schön verpackten, etwa 15 cm langen Stangen, in jedem Lebensmittelgeschäft zu kaufen gab. Beim Zerbröseln der Scheibe mit den Fingern bemerkte man, dass sie auch Feigenbestandteile enthielt, weil man die Kerne sehen konnte. Darüber kamen dann noch frisch mit der Kaffeemühle zu Mehl zerkleinerte geröstete Malzkörner. Diese stammten aus einem Papiersack mit weißen Punkten, der die Aufschrift „Linde“ trug. Auf das Öffnen einer neuen Tüte waren alle Kinder scharf, weil sich zusätzlich zum Inhalt auch kleines Spielzeug in ihr befand. Zum Schluss gab die Großmutter noch eine Prise Salz auf die Mischung, da diese nach ihrer Meinung zur Geschmacksverbesserung beitrug.
Dann erfolgte der Aufguss mit kochendem Wasser, nicht auf einmal, sondern in Raten, damit die Flüssigkeit Gelegenheit bekam, auslaugend zu wirken. Dann war die Brühe mit etwa einem halben Liter Inhalt im unteren Teil fertig. Vom Geschmack kann ich nichts berichten, da das Getränk nur für die Erwachsenen bestimmt war. Mein Bruder und ich bekamen statt dessen eine heiße Milch oder einen Kakao.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen