Freitag, 7. Januar 2022

Auf das Tempo kommt es an

In der Oberdonau-Zeitung vom 24.2.1945 berichtete Johannes Schima über den weltberühmten Komponist Giuseppe Verdi. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.  

Giuseppe Verdi, der geniale italienische Musiker, benötigte, wie eben alle Komponisten, zu seiner Arbeit unbedingt Ruhe. Längst schon zu Ruhm und Ansehen gelangt saß er einmal in seinem Arbeitszimmer, als die Klänge eines Leierkastens an sein Ohr drangen. Obwohl diese quietschende und krächzende Drehorgel nicht wenig falsch spielte, so konnte Verdi doch entnehmen, dass der Werkelmann eine Arie aus seiner „Traviata“ langsam herunterleierte. Er sprang wie von einer Tarantel gestochen auf und stürzte auf die Straße hinunter, wo der Werkelmann mit seinem Marterkasten Posten bezogen hatte. Verdi machte dem Mann begreiflich, dass es ihm gänzlich ferne läge, ihm seinen Verdienst irgendwie schmälern zu wollen, andererseits wieder benötige er aber zu seiner Arbeit absolute Ruhe. Der Leierkastenmann könne sich jeden Monat 10 Lire bei ihm beheben wenn er den Umkreis von Verdis Haus meide. Der Werkelmann wollte sein Spiel momentan abbrechen, doch hielt ihn Verdi zurück und erklärte ihm noch, dass das Tempo, das er bei dieser Arie einschlage, viel zu langsam sei. Er ergriff die Kurbel und zeigte dem Mann, wie schnell er zu drehen habe.

Monate waren vergangen, der Leiermann behob sich allmonatlich 10 Lire bei Verdi und dieser hatte seine heilige Ruhe.
Da fügte es der Zufall, dass Verdi auf einem Spaziergang wieder den Leiermann die Arie aus „Traviata" herunterleiern hörte, diesmal jedoch im richtigen Tempo. Verdi, hocherfreut darüber, dass seine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren, wollte ihm eine Extraspende geben. Aber als er in dessen Nähe kam, machte er schleunigst kehrt und verließ fluchtartig die Stätte. Am Leierkasten hing nämlich ein Schild mit der Aufschrift:
„Schüler des weltberühmten Maestro Verdi.“ 

Giuseppe Verdi

 Werkelmann 


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