Freitag, 13. Juli 2018

"Bergfahrt" auf die Spitzmauer im August 1867

Die Zeitschrift "Die Debatte" vom 19.1.1869 berichtet von einer "Bergfahrt" (Bergtour), die der Windischgarstner Mönch, Priester, Familienvater, Bergsteiger, Forscher und Erfinder Hans Hauenschild (geb. 1842 - gest. 1901) im August 1867 gemacht hat. Sein Bericht wird nachstehend, dem Stil unserer Zeit etwas angepasst zum Teil wiedergegeben. - (Siehe auch den Beitrag über Hauenschild in diesem Blog vom 26. April 2016)
Die erste Besteigung der Spitzmauer soll im Jahr 1858 stattgefunden haben. Doch das ist nachweislich ein Irrtum, da schon früher Jäger und Besitzer angrenzender Almen das Österreichische Matterhorn bis zum Gipfel bestiegen haben.
Mit dem Förster Franz Forsthuber und weiteren sechs Bergkameraden begab sich Hans Hauenschild  am 13. August 1867 vom Jaidhaus aus zum Prielaufstieg und erreichte mit Anbruch der Nacht die obere Polsteralm. Dort wurde fröhlich gerastet, gegessen und getrunken. Es war spät als die Bergsteiger den letzten Tropfen Grog schlurften und sich in der Herrenstube zur Ruhe begaben. Diese so genannte Herrenstube ist ein Anbau an den Stall mit einer mit Heu befüllten Schlafstelle. Der Ehrenplatz wurde dem Bergführer überlassen, der bald mit Schnarchen von der Güte seines Bettes Nachricht gab. Weil dort nicht genügend Platz war gingen die anderen Teilnehmer der Bergtour in den ersten Stock bzw. unter das Dach zum Schlafen. Doch auch dort stellte sich trotz des prächtigen  Heus der Schlaf nicht ein. Schuld war das Ziegenvolk, das ebenfalls diesen Dachboden bewohnte und keine Ruhe geben wollte. Besonders der Ziegenkönig schien eine besondere Freude daran zu haben, den nunmehrigen Mitbewohnern wenigstens jede Minute einmal zu zeigen, dass seine umgehängte Schelle noch klingeln kann. Etwas später trug der Nachtwind einen "Stöderer Juchezer" daher, Menschenstimmen wurden laut und gleich darauf wurde deutlich vernommen:

                                            "Wir müssen heute noch ins Biri (Gebirge) gehn,
                                             Rührt sich keine Luft, ist der Himmel schön,
                                             Die Mäuer (Felsen) sind sind so hell und klar,
                                             Schöner wird es kaum mehr dieses Jahr."

Im Nu waren die Bergsteiger in den Schuhen und im Freien. Die nächtlichen Sänger waren noch weit unten, kamen aber heraufgeklettert und entpuppten sich als zwei Vorderstöderer, die es unten nicht aushalten konnten weil es heute gar so schön ist. Sie wollten unbedingt noch vor Sonnenaufgang am "Größtenberg" (Goßen Priel) sein. Die Nacht war wunderbar schön und die Riesenwände der Spitzmauer glitzerten geheimnisvoll herüber.
Vom Schlaf war keine Rede mehr. Die Gesellschaft ließ sich noch einen kräftigen Kaffee kochen, der wunderbar schmeckte und brachen bei hellem Vollmond um halb zwei Uhr auf. Die beiden Vorderstöderer schlossen sich der Gruppe an. Die Partie sollte nicht ohne Abenteuer verlaufen. Eben war der steilste Teil einer Schneewand zu erklimmen, als plötzlich ein leiser Ruf und das Geräusch eines fallenden Körpers vernommen wurde. Im nächsten Augenblick fuhr auch schon eine dunkle Masse die weite Schneefläche hinunter. Es war einer der Touristen, der durch einen Fehltritt stürzte und Kopf über den Hang hinunter kollerte. Erst im unteren Drittel gelang es ihm den Fall mit seinem Bergstock abzubremsen und stehen zu bleiben. Sein Hut aber setzte die Reise fort. "Da muss man ja nachfahren!" rief der entschlossene Führer und glitt in sausender Eile, doch sehr sicher abwärts. Kaum hatte er den Halbbetäubten erreicht, als eine zweite unfreiwillige Rutschpartie erfolgte. Ein zweiter unvorsichtiger Bergsteiger flog mit solcher Wucht hinunter, dass er den entgegen springenden Führer niederriss, worauf beide bis zum Rand des Schneefeldes hinunterrollten. Das hatte nicht drei Minuten gedauert. Glücklicherweise ging es für alle gut aus, nur einige Hautabschürfungen blieben von diesem Abenteuer zurück.
Um weitere Rutschpartien zu vermeiden, wurden mit einer Hacke (Axt) Stufen in die Schneewand gehauen und auf diese Weise ohne weiteren Unfall die Brodfallwand erreicht, wo die beiden Vorderstöderer schon angekommen waren. Als man über die Wand hinaufkletterte herrschte bereits Dämmerung und auf dem Grat wurde es schon hell. Es war beinahe halb fünf Uhr und es schien fast unmöglich, den höchsten Punkt, die neue Pyramide, vor Sonnenaufgang zu erreichen. Doch die Äußerung "Klammer´s" so hieß der Führer mit seinem Spitznamen - "Wenn wir recht laufen so geht´s schon", gab Signal zu einem Wettrennen, das auf so einem Terrain wohl noch nie ausgeführt worden sein dürfte. Bald standen wir an der Pyramide am Gipfel und hatten bis zum Sonnenaufgang hinlänglich Zeit zum Ausschnaufen.
Als die Sonne aufstieg lagen die fernen Eismassen der Tauernkette noch in kalter Nachtfarbe. Dann rötete sich zuerst der Dachstein, die höchsten Gipfel der Salzburger- und Tiroleralpen  begannen zu glühen und zuletzt umsäumte den ganzen Westen  ein Rosenpurpurgürtel, nur über das Tote Gebirge lag noch ein riesiger Schattenkegel, dessen Spitze bis an den Nordrand des Tennengebirges reichte.
Die Gesellschaft blieb zwei Stunden auf dem Gipfel und labte sich an der Aussicht und am Proviant. Die Stöderer sangen nach Herzenslust, ein Gämsenrudel zeigte sich in der Ferne und verschiedene Bergabenteuer wurden erzählt, unter anderem das nachstehende.
Der verstorbene Erzherzog Ludwig bestieg am 27. August 1819 mit zahlreicher Begleitung den Großen Priel, Unter den Trägern befand sich auch der damalige Schullehrer von Hinterstoder, dem es eine besondere Ehre war das Kaffeeservice der Herrschaften zu tragen. Auf dem höchsten Oberösterreichischen Gipfel wollte man die grandiose Aussicht und eine Tasse Mokka genießen.
Als der Schulmeister den obersten Rand des Schneefeldes schon fast erreicht hatte, glitt er aus und  rutschte das steile Schneefeld mit rasender Geschwindigkeit hinunter. Alle waren erschrocken...die Diener jammerten um das schöne Kaffeegeschirr....die hohen Herrschaften bangten um den verunglückten Schulmeister. Dieser aber nahm keine Rücksicht auf seine Gliedmaßen und auch auf sein Leben. Viel wichtiger war ihm, dass das Kaffeeservice der allerdurchlauchtigsten Herrschaften nicht Schaden nahm. Er hielt mit beiden Händen den Korb hoch über den Kopf und gab seinen Körper schonungslos den Prellungen und Stößen der Rutschpartie preis. Unten angekommen war er zwar arg mitgenommen, hatte zahlreiche Schürfwunden und blaue Flecken aber das Geschirr war größtenteils unbeschädigt. Unter tiefsten Seufzern wollte er zum zweiten Mal aufsteigen, es wurde ihm aber befohlen zur Almhütte zurückzukehren, wo das Service schon noch Verwendung finden werde. Das tat er dann auch und erntete unten stürmische Danksagungen eines Dieners, der bei dem übrigen Gepäck in der Hütte zurückgeblieben war. Dieser Diener machte sich schon die ganze Zeit über die größten Vorwürfe, weil er das Wichtigste vergessen hatte, nämlich den Kaffee für die Herrschaften mit einzupacken. Das Service wäre wohl umsonst hinauf getragen worden.
Die Geschichte berichtet weiter, dass der Lehrer gemeinsam mit der allerhöchsten Gesellschaft in der Alm aus des Erzherzogs höchst eigener, zwar leicht beschädigter, henkelloser Kaffeetasse, zum guten Abschluss einen Kaffee geschlürft habe. Bestimmt ist er ihm weder früher noch später so köstlich über die Lippen gekommen.


Stodertal - Spitzmauer 2446m , gesehen vom Aufstieg auf den Hoch-Priel



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