Freitag, 9. August 2019

Eine Beschwerde an den Bischof





Wie wir in unserer letzten Nummer mitgetheilt haben, haben acht katholische Bürger Mühlviertels als Augenzeugen­ des ebenso rohen wie taktlosen Auftretens des Kaplans H. in St. auf dem dortigen Friedhofe bei der Beerdigung des der evangelischen Religion angehörenden Fabriksdirectors eine Beschwerde überreicht; dieselbe lautet:

" Euer Gnaden! Hochwürdigster Herr Bischof!

Von der innigsten Überzeugung durchdrungen, dass noch nie vergebens an den echt christlichen Gerechtigkeitssinn Euer hochwürdigsten Gnaden appelliert wurde, sowie im vollsten Vertrauen zu ihrem Oberhirten erlauben sich die in aller Ehrfurcht Gefertigten über einen Vorfall zu berichten, der sich am 4. Jänner 1886 in St. zutrug. Der Leichnam unseres allgemein geachteten Mitbürgers Herrn Fabriksdirectors V., welcher eines plötzlichen Todes starb, wurde an diesem Tage von seinen Glaubensgenossen evangelischer Confession und einer zahlreichen katholischen Bevölkerung begleitet, um auf dem katholischen Friedhofe in St. neben seiner schon dort ruhenden Gattin und zweien Kindern begraben zu werden. Ernst und würdig war das Benehmen der zahlreich am Friedhofe­ anwesenden Orts- und Landbewohner, welche mit entblößtem Haupte Zeuge der Functionen und Zuhörer des ergreifenden Gebetes waren. Der evangelische Pfarrer begann eben mit einem Nachrufe für den so frühzeitig Dahingeschiedenen, als ein Herr im Civile unter gröblichster Beiseiteschiebung der nächsten Leidtragenden­ und nach Umstoßen eines massiven eisernen Kreuzes auf ihn losstürmte, und ihm in brüskem, hocherregtem Tone die Fortsetzung der kaum begonnenen Leichenrede ­ kurzweg untersagte. Der Pastor verwahrte sich mit wenigen Worten gegen diese Störung der öffentlichen Funktion und drohte mit Klage wegen Religionsstörung. Der Herr im Civile, welcher sich mittlerweile als der Kaplan H. von St. zu erkennen gab, berief nun in fortwährend lärmender Weise den Gemeindevorsteher als Assistenz. Umsonst war das Ersuchen einzelner Katholiken an den Herrn Kaplan, den Todten doch vorerst in Ruhe der Erde übergeben zu lassen, und dann erst die principielle Auseinandersetzung mit dem Pastor anderwärts zu pflegen. Vergebens waren die Zurufe und Worte anwesender Katholiken, welche dieses Vorgehen als Rohheit bezeichneten und ernstlich verlangten, dieser unerhörten Scene ein Ende zu machen; die Störung durch den Herrn Kaplan dauerte am offenen ­ Grabe in Anwesenheit der bis ins Mark erschütterten ­ Angehörigen des Verstorbenen zur größten Entrüstung aller Trauergäste fort.­ Da erschien endlich der Gemeindevorsteher und lehnte — zu seiner Ehre sei es gesagt — nach Anhörung des Sachverhaltes ab, dem Herrn Kaplan die verlangte Assistenz zu leisten. Jetzt erst, nachdem der Herr Kaplan sah, dass er mit seinem Begehren bei niemandem Anklang fand, zog er sich zurück. Es ist schwer, den nachhaltigen Eindruck zu schildern, welchen diese Scene bei allen, die ihr anwohnten, hervorrief. Uns fehlen die positiven Anhaltspunkte zu dem Urtheile, welcher von diesen beiden geistlichen Herren im Rechte ist. Das kompetente Forum möge dies entscheiden, aber die bedauerliche Überzeugung nahmen wir und alle Anwesenden mit nach Hause, dass unserer katholischen Kirche durch das Auftreten des Herrn Kaplans ein schlechter Dienst erwiesen wurde. Schlichte Leute machten Vergleiche zwischen dem würdigen, besonnenen Vorgehen des protestantischen Pastors und dem, gelinde gesagt, höchst erregten des katholischen Kaplans; erlauben, hochwürdigster Herr Bischof, es frei und offen auszusprechen, sie fielen nicht zu Gunsten des letzteren aus. Ob noch gesetzlich gültige Verordnungen bestehen, welche den Herrn Kaplan berechtigten, die Leichenrede zu untersagen, dies möge die Behörde zur Vermeidung einer derartigen Wiederholung unzweideutig klar stellen. Wir wissen dies heute nicht und wenden uns hiermit auch nicht gegen das Princip, das der Herr Kaplan vertreten zu müssen vielleicht für seine Pflicht gehalten hat, dass wir die unwürdige taktlose Form des Vorgehens seitens des Herrn Kaplans, welcher die rituelle Beerdigung eines Christen störte und zu vereiteln suchte,
unbedingt mißbilligen und uns dadurch unseren protestantischen ­
Mitbürgern gegenüber beschämt fühlen. Es ist das verletzte katholische Gefühl, das über die Missachtung des Gebotes der Barmherzigkeit: „Die Todten zu begraben" seitens eines katholischen Priesters sich an Euer bischöfliche Gnaden
mit der Bitte wendet, diesem verletzten religiösen Gefühle sowohl,
als auch der gekränkten Familie des Verstorbenen Genugthuung zu
verschaffen. Dies ist im Interesse der katholischen Sache selbst gelegen,
damit nicht heute oder morgen sich bei dem Begräbnisse eines der
in unserer Mitte wohnenden Protestanten ähnliche Vorkommnisse
wiederholen. Gestatten Euer bischöfliche Gnaden den in tiefster Ehrfurcht
Gefertigten, ihre Verehrung auszudrücken, mit welcher sie die Ehre
haben zu zeichnen als Euer bischöflichen Gnaden hochachtungsvoll tief
ergebenste". (Es folgen die Unterschriften)

Dieser Vorfall ereignete sich im Jänner 1886 im Mühlviertel. Er zeigt jedoch wie distanziert sich, vor rund 100 Jahren noch, christliche Religionen gegenüber standen. 
Erst Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts entstand eine ökumenische Bewegung, als Christen begannen über konfessionelle Grenzen hinweg gemeinsam zu beten und zusammen zu arbeiten.


Bischof Ernest Maria Mueller 1886 Linz

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