Freitag, 11. September 2020

Bauernmädel am Webstuhl

Die "Oberdonau-Zeitung" vom 29.9.1943 berichtet von einer Webschule im Redtenbachtal, in der Nähe des Bahnhofs Hinterstoder.
Der Text wurde etwas gekürzt und der heutigen Schreibweise angepasst.  

Wenn wir vom Bahnhof Hinterstoder zur Teichl hinuntersteigen, und diese überquerend etwa eine Viertelstunde die steile Bergstraße hinaufwandern, die uns weiter ins einzigartige Redtenbachtal führt, stehen wir auf freier Höhe vor einem Bauernhaus, aus dem wir schon von weitem lautes Klappern vernehmen.

Hier in diesem Haus mit dem eigenartigen Turmaufbau, dem Söller an der Sonnseite, auf herrlicher Anhöhe, hat die Landesbauernschaft des Landrates von Kirchdorf eine Webschule eingerichtet. Der Gedanke der Webschule entspringt der Wertschätzung volkstümlicher, bodenständiger Kultur, der Pflege heimischer Sitte und bezweckt die Förderung des in Vergessenheit geratenen Spinnens und Webens. Nicht etwa gewerbsmäßige Weberinnen will die Schule heranbilden, sondern Mädel und Bäuerinnen, die dem Bauernhof wieder die eigenen, selbstverfertigten, geschmackvollen und dauerhaften Stoffe bringen. Würden unsere Mädel alle Gelegenheit haben zu sehen, was dort an schönen Stoffen gewebt wird, würden wohl alle wieder der alten, schönen und zweckmäßigen Tracht den Vorzug geben. Hand in Hand mit dieser Entwicklung im Bezirk Kirchdorf und anderwärts soll die Hebung der Schafzucht und die Förderung des Flachsanbaues gehen. Die Leiterin der Webschule Frl. Erika Möckesch eine Volksdeutsche aus Siebenbürgen, die bereits dort in einer Webschule tätig war, gibt den Mädln in vierwöchigen Kursen praktische und geschmackvolle Anleitungen.
Die 41 Mädel, die bisher die Lehrgänge in der Webschule besuchten, waren alle mit Begeisterung, Gründlichkeit und Eifer bei der Sache. Es ist geradezu bewundernswert, dass sie gegen Ende des Kurses bereits täglich 4 Meter Stoff zu weben imstande sind und schließlich in selbst gewebter und selbst genähter Kleidung, bestehend aus Leibkittel, Hemd und Schürze, die Schule verlassen. In einem freundlichen, hellen Raum im ersten Stock der Schule klappern nun die Handwebstühle mit 2, 4 und 6 Tritten und lustig fliegt das Schiffchen hin und her, während sich unten im Flur der riesige Haspel dreht, wo die Kette geschert wird. Kaum zwei Wochen sind die Mädel da, schon sitzen sie am Webstuhl und weben an ihrem Dirndlkleid mit Streifen- und gezacktem Muster. Noch geht es langsam, zuerst noch mit viel Mühe, die Bewegungen müssen noch genau überlegt ausgeführt werden, aber das mutigste unter den Mädeln wagt sich dennoch gleich an ein blau-weiß gemustertes Stück heran. Aller Anfang ist schwer, doch mit ein paar stillen Seufzern wächst auch dieses Stück in die Länge. Und während die Blonde dort ein dunkelblaues Dirndl webt, arbeitet die rehäugige Mitzl aus dem Salzkammergut an einem rostbraunen Kleiderstoff und die resche Hanni aus dem gesegneten Innviertel sitzt am surrenden Spinnrad und zupft Wolle. Die lustige Gretl aus den Mühlviertler Bergen aber spinnt den Flachs, den sie von zu Haus mitbrachte.
Und wie jeder Faden für die Weberin unentbehrlich ist, so brauchen sie alle zu ihrer Arbeit auch ein frohes Lied. „Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus“ und „Tritt auf und tritt nieder, schiaß durch und schlag nieder“, so singen die Mädel bei der Arbeit und halten keinen Augenblick inne und führen immer neue Fäden in das Gewebe, Masche reiht sich an Masche, bis der wunderschöne Stoff — ohne Punkte — der Rolle entgleitet. Zum Schluss des Kurses hat jede ihre Aufgabe gelöst: Eine Jacke, ein Handtuch, wobei die Mustereinteilung erlernt wird, und eine Tracht sind der Beweis für das Können, das die Leiterin der Schule lehrte. Wenn die Zeit noch reicht, wird ab und zu noch ein grobes Sackleinen gewebt.
Äußerst arbeitsreich ist so ein Tag in der Webschule, denn zur praktischen Arbeit gehört auch ein guter Teil theoretischen Unterrichtes. Zuerst lernen die Schülerinnen den Flachs spinnen, dann weben und schließlich den Stoff besticken und fertig nähen. Von halb sieben Uhr früh bis neun Uhr abends sind sie eifrig am Werk, da werden die Stuben aufgeräumt, da dreht sich das Spinnrad, es klappern die Webstühle, da wird gezeichnet und geschrieben. Sport und Übungen bringen die notwendige Bewegung und das Singen am Abend nach getaner Arbeit beschließt den Tag mit froher Laune. Lustig ist es doch immer, wenn 15 junge frohe Mädel beisammen sind. Den Mädeln aber ist das Heim auch schön gemacht worden. Tüchtige Handwerker haben Möbel aus Lärchenholz in echt bäuerlichem, ländlichem Stil in die Räume gestellt. In netten Schlafräumen mit vier oder sechs Betten sind die Teilnehmerinnen untergebracht, die Vorhänge, die in der Webschule angefertigt wurden passen sich dem Stil der Möbel an. Hier ist der unverfälschte Sinn für echte Kunst des Volkes in allem ausgeprägt und selbst die Blumen am Tisch - ein paar Edeldisteln - verraten geschmackvolle Einfachheit. So bilden die Mädel zugleich ihren Blick für das Einfach-Schöne, für das Echte und Unverderbte und können als Bäuerinnen einst ihrem Heim echte wertvolle bäuerliche Kultur pflegen.
                                                                                                           Heinz                  
Haspel

Webstuhl

Schaffen am Schönen und Erziehung zum Schönen sind hier wunderbar vereint. Sie weben alle auch mit an den Fäden, die dem großen Gewebe des Volkes unentbehrlich sind und den Geschicken deutschen Bauerntums in der Zukunft einen sicheren, in der Heimat wurzelnden Halt geben. Und wie alles hier frei von Kitsch und Mache ist, so echt ist auch die Umgebung der Schule. Ein herrlicher Blick tut sich auf von der Höhe droben hinüber zum Priel, zum Warscheneck und hinaus zu den Kremsmauern, während unten im Tal sich die Wasser der Teichl und Steyr vereinen. Es könne keinen schöneren Platz geben zur Pflege heimatlich bäuerlichen Brauchtums und Schaffens.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen