Freitag, 28. Mai 2021

Der Lugwertl

Dass der bedeutende Oberösterreichische Dichter Adalbert Stifter anfangs in seinem Heimatdorf gar nicht anerkannt wurde, darüber schrieb die Oberdonau-Zeitung am      28. März 1943.

Es war an einem Augustabend des Jahres 1845. Vor der Schenke des Dörfchens Vorderstift bei Oberplan im Böhmerwald unterhielt sich eine kleine Gesellschaft bejahrter Männer über die Ereignisse der letzten Tage und Wochen. An einem Tischchen saß unbeachtet und allein ein Herr aus Wien, den die meisten aber von Jugend auf kannten. Die Leute sprachen über die erhoffte Herabsetzung der Steuern, zumal ein fürchterliches Hagelwetter die ganze Gegend verheert hatte, und zogen die Entsendung einer Abordnung von Bauern nach Wien in Erwägung. Aber ein pensionierter Feldwebel aus Oberplan warnte vor einer solchen „Disziplinlosigkeit“. Da mischte sich der Herr ein und meinte es sei nicht so schlimm mit der Unnahbarkeit der Herren in Wien. Man glaube nicht, dass an höherer Stelle das freimütige Wort eines schlichten Mannes verübelt würde. Er selber wurde von der Fürstin Schwarzenberg und vom Fürsten Metternich wiederholt aufgefordert, sich offen über die Verhältnisse in seiner Heimat zu äußern.
Kaum war der Herr gegangen, trat ein Fischerweib, das alles mit angehört hatte, auf die Männer zu und überschüttete den Abwesenden mit Spott und Hohn. „Habt ihr ihn gehört", sagte sie gehässig, „den Leinwandschmierer und Farbenklexer? Den verbummelten Studenten? Bei den Schwarzenbergs und sogar beim Fürsten Metternich geht er ein und aus, hahaha, es ist zum Lachen. Er ist und bleibt der Lugwertl, wie er es immer war!"
Die meisten Mannsleute lachten, aber der weißhaarige Schulmeister, der gerade gekommen war und die üble Rede vernommen hatte, sprach ernst: „Der Lugwertl, wenn Ihr ihn so nennen wollt, hat uns alle hinters Licht geführt. Man hat mich kürzlich nach Wien geschickt und wer beschreibt mein Erstaunen, als ich in einer großen Buchhandlung sein Bildnis erblickte, mitten unter Büchern, die er alle geschrieben hatte. Und als ich weiterging, sah ich in jeder Buchhandlung das gleiche Bild. Da kam ich aus dem Staunen nicht heraus! Also ist aus dem Maler ein berühmter Dichter geworden und ich bedauere nur, dass ich hier her nicht früher gekommen bin.
Ich hätte dem „Lugwertl“ in aufrichtigem Dank die Hände gedrückt. Denn er hat unserer Heimat die allergrößte Ehre gemacht, unser Dichter — Adalbert Stifter!"

Adalbert Stifter

Stifter Geburtshaus in Oberplan 

Gemälde von Adalbert Stifter

Gemälde von Adalbert Stifter




Stifter Denkmal in Linz

Stifter Denkmal in Wien


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