In Linz erschien 1843 „für seine besonderen Freunde und Verwandten als Andenken“ ein kleines Druckwerk, betitelt: „Reise des Augustin Dersch, Gastwirt zu Mauthausen. Angefangen am 5. Juli beendet am 12. September 1841.“ Das kleine Büchlein gibt uns bemerkenswerte Einblicke in die europäischen Verkehrsverhältnisse von 1840. Dersch, der die ganze Zeit über tagebuchartige Aufzeichnungen führte, reiste in Begleitung seines sprachkundigen Freundes Wachtberger aus Tulln. Wir wollen nun einen kleinen Blick in die große Welt tun, die unser Mauthausner Biedermeier damals staunend durchmaß.
Dabei sei einiges über die Reiseverhältnisse jener Zeit erklärend gesagt.
Die Oberdonau-Zeitung vom 12.9.1943 berichtete darüber. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.
„Am 5. Juli 1841 um 4 Uhr früh fuhren wir von Mauthausen zu dem Eisenbahnstationsplatze Lest und von da nach Budweis, wo wir abends eingetroffen sind. Bekanntlich waren es 1825 bis 1832 Ritter von Gerstner und sein Ingenieur Ritter von Schönerer gewesen, die den ersten aller Schienenstränge auf dem europäischen Festland, nämlich die für Pferdezug bestimmte Eisenbahn Gmunden—Linz—Lest—Budweis erbauten. Erst 1872 wurde die Strecke auf Dampfbetrieb umgestaltet. Lest bei Kefermarkt, wo das große Bahnhofsgebäude heute noch steht (1943), war — ebenso wie Kerschbaum — eine Pferdewechselstelle und daher verkehrsmäßig weit bedeutsamer als etwa die Stadt Freistadt, an der die Strecke wegen der Geländeverhältnisse in beträchtlicher Entfernung vorbeiführte. Da der Schienenstrang von Linz — Urfahr— Magdalena — Gallneukirchen — Neumarkt nach Lest verlief, also Mauthausen nicht berührte, dürfen wir annehmen, dass unsere Reisenden mit einem Pferdefuhrwerk auf der uralten Hochstraße und weiter über Pregarten nach Lest reisten und erst dann in die von Pferden gezogene Eisenbahn umstiegen. Uber Summerau — Kerschbaum — Wullowitz gings dann in einer „Geschwindigkeit“ von etwa 10 Stundenkilometern nach Budweis. Von da reiste man tags darauf über Prag — Karlsbad — Teplitz — Kulm (wo die Schlachtfelder von 1813 besichtigt wurden) nach Teschen weiter, zumeist im Postwagen.
Es ist da einiges über diese Reiseart etwa 1840 zu sagen: Wollte man nicht auf Schusters Rappen die Straßen entlang ziehen — eine Angelegenheit, die übrigens mit Recht weit höher in Achtung stand, als heute — und hatte man auch kein wirkliches Reitpferd oder wollte sich die Schererei ersparen allabendlich nicht bloß für sich, sondern auch für sein Pferd Unterstand und Kost und Wartung zu suchen, so blieb dem Reisenden eben nichts, als sich dem pferdegezogenen Wagen anzuvertrauen. Man konnte, je nachdem es der Geldbeutel erlaubte, mit eigenen oder bloß gemieteten Pferden oder gleich im öffentlichen Postwagen reisen. Dort hatte man den Vorteil, sein eigener Herr und an keine Fahrpläne gebunden zu sein; dafür warteten auf den Reisenden unendliche andere Scherereien. Bei zahllosen kleinstaatlichen Wegschranken hieß es anhalten und das „woher“ und „wohin“ des bärbeißigen Zöllners war genau so ermüdend und verärgernd wie die Unverschämtheit der Kutscher, wenn man „gemietet“ fahren wollte.
Da man hingegen - beim eigenen Fahrzeug und eigenen Pferden alles vom Striegel bis zum Ersatzrad, vom Koffer bis zum Futtersack, mitführen musste, war das wieder umständlich und teuer.
Das fiel nun freilich alles beim Reisen im Postwagen fort, aber diese Fahrt hatte wieder andere Schrecken: wie Schafe gepfercht saßen alt und jung, dick und dünn beiderlei Geschlechts stunden-, ja tagelang in einem ständig stoßenden und schaukelnden Wagen, höchstens einmal aufgelockert wenn ein Rad brach und die ganze Fuhre umschlug oder doch wenigstens einer der schweren eisenbeschlagenen Koffer herunterfiel. Das waren die Kehrseiten jener romantischen Reisen in der Postkutsche. Man scheute Regen oder Schnee nicht minder als Sonne oder Staub und so ließ man meist trotz der unerträglichen Luft das Dach geschlossen. Die Geschwindigkeit einer „Ordinari-Post“ oder auch einer „Diligence" war die fabelhafte von etwa 1 Meile (= 7.42 km) je Stunde und nur mit der „Extrapost“ kam man schneller weiter. Bei jenen kostete z. B. in Österreich 1831 ein Wagenplatz für rund 15 km etwa 30 kr. (Kronen) zuzüglich 3 kr. Trinkgeld, bei dieser für den Wagen durchschnittlich 20 kr. und je Pferd . 56 kr. auf dieselbe Strecke, zuzüglich 6 kr. „Schmiergeld“. Diese Zahlung hatte sich als eine Nebeneinnahme der Postmeister trotz aller Verbote hartnäckig erhalten. Gedacht war sie für unterwegs nötiges Achsen- und Räderschmieren, lief aber meist auf eine aufgelegte Wurzerei der Reisenden hinaus. Wenn man — was bei der „Extrapost“ die Regel — den eignen Wagen beistellte und nur die Postpferde mietete, tat man gleich gut eigene Wagenschmiere mitzunehmen. Wehe aber, wenn man vollends am Trinkgeld für den Postknecht sparte und etwa nur die in Österreich „je Post“ vorgeschriebenen 12 kr. zahlte. Sich daran zu halten, bedeutete einen förmlichen Verruf und in Kürze war man auf allen Landstraßen und in allen Poststationen wie das saure Bier verschrieen. Bedenkt man dann noch die Schererei um das Gepäck in den Rast- und Übernachtungsstellen, wo Verwechslungen und Diebereien an der Tagesordnung waren, bedenkt man weiter, dass man dann noch oft in elenden, verschmutzten, überfüllten Gaststätten stundenlang auf den Pferdewechsel zu warten oder gar zu übernachten hatte, dann hat man eine ungefähre Vorstellung von den Genüssen einer Postwagenreise um 1830/40.
Weiter ging aber jetzt die Fahrt unserer Reisenden mit dem Dampfboot nach Dresden, „mit der Locomotive“ nach Leipzig (4 Stunden Fahrt), und nach Besichtigung aller Sehenswürdigkeiten, besonders der Völkerschlacht- erinnerungen, in drei Stunden Dampfbahnfahrt nach Magdeburg. Von hier wieder gings mit dem Dampfer nach Hamburg und ebenso weiter über Cuxhafen in den Kanal. „Kaum war unser Schiff aus der Elbe hinaus, als schon auf fürchterliche Weise der Wind zu stürmen und die See sich zu erheben anfing, so dass uns, die wir so etwas noch nie gesehen hatten, herzlich bange wurde, Wir meinten jede Welle werde uns in den Abgrund des Meeres begraben.“
Am dritten Tag endlich lief man in die Themsemündung ein. Die vierstockhohen Kriegsschiffe, darunter eines mit 80 Kanonen, das 80.0Q0 Pfund Sterling gekostet hatte. Der Reichtum der Innenstadt Londons und die Pracht der neuen Kronjuwelen (im Wert von 5 Mill. Pfund Sterling) beeindruckten unseren biederen Mauthausner ebenso, wie ihn die unbeschreibliche Armut der Arbeiterviertel entsetzte. Besonders im Nordwesten ist der Sitz des hilflosen Jammers und des gräßlichsten Elends. Hier wohnen in langen, engen, dunklen Gäßchen, in Häuserchen mit zerbrochenen Fenstern, in die nie ein Sonnenstrahl dringt, jene Armen, welche an den notwendigsten Lebensbedürfnissen Mangel leiden. Am 4. August reisten unsere Landsleute nach Frankreich weiter, und kamen über Le Havre, Rouen nach Paris; von da reisten sie über Mühlhausen — Basel — Zürich —Bern — Straßburg Köln — Mannheim — Heidelberg — Mainz — Frankfurt — Nürnberg —Augsburg — München — Regensburg — Passau in ihr geliebtes Mühlviertel zurück.
„Am 12. September fuhren wir mit dem bayrischen Dampfschiffe nach Linz, da wir aber das Wiener Dampfschiff hier nicht mehr antrafen, kauften wir uns hier eine Waidzille und fuhren darauf von Linz ab und kamen glücklich und wohlbehalten um halb drei Uhr wieder zu Hause an. Meine Reise ist nun beendet, und die Lust, die Welt zu sehen, gedämpft. Ich habe in einem kurzen Zeitraum viel gesehen: Herrliche Kirchen, prachtvolle Palläste, Häfen und Schiffe mit turmhohen Masten, Denkmäler und Gärten und dennoch war doch nichts über die Freude, welche ich bei dem ersten Anblick der lieben Heimat und vollends wieder unter den lieben Meinigen empfand, ein Vergnügen, welches England und Frankreich mit all ihren Herrlichkeiten mir nie verschaffen konnten. „Ich reiste zum Vergnügen und fand mein größtes, bei meiner Rückkunft im geselligen Zirkel der Meinigen:“
So schließt Augustin Dersch sein Reiseerlebnis in echt biedermeierischem Überschwang des Gefühles. Dr. —ch—
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