Freitag, 10. März 2023

Erzählungen aus der Vergangenheit

Im Grazer Tagblatt, im Prager Tagblatt und im Neuen Wiener Tagblatt konnte man folgende Anekdoten lesen. Die Artikel wurden etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

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Johann Wolfgang von Goethe (geb.1749, gest.1832)     Ludwig van Beethoven (geb.1770. gest.1827)

Grazer Tagblatt 21. Juni 1925

Manche Anekdote ereignete sich beim Spazierengehen hoher Herren. Entweder sie wurden zu viel erkannt oder sie wurden verkannt, was beides heitere Szenen hervorrief. So wandelten Goethe und Beethoven einst in angeregtem Gespräch,
bei ihrem Kuraufenthalt, durch die Straßen von Karlsbad. Die ihnen Begegnenden begrüßten sie ehrfurchtsvoll. Schließlich meinte Goethe, der als weimarischer Staatsminister besonders in Ansehen stand: „Es ist doch höchst verdrießlich, ich kann mich der Komplimente hier gar nicht erwehren." Darauf erwiderte ihm Beethoven lächelnd: „Machen Sie sich nichts daraus, Exzellenz, es ist ja sehr leicht möglich, dass die Komplimente mir und nicht Ihnen gelten."

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Prager Tagblatt 5. August 1906
In Frankreich beschäftigt man sich gegenwärtig lebhaft mit der Aufhebung der Todesstrafe und da so der Henker aus dem öffentlichen Leben des Landes verschwinden soll, widmet ihm schon jetzt ein Pariser Blatt eine Art Nachruf. Dabei wird folgende hübsche Anekdote erzählt, die in einem Restaurant in der Nähe des Palais-Royal spielt.
Ein Stammgast war gewohnt, an jedem Tag seinen Platz an seinem bestimmten Tisch reserviert zu finden. Da findet er eines Tages plötzlich den Platz von einem Unbekannten besetzt. Er ist peinlich überrascht, er läuft zum Wirt und zur Kassiererin und beschwert sich über den Unverschämten, der ihn von seinem Platz verdrängen wollte. „Kennen Sie übrigens den Herrn da?" „Nein." „So mögen Sie wissen, dass es der Henker von Versailles ist." Allgemeines Entsetzen. Der Wirt und die Kassiererin stecken die Köpfe zusammen. Dass ein Henker in diesem eleganten Restaurant verkehre, eine unmögliche Vorstellung!
Der Wirt geht also zu dem unwillkommenen Gast. „Der Herr ist zufrieden?" „Ja, aber ich muss zu lange auf die Speisen warten, die ich bestellt habe." „Da wird der Herr noch lange warten müssen!" „Wie meinen Sie?" „Man wird dem Herrn überhaupt keine Speisen bringen und wir werden ihm dankbar sein, wenn er nicht wieder zu uns kommt." „Unverschämt!... Aber warum das?" „Sie sind erkannt!" „Nun, und?.. ." „Ja, sehen Sie, der Henker von Versailles kann in meinem feinen Haus nicht verkehren." „Wer hat Ihnen denn aber gesagt, dass ich der Henker von Versailles wäre?" „Der Herr da unten." „Ach... Sehr gut, der Herr da also? Dann kann ich freilich weiter nichts dagegen sagen, er muss es ja wissen, denn ich habe ihm erst vor zwei Jahren das Brandmal (das die Verbrecher früher erhielten) aufgedrückt!" Mit diesen Worten, die sehr laut gesprochen und von einer bezeichnenden Gebärde zu seinem Widersacher hinüber begleitet waren, erhob sich der Mann ernst und würdevoll und verließ das ungastliche Haus....

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Clemens Wenzel von Metternich (geb.1733. gest. 1859)
Österreichischer Staatskanzler

Napoleon Bonaparte Kaiser der Franzosen (geb.1769, gest.1821)

 Louis  (geb.1804, gest.1831) König von Holland, Joseph (geb.1768, gest.1844) König von Spanien,
Murat (geb.1767, gest.1815) König von Neapel.

Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe) 27. Dezember 1929
Eine in anderem Sinne höchst charakteristische Napoleon-Anekdote übermittelt uns noch der erwähnte Historiker Lenotre. Sie beruht aus einem Erlebnis Metternichs, des berühmten österreichischen Diplomaten aus der napoleonischen Epoche.
Metternich war eines Tages von Napoleon zur Jagd und im Zusammenhang damit zu einem Mittagsmahl eingeladen worden, das mitten im Wald stattfand. An der in einer ländlichen Hütte gedeckten Tafel nahmen außer Napoleon und seinem österreichischen Gast nur noch die zwei Brüder des Franzosenkaisers Louis und Joseph und dessen Schwager Murat teil. Die Begleitoffiziere verzehrten in einiger Entfernung unter den Bäumen ihre improvisierte Mahlzeit. Das kaiserliche Mahl ließ auf sich warten. Napoleon wurde ungeduldig. „König von Holland," sagte er im einfachsten Tone der Welt, „erkundigen sie sich doch, warum man nicht aufträgt". Louis ging zur Küche und kehrte mit dem Bescheid zurück, es werde sogleich serviert werden. Einige Minuten vergingen unnütz. Napoleon blieb nicht gern lange untätig. „König von Neapel," wendete er sich an Murat, „machen Sie darauf aufmerksam, dass wir warten!" Murat beeilte sich seinerseits in die Küche und brachte eine beruhigende Versicherung, die jedoch abermals ohne Erfolg blieb. Nun wurde es dem Kaiser zu viel und er begann zornig zu werden. „König von Spanien!" rief er, „befehlen sie, dass man aufträgt, was fertig ist und zwar sofort!" Worauf Joseph sich an den Herd begab und endlich erreichte, dass aufgetischt wurde. Man weiß, Metternich war weder Freund noch Gönner Napoleons. Gleichwohl konnte er nicht unterdrücken: „Das ist doch ein außerordentlicher Mensch, der sich das stolze Vergnügen bereiten kann, drei Könige nacheinander in die Küche zu schicken, um zu sehen, ob sein Mittagsmahl fertig ist."

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