Aus der Erinnerung eines Schulmädchens:
In den 1930er Jahren als ich noch ein Schulmädchen war und in einem kleinen Stodertaler Bauernhaus aufwuchs, kam einmal ganz plötzlich ein Tannenhäher, ein wunderschöner Vogel mit prächtigem Gefieder, in unsere Familie.
In den 1930er Jahren als ich noch ein Schulmädchen war und in einem kleinen Stodertaler Bauernhaus aufwuchs, kam einmal ganz plötzlich ein Tannenhäher, ein wunderschöner Vogel mit prächtigem Gefieder, in unsere Familie.
Edi, ein Nachbarsbub, hat mit seiner Steinschleuder auf den
Vogel geschossen und ihn verletzt. Da er nichts mit ihm anzufangen wußte,
brachte er ihn zu uns. Ich nahm ihn in die Hand und der Vogel schaute mich mit seinen großen, hellbraunen Augen
neugierig an. Er hatte ein prachtvolles Gefieder mit runden
weißen Flecken, das aussah als wäre es mit Tränen beträufelt. Ich nannte ihn
"Jakob". Er gewann sogleich mein Herz. Die Nuß, die ich ihm in den
großen Schnabel steckte, nahm er ohne zu zögern an. Das Vertrauen, das er mir vom
ersten Augenblick an schenkte war großartig.
Bald fanden wir heraus, daß ein Flügel gebrochen war. Ich
fragte Edi warum er denn auf ihn geschossen hat? Er sagte nur, ja weil er so keck dagesessen
ist. Er fiel zur Erde und hat sich im Gestrüpp verkrochen. Deshalb war es keine
Mühe ihn einzufangen. In der Freiheit wäre er verloren gewesen. Wir gaben ihn
in einen Käfig, in dem früher ein Zeisig war ehe den unsere Katze gefressen
hat. Darin waren Leitersprossen und ein Futterschüsselchen. Aber Jakob sprang
ruhelos die Sprossen auf und ab. Wenn er oben war schlug er mit seinem
unverletzten Flügel und wollte immer noch höher hinauf. Der Käfig war ihm zu
klein. Das durchdringende Krächzen, das er ausstieß schnitt mir durchs Herz. Es
war in der Stube furchtbar anzuhören. Aber schon nach ein paar Tagen hat er
sich an uns gewöhnt. Dass er sehr litt war kein Zweifel, aber er fühlte dass wir
es gut mit ihm meinten. Er wurde immer anhänglicher und zutraulicher. Wir
sammelten für ihn Zirbelnüsse, die er lieber als Haselnüsse hatte. Jakob wollte
immer seine Nüsse verstecken. Wir legten für ihn Zeitungsblätter auf das
Fensterbrett damit er die Nüsse darunter verstecken konnte. Er verstreute die
Nüsse im ganzen Zimmer und das Reinigen der Stube, vor allem in seiner Ecke, war ziemlich viel Arbeit. Oft klopfte er ungeduldig
an die Fensterscheibe und stieß ruhelos Schreie aus. Dazwischen aber kamen
unvermutet ein paar leise verhaltene Töne aus seinem Schnabel. Bruchstücke
eines stillen Gesangs oder Selbstgespräches, das aber bald wieder in schrilles
Krächzen umschlug. Dort wo er gerne saß hatte er einen schönen Ausblick auf die
Berge und über das Tal. Oft saß er da, schaute auf die großen Tannenbäume und
fing selbstvergessen in seinen unterdrückten Tönen an mit sich selbst zu
plaudern. Er hatte sein Schicksal angenommen. Die Heilung schritt voran, aber
seinen gebrochenen Flügel konnte er nicht mehr gebrauchen. Wir haben ihn mit
Faschen eingewickelt und mit "Ehrenhöfer" Heilsalbe eingerieben. Ein Teil seines Flügels
war abgestorben und eines Tages biss er diesen Teil des Flügels selbst samt den Federn ab. Fliegen konnte er nicht mehr und wir überlegten wie wir ihm helfen
könnten.
Inzwischen war die Obsternte und wir nahmen ihn öfters mit
hinaus. Er saß dann auf einem Apfelbaum und sonnte sich in den letzten warmen
Herbststrahlen. Er blieb immer in meiner Nähe, denn bei mir fühlte er sich
geborgen. Als einmal die Katze um den Baum strich auf dem er saß, schrie er
ganz jämmerlich. Ich ging gleich zu ihm und sofort war er wieder ruhig. Einmal
saß er auf meinem Unterarm, als eine Erschütterung durch seinen Körper ging.
Ich nahm an, es wurde ihm seine Freiheit bewußt, die er bekam. Als er einmal
lautlos seinen Schnabel öffnete schaute er mich ganz traurig an, als wollte er
über die Menschen klagen, die ihn zum Krüppel gemacht haben. Der Anblick
berührte mich so, daß ich weinen mußte.
Der Oktober ging zu Ende und wir wußten nicht was wir mit
ihm anfangen sollten. Meistens saß er draußen auf der Hollerstaude auf der er
sich schon sehr heimisch fühlte.
Eines Tages kam unsere Tante Rosa aus Wien zu Besuch. Sie
meinte das Beste wäre den Jakob nach Wien in den Tiergarten mitzunehmen. Sie brachte
ihn dort in die Vogelhalle wo schon drei Tannenhäher waren. Rosa schrieb dass es
Jakob gut geht, weil er unter Seinesgleichen war. Sie besuchte ihn dort auch
öfters. Aber als sie ihn das letzte Mal besuchte kam sie ganz niedergeschlagen
zurück. Sie schrieb in einem Brief, daß Jakob nach dem Füttern eingeschlafen
ist und am Morgen ist er nicht mehr aufgestanden .Sein Fuß war gelähmt und er
konnte nicht mehr aufstehen. In der Kanzlei des Tiergartens war man
einverstanden Jakob zurückzugeben, denn sein Fuß hing wie ein geknicktes Blatt
herunter. Tante Rosa brachte ihn wieder zu uns zurück nach Hinterstoder. Als er
mich sah und ich seinen Namen rief humpelte er mir, so gut es ging entgegen. Man
merkte sofort, er fühlte sich wieder zuhause. Er kannte seinen Platz in der
Stube und auf seiner Hollerstaude. Bald fand er auch die Schachtel aus der er
immer die Mehlwürmer bekam und begann hungrig zu fressen. Ich glaube, daß die
Tannenhäher in der Vogelhalle, in deren Gesellschaft er sich befand, ihm als
zusätzlichen Mitesser das Futter streitig gemacht haben. Vielleicht wollten sie
auch keinen verletzten Vogel in ihrer Nähe dulden, denn die neue Verwundung
rührte von einem schweren Schnabelhieb her, Mit "Ehrenhöfer"-Wundsalbe ist die
Verletzung wieder zugeheilt. Ich habe ihn in eine Decke eingewickelt und ihm
eine Kette aus Krenscheiben um den Hals gelegt. Das hat Mutter mit uns Kindern auch gemacht, wenn wir krank waren. Dann habe ich ihn zu mir in das Bett gelegt. Er ist ganz still liegen
geblieben. Als ich am nächsten Morgen aufwachte erschrak ich so sehr, daß mir
das Herz bis zum Hals klopfte. Jakob den ich vorsichtig in die Hand nahm war er so
leicht wie eine Feder und ganz matt. Er
fraß noch ein paar Zirbelnüsse, doch dann konnte er mit dem Schnabel nicht mehr
fest zubeißen. Ich habe ihn dann in ein Kistchen auf ein Strohlager gebettet.
Am nächsten Morgen schüttelte ihn wiederholt ein inneres Zittern. Er richtete
sich noch einmal auf als wollte er noch etwas sagen, öffnete leicht den
Schnabel und starb.
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