Freitag, 13. März 2020

Die letzten Nagelschmiede unserer Alpentäler

Prof. Gregor Goldbacher aus Steyr (geb.1875, gest.1950), der auch oft in seinem Haus in Hinterstoder wohnte, erforschte Geschichte und Heimatkunde in der Stadt Steyr und entlang der Nebenflüsse der Enns, Krems und der Steyr. In einem Zeitungsartikel in der Oberdonau-Zeitung vom 23.1.1944 berichtete er über "Die letzten Nagelschmiede unserer Alpentäler". Der Artikel wurde etwas gekürzt und an unsere Zeit angepasst.

„Wollt ihr Gold auf hundert Jahr, oder Eisen auf immerdar?“, so fragten der Sage nach, in grauer Vorzeit, Zwerge, die Bewohner der grünen Mark in der Gegend des heutigen Eisenerz, als diese die kleinen Männlein vor den bösen Riesen beschützt und versteckt hatten. Einmütig klang der Ruf: „Eisen auf immerdar!“ Und so schüttet der steirische Wunderberg (Erzberg) seit jenen fernen Tagen sein unerschöpfliches Füllhorn des wertvollen Gesteins über die Länder. Tausenden und aber Tausenden Arbeit und Brot schenkend. Eine fast unübersehbare Mannigfaltigkeit von Hämmern und Werkstätten, gleichsam die Kinder des eisernen Bergvaters, wuchs im Laufe der Jahrhunderte empor, nicht nur im Mittelpunkt der einstigen Kleineisenindustrie Steyr, sondern selbst in den einsamen Seitengräben des Enns- und Steyrtales, in den Tälern der Teichl, Pießling, Steyrling und Krems. In den Sensenhämmern sprühten die Essen, selbst bescheidene Bächlein wurden ausgenützt zum Betrieb der Messerwerke und an den Ufern der vielfach geteilten Steyr rauschten die Wasserräder, die eine billige Antriebskraft für Werkstätten aller Art abgaben. Wenn wir aber mit unseren „Scheankenschuhen“ (Bergschuhe mit besonderen Nägeln. Heute werden Gummisohlen verwendet) zum sagenhaften „Steinernen Jäger“ am Schieferstein emporstiegen, da hörten wir noch in den 1890er Jahren aus dem lieblichen Losenstein, dem einstigen Mittelpunkt der Nagelindustrie, die geschäftigen Hämmer der fröhlichen, sangesfreudigen Nagelschmiede klingen.

Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts (19. Jhdt, der Artikel wurde 1944 geschrieben) gab es in Losenstein mehr als 600 Arbeiter, die Meister nicht mitgerechnet. In 140 Werkstätten, die der aufmerksame Beobachter noch heute nahezu bei jedem Haus erkennen kann, wurden die geschmiedeten Nägel hergestellt, die dann in alle Welt verschickt wurden. Von vier Uhr früh bis sieben Uhr abends wurde gearbeitet und erst die maschinelle Erzeugung der Nägel bereitete dieser einst so blühenden Industrie ein Ende.
Wenn auch heute noch gewisse Arten von Nägeln, so besonders die „Scheanken“ für die Bergschuhe, von den Bergsteigern bevorzugt werden, wenn sie handgeschmiedet sind, weil die sogenannten „Flügel" dieser Nägel bei maschineller Erzeugung sich früher loslösen. Nun ist es still geworden, die Hämmer sind verklungen, die Arbeiter abgewandert oder in die Fabrik Werndls (Waffenfabrik in Steyr) eingetreten.
Dem Geschlecht der Losensteiner Nagelschmiede entspross aber auch der berühmte und unsterbliche Sänger der Ennstaler Berge, Anton Schosser, dessen Vater Bernhard auch ein Nagelschmiedgeselle war und von dem sein Dichterkollege Moser (Bader Moser aus Klaus) sagt:
 „Deine Lieder wird man singen — als ein Denkmal alter Sitte bis das deutsche Grün verdorret — unter der Baschkiren Tritte."
Nur eine Nagelschmiede in Losenstein und eine in Laussa arbeiten heute noch. In Losenstein waren auch neun sogenannte „Zainhämmer“ (Zahnhämmer - Hämmer für Eisenverarbeitung - Zain - stangenförmiger Metallrohling ) in Betrieb, welche das Material für die Nägel zurichteten. Vom Alter dieser Industrie könnte die Burgruine des einst so mächtigen Geschlechtes der Losensteiner erzählen, aber auch eine der ältesten Glocken des Landes, welche seit dem Jahre 1340 im Turm der Losensteiner gotischen Kirche hängt.
Auf der Suche nach Nagelschmieden, die auch heute noch in Betrieb sind, lassen wir uns bei einer stimmungsvollen Floßfahrt bis zur Sandbrücke, ennsabwärts treiben und landen bei der Mündung des Dambaches, der seinen Namen dem „Hausberg“ der Steyrer, dem Damberg, verdankt. Schon die Bauart der netten, kleinen Häuser zeigt uns und wir sehen es aus den Überbleibseln der einstigen Werkstätten in dem lieblichen Tal, das Unterdambach heißt, dass hier einst eine größere Zahl von Eisenarbeitern beschäftigt war. Tatsächlich verdiente noch in der erstem Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Bewohnerschaft des Tales ihren Lebensunterhalt durch die Erzeugung von Nägeln. Hier gab es auch zwei Zainhämmer welche ebenso wie die meisten Nagelschmieden längst verfallen sind. Im Jahre 1894 standen noch vier Werkstätten in Betrieb; gegenwärtig ist’s nur mehr die Brettenthalerschmiede. Einer der beiden „Zainhämmer“ stand beim heutigen Gasthaus „Hammermeister“, das seinen Namen deshalb erhielt, weil eben der Zainhammerbetrieb von einem geprüften Hammermeister geleitet werden musste.
Nun aber treten wir ein in die Werkstätte, welche ihr Aussehen und ihre Einrichtung nicht geändert hat, seit dem Großvater des jetzigen 79jährigen Meisters Brettenthaler. Es sind zwar keine urkundlichen Aufzeichnungen über das Alter und die Geschichte der Dambacher Nagelschmiede vorhanden, aber man darf einen mehr als zweihundertjährigen Bestand dieses Handwerkes als sicher annehmen. Während die Losensteiner Nagelschmiede zumeist Nägel für das Zimmereigewerbe und für Schiffsbauten erzeugten, verlegten sich die Dambacher Schmiede vor allem auf die Herstellung von Schuhnägeln.


Der 79 Jährige Nagelschmied Brettenthaler in Unterdambach (ganz rechts)
mit seinen Söhnen in der Schmiede

Da stehen nun der würdige, alte Meister und seine beiden Söhne bei ihren kleinen Ambossen und mit großer Geschicklichkeit und Schnelligkeit entstehen aus dem glühenden „Zain“ durch einige wuchtige Hammerschläge die Mausköpfeln, Jagernägel, Büffel und die ausgezeichneten „Scheanken“ für die Bergschuhe. Ein riesiger alter Blasebalg wird durch Treten betätigt und hält das kleine Kohle- oder Koksfeuer in Brand, wo die vorgerichteten „Zaine“ glühend gemacht werden. Von aller Herrgottsfrüh bis zum späten Abend, bloß beleuchtet von der Glut des Eisens, wird geschafft und nur selten wendet sich der Blick vom Amboss ab. So füllt sich die Werkbank bis zum Wochenende mit Tausenden von Nägeln, die seit jeher reißenden Absatz fanden und auch in unseren Tagen den Maschinennägeln vorgezogen werden. So mag auch der Wunsch — selbst in unserer bewegten, schicksalsschweren Zeit nicht unberechtigt erscheinen, es möge dieses uralte Handwerk nicht ganz in Vergessenheit geraten und auch in Zukunft wieder junge Leute in seinen Bann ziehen, damit sie es erlernen und weiter übertragen an kommende Geschlechter, ernähren tut es seinen Mann  wie so viele andere Gewerbe.
Gregor Goldbacher.


Prof. Gregor Goldbacher


Zainhammer

In der Schmiede des berühmten Andreas F. Lindermayr (geb.1686, gest.1759)
in Spital a. P. wird heute noch Kindern gezeigt, wie man Nägel geschmiedet hat.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen