Freitag, 30. Oktober 2020

Stodertaler "Riesenbauer" als Gastarbeiter in der Türkei

Auf unseren entlegenen, bewaldeten Bergen wuchsen bis zum Ende des
19. Jahrhunderts Urwälder die nicht geschlägert wurden, weil das Holz nicht zu Tal gebracht werden konnte. Um das Holz nützen zu können, begann man Riesen zu bauen, auf denen Holzknechte die Baumstämme im Winter zu Tal gleiten lassen konnten. Diese Riesen überquerten manchmal Täler und Flüsse und mussten deshalb sehr stabil sein. Dabei hatten sich die  Spezialisten aus unserer Gegend, die Riesen bauen konnten, einen so guten Ruf erworben, dass sie bis in die Türkei geholt wurden, um dort zu zeigen wie Riesen zu bauen sind.
Herr Schulrat Rudolf Kusche aus Windischgarsten berichtet davon in seiner Broschüre „Leutgeschichten“ und davon erzählt dieser Beitrag. 

In der Weltwirtschaftskrise 1927, in der bei uns kaum Arbeit zu bekommen war,  stießen Arbeitssuchende aus unserer Gegend auf ein Inserat, in dem Holzriesenbauer für die Türkei gesucht wurden. Die Reise unerfahrenen Holzknechte, für die Kirchdorf schon weit weg war überlegten, wie man zu dieser Arbeit kommen könnte.
Hat nicht der Notar Hornbostl, fragte sich ein Bewerber, einen Bruder der Österreichischer Konsul in der Türkei ist? Über den nahmen fünf arbeitssuchende Männer Verbindung mit der türkischen Gesellschaft auf. Sie bekamen als Reisegeld jeder 40 Dollar zugeschickt und packten ihr Riesenbauerwerkzeug zusammen. Das waren die schmale Lochhacke, die breite Rieshacke, die Asthacke, den Sappel und die Fußeisen. So beladen fuhren sie nach Wien und lösten je vier Visa, ein ungarisches, jugoslawisches, bulgarisches und ein türkisches Visum. Ein D-Zug brachte sie in zwei Tagen, zwei Nächten und zwei Stunden nach Konstantinopel (heute Istanbul).
In der Türkei regierte damals Kemal Atatürk, das heißt "Vater der Türken". Atatürk bemühte sich aus der Türkei ein europäisches Land zu machen.
Fünf Tage hatten die Riesenbauer Zeit sich Istanbul anzuschauen. Dann fuhren sie mit einem Dampfer durch den Bosporus, hinaus in das Schwarze Meer und die Nordküste von Kleinasien entlang. Niemand von ihnen wusste wo ihr Arbeitsplatz lag und mit niemand konnten sie sich verständigen. In der Küstenstadt Sinop, in der sie aussteigen sollten, fanden sie einen Kaufmann der Deutsch konnte und ihnen weiterhalf. Er sagte ihnen, sie sollen ein paar Tage warten, dann kommt ein Motorboot und holt sie ab. Mit diesem Boot kamen sie dann endlich an ihrem Bestimmungsort an. Er hieß Ajantschuk und liegt westlich von Sinop.

Als sie dort ankamen redete sie gleich jemand an: “Seid ihr die Riesenbauer“? Er führte sie in den Hotelgarten des Ortes. Dort saß der Direktor der Firma und besprach mit ihnen die weiteren Schritte. Von diesem Küstenort führte sie am nächsten Tag eine Bahn landeinwärts bis an die Endstation. Zu Fuß ging es bergauf bis 1500 m über dem Meer. Das Gebirge heißt „das Pontische Gebirge“ und ist bis 2000m hoch.

Der Wald, meist Tannen, Föhren und Buchen, aber keine Fichten, reicht bis an den Gipfel des Berges. Der Wald war unberührter Urwald. Es standen Tannen, die waren 50m hoch und hatten in einer Höhe von 35m noch einen halben Meter Durchmesser. Niemand konnte den Wald nützen, weil das Holz nicht geliefert werden konnte. Es gab in dieser Gegend weder Straße noch Bahn. Unsere Riesenbauer hatten die Aufgabe, aus dieser Höhe von 1500m, Riesen hinunter bis zu einer Bahn zu bauen, damit die Stämme mit der Bahn bis zum Meer transportiert werden konnten. Sie zimmerten sich zunächst eine alpenländische Holzknechthütte und aßen Sterz, Teigspatzen und Germnudeln wie in der Heimat. Sie tranken zur Arbeit Wasser, Milch und Joghurt. Fleisch war rar, weil es die Hitze nicht überstanden hätte. Im Sommer war es sehr heiß, aber ohne Thermometer konnten sie nicht sagen wie heiß es war. Die Nächte waren sehr kühl und es regnete wenig. Im Winter hatten sie in 1500m Seehöhe Schnee. Die Türken selbst aßen Fleisch nur an ihren Festtagen. Sie hatten magere Rinder, Schafe und Ziegen.
Brot aßen unsere Landsleute das gleiche wie die Türken. Sie buken den Teig aus Polenta und Weizenschrot auf heißen Steinplatten. Brot, Zwiebel und Joghurt war die Hauptnahrung der Bauern. Da die Türken die Holzarbeit, so wie bei uns, nicht kannten, wurden auch die Rufe der Holzknechte in das Türkische übersetzt. Unsere Riesenbauer versuchten türkisch zu lernen und manchen gelang es sehr gut. Franz Redtenbacher, einer der Riesenbauer sprach türkisch bald so gut, dass ihn die Firma vom Riesenbau abzog und als Dolmetscher auf Baustellen einsetzte.
Inzwischen waren aus Österreich 15 weitere Riesenbauer, die meisten aus dem Bezirk Kirchdorf, nachgekommen und als Partieführer eingesetzt worden. Franz Redtenbacher hatte als Dolmetscher viel zu tun. Er vermittelte wenn die Einheimischen eigenmächtig die Partie (ihre Arbeitsgruppe) wechselten, wenn es sie in das ein paar Tagesmärsche entfernte Dorf heimzog oder sie sich einfach zu einem Schläfchen in die Büsche schlugen.

Aber nach zwei Jahren zog es unsere Riesenbauer zurück in die Heimat. Sie hatten in der Türkei im Tag etwa 15 österreichische Schillinge verdient. Das war dreimal ein österreichischer Tageslohn. Ein türkischer Arbeiter verdiente
3 Schilling am Tag. Sie waren ja auch als Facharbeiter in die Türkei gerufen worden und das ist der Unterschied zwischen einem österreichischen Gastarbeiter in der Türkei und einem Türkischen, der heute nach Österreich kommt.
                                                                                                







In der Gegend von Sinop arbeiteten unsere Riesenbauer

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