Freitag, 10. September 2021

Aus der Zeit von 1943 bis 1947. Erinnerungen von Konsulent OSR Peter Grassnigg - Teil 1








Oberlehrer Fritz Grassnigg und Sohn Peter

Herr Konsulent OSR Peter Grassnigg verbrachte seine frühe Kindheit in Vorderstoder, da sein Vater im 2. Weltkrieg dort Oberlehrer war. Durch den frühen Bergtod seines Vaters, der 1946, 36 jährig, in einem Schneesturm am Priel um´s  Leben kam, übersiedelte seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder zu den Großeltern nach Steyr.

Herr Peter Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen.  

Der Anfang

Eigentlich verdanke ich meine Existenz dem Vorgesetzten meines Vaters bei der Deutschen Wehrmacht, der ihm zu Weihnachten des Jahres 1939 einen Heimaturlaub gewährte. Anfang September 1940 kam ich im Krankenhaus der Diakonissen in Linz zur Welt.

Die ersten Lebensjahre verbracht ich in Vorderstoder, wohin der Vater als Oberlehrer der dortigen zweiklassigen Volksschule wenige Monate vor Kriegsbeginn versetzt wurde. Eigentlich war Vorderstoder ein Strafposten, abgeschieden und fernab von jeder Verkehrsverbindung. Mein Vater, geboren 1910, mit Vornamen Fritz, war in Steyr bekennender Sozialdemokrat und wurde deshalb in die einsame Gebirgsgegend entsorgt. Relativ rasch nach dem Anschluss von Österreich an das Deutsche Reich wurde er zur Hitler-Wehrmacht eingezogen. Wir wohnten im Schulhaus. Ebenerdig waren die Küche und ein Kinderzimmer, im ersten Stock darüber das Wohn- und das Elternschlafzimmer. In letzterem bedeckte die Stirnwand eine Tapete, hinter der sich ein Fenster samt Nische verbarg. Die Mutter und ich lebten nicht alleine im Haus. Das Dachgeschoß beherbergte eine junge Witwe, deren Mann bereits in den ersten Kriegstagen gefallen war. Das war später die Tante Paula, die als Lehrerin die Unterstufe (1.- 4. Klasse) unterrichtete.
An den Vater kann ich mich nur schemenhaft erinnern, er war ja die meiste Zeit im Krieg. Nach ein paar Urlaubstagen begleiteten wir ihn einmal zum Bahnhof Pießling-Vorderstoder, wo ein Güterzug extra seinetwegen halten musste. Er bestieg einen Waggon, dessen Öffnung mit einer Querstange versehen war. Aus dem ausfahrenden Zug winkte er uns noch lange nach.
Ich besitze noch einige Fotos die aus dem Jahr 1942 oder 1943 stammen dürften, auf denen wir zusammen, er in Zivil oder in Uniform dargestellt sind. Auch spätere Bilder, die zeugen, dass er mir das Schifahren beibringen wollte, besitze ich.

1943 kam mein Bruder Wolfgang in Steyr zur Welt. Von seinem Baby- und Kleinkindesalter ist nichts in mir haften geblieben. Im März 1946 kehrte der Vater aus englischer Kriegsgefangenschaft nach Vorderstoder zurück. Das muss zu einer Tageszeit gewesen sein, in der es finster war und ich schlief. Von meinem Bruder wurde berichtet, dass er seine Ankunft schlaftrunken nur mit den Worten kommentiert habe: „Der Peter hat ein Zahnloch“!

Die Sau

Meine erste und soweit ich mich erinnere einzige Erfahrung mit einer körperlichen Züchtigung machte ich im Alter zwischen drei und vier Jahren. Und das kam so:

Der Bäckermeister und Bürgermeister Riedler vergrößerte sein Geschäft mit einem Anbau. Dadurch entstand dort ein Erdhügel, der sich für uns Kinder zu einem idealen Spielplatz entwickelte. Wir bauten Rinnen mit Serpentinen hinein, in denen wir Kugeln von oben nach unten laufen lassen konnten. Auch Wasser kam zum Einsatz, was der Bekleidung nicht gut tat und meine Mutter nach dem Heimkommen zur Aussage verleitete: „Wie schaust denn Du heute wieder aus!“

Soweit die einleitende Vorgeschichte, die ich allerdings mit einer zweiten ergänzen muss: In unmittelbarer Nähe von Kirche und Friedhof stand ebenfalls erhöht ein kleines ebenerdiges, nur aus zwei winzigen Räumen bestehendes Häuschen, in dem der Schuster seine Werkstatt betrieb. Diese war gleichzeitig auch Küche, Wohn- und Schlafzimmer. Dass es dort den Umständen entsprechend aussah, wunderte im Ort niemand, man gab aber der Frau des Schusters die Schuld an der Unordnung. Die im Umfeld wohnenden Kinder hörten von den Erwachsenen, die in der Überschrift genannte Bezeichnung und riefen, wenn sie in Hausnähe auftauchte, von weitem „....Sau! .....Sau!“, um sich gleich danach zu verstecken, damit sie nicht erkannt bzw. erwischt werden konnten. Er, der Schuster, blieb von diesen Anfeindungen verschont, denn er übte neben dem Beruf des Schusters auch den des Mesners und des Luftschutzwartes aus. Das alles zusammen verlieh im Persönlichkeitsstatus.

Eines schönen Tages spielten wir wieder auf dem Erdhaufen, der nur die Friedhofslänge vom Schusterhäusl entfernt lag. Als die größeren Spielgefährten der Schusterin ansichtig wurden, weil sich diese im Hausgarten zu schaffen machte, begannen sie mit dem vorhin zitierten Geschrei „.....Sau, ......Sau“ und liefen davon. Ich, in meiner kindlichen Naivität, blieb am Erdhaufen sitzen und spielte weiter. Dadurch geriet ich in die Fänge der herbei geeilten und laut gestikulierenden und wütenden Frau. Sie zog mich an den Haaren vom Hügel herunter, haute mir ein paar auf den Hintern und zog mich an den Trägern meiner Lederhose zur Mutter in das dem Friedhof gegenüberliegende Schulhaus. Durch mein Gezeter und Strampeln aufmerksam geworden, trat die Mutter vor die Tür und erfuhr von der nach wie vor Aufgebrachten was geschehen war. Den Hinweis auf mein Alter und meinen kindlichen Unverstand ließ die Beschimpfte nicht gelten. Nach einer kurzen Debatte entfernte sie sich, nicht ohne meine Mutter zu belehren: „Frau Oberlehrer, bringans Ihnan Buam a Bütung bei!“

Die Schule als Sammellager

Für den „Winterkrieg im Osten“ führte die NSDAP-Ortgruppenleitung eine Sammelaktion durch. Die Spenden wurden im Eingangsbereich der Schule vor dem Abtransport zwischen gelagert.

Die Hilfslieferung bestand aus Schachteln voller warmer Unterkleidung, Kartons gefüllt mit Wollsocken usw. Schi unterschiedlicher Größe mit Stöcken lehnten an den Wänden des Vorhauses.

An einem Nachmittag fiel, als keine Kinder mehr im Hause waren, das ganze Zeug mit einem fürchterlichen Krach um und versperrte den Ausgang. Wir saßen in der Falle, die Mutter, mein Bruder und ich. Alleine konnten wir uns aus diesem Durcheinander nicht befreien und zur Tür gelangen. Zum Glück fehlten in der Schule bei den Fenstern die sonst im Ort üblichen Gitter. Die Mutter befahl mir, aus dem Fenster meines ebenerdig gelegenen Kinder- und Schlafzimmers auf die Straße zu klettern und Hilfe herbei zu holen. „Lauf in die Bäckerei zum Bürgermeister hinüber und berichte, was geschehen ist“, trug mir die Mutter auf. Von dort aus wurde die Befreiung organisiert, bei welcher der Bürgermeister, der Mesner, die Krämerin und die Frau des Gendarmen kräftig zulangen mussten.

Zunächst trug man alle Einzelteile auf die Straße hinaus. Bei den Schiern und Stöcken machte die Paarfindung Schwierigkeiten und führte zu Diskussionen. Die Schachteln trugen die „Retter“ wieder in den Gang hinein. Um eine Wiederholung des Ganzen zu vermeiden fanden die Schi und die Stöcke an der Außenwand der Schule Aufnahme. Wegen des dort angebrachten Obstspaliers konnten sie nicht mehr umfallen.


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