Freitag, 17. September 2021

Die Zeit von 1943 bis 1947 von Peter Grassnigg - Teil 2


Peter Grassnigg

Herr Konsulent OSR Peter Grassnigg verbrachte seine frühe Kindheit in Vorderstoder, da sein Vater im 2. Weltkrieg dort Oberlehrer war.

Durch den frühen Bergtod seines Vaters, der 1946, 36 jährig in einem Schneesturm am Priel ums Leben kam übersiedelte seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder zu den Großeltern nach Steyr.

Herr Grassnigg hat seine Erlebnisse und Jugenderinnerungen aus dem Blickwinkel seiner Kinderaugen in Vorderstoder und Steyr aufgeschrieben. Diese Erzählungen lassen uns die damalige entbehrungsreiche und unsichere Zeit sehr eindrucksvoll nachfühlen.  

Das Feldkino

Die mediale Propaganda der Nazis erfüllte hauptsächlich den Zweck, die Wehrmoral im Hinterland und an der Front zu festigen. Der Film bildete dazu, ob seiner damals bestehenden Einmaligkeit, ein ideales Mittel zum Zweck. Eines Tages wurden im ohnehin schon beengten Vorraum der Schule mehrere Kisten und Geräte vorübergehend abgestellt, von denen es hieß, dass das die gesamte Ausrüstung für ein Feldkino wäre. An und für sich müsste man diesem Ereignis keine sonderliche Beachtung schenken bzw. überhaupt erwähnen, wenn es nicht für mich mit Folgen verbunden gewesen wäre.

Wahrscheinlich zur Bewachung der eingelagerten Objekte stand unter dem Türstock des Eingangs zur Schule ein in schwarzer Uniform und schön geputzten schwarzen Stiefeln bekleideter Soldat. Da das Schulhaus über keinen zweiten Ausgang verfügte und ich mich nicht traute, den großgewachsenen Mann anzusprechen, versuchte ich, auf allen Vieren durch seine gespreizten Beine ins Freie zu gelangen. Bei diesem Versuch erschrak der Mann und stieg mir unabsichtlich auf den kleinen Finger der rechten Hand. Mit einem fürchterlichen Geschrei lief ich den kurzen Gang zurück zur Küche und zu meiner Mutter.

Die Folge dieses Missgeschicks war ein blauer Fingernagel, den ich, als der ärgste Schmerz verflogen war, bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter Schilderung des Tatherganges stolz vorzeigte.

Die Einlagerung

Wenn in unserem Bergdorf während des Zweiten Weltkrieges ein Auto anhielt, statt durchzufahren, war das eine kleine Sensation. Besonders für uns Kinder. Wir standen herum, staunten, so auch als ein mittelgroßer mit einer Plane bedeckter LKW vor unserer Schule anhielt und drei Uniformierte aus dem Führerhaus sprangen. Einer von ihnen schritt durch die immer offene Haustür der Schule und verlangte nach einer Lehrperson. Meine Mutter erklärte ihm, dass sie die Frau des im Krieg befindlichen Oberlehrers sei, hier wohne und am späten Nachmittag weder Kinder noch Lehrer in der zweiklassigen Volksschule anwesend wären.
Die beiden anderen Soldaten öffneten die hintere Bordwand des LKW und luden verpackte, flache Gegenstände unterschiedlicher Größe ab und stellten sie in den Hausflur.
Es handle sich um eine geheime Reichssache, erklärte der Anführer meiner Mutter, die Einlagerung erfolge kurzzeitig und sie trage als einzige Geheimnisträgerin die Verantwortung für die Sicherheit der Gegenstände. Als meine Mutter erwiderte, dass sie keine Garantie abgeben könne, erklärte ihr der Mann: „Sperren sie halt die Tür zu, denn wenn etwas fehlt, werden alle, die Kenntnis von der Sache haben, erschossen.“
Inzwischen trugen die beiden anderen Soldaten immer mehr Material herein, stellten es entlang der Wände im Flur ab, sodass nur ein kleiner Streifen zum Gehen übrig blieb. Selbst die Türen zur ebenerdig gelegenen Klasse und zu meinem Kinderschlafzimmer stellten sie zu.
Nach einigen Tagen war der Spuk wieder vorbei, die Sachen waren abgeholt worden und meine Mutter erleichtert und befreit.
An einen Ausspruch meines Spielgefährten, des Bäcker Poldi, zu diesem Ereignis, kann ich mich noch erinnern: „Jetzt is nix mehr mit dem daschiassn“.
Erst später erfuhr ich, dass es sich bei der Einlagerung um Bilder, die für den Salzstollen in Bad Aussee bestimmt waren, gehandelt hat.
(In den stillgelegten Werksanlagen des Altausseer Salzbergwerks wurde ab 1943 zum Schutz vor Bomben ein großes Depot von Raubkulturgütern aus Museen, Kirchen und Klöstern eingerichtet). 

                                                        Michelangelos Brügger Madonna bei der
                                                      Bergung aus dem Salzbergwerk Altaussee 1945

Die KZ-ler kommen

Als einer meiner Spielgefährten das in unser Vorhaus hineinrief, rannte ich vor das Schulhaus und sah den Zug langsam den Stockerberg heraufkommen und an mir vorbei ziehen.. Ich hatte natürlich keine Ahnung über das Was und das Wie und nahm das Ereignis eigentlich ohne besondere Gemütsbewegung in mich auf. Wie in einem Kurzfilm ist mir folgendes in Erinnerung geblieben:
Zumindest die Front des Zuges marschierte im Gleichschritt. Doch je weiter er sich in die Länge zog, desto schwerfälliger bewegten sich die Nachkommenden. Die Vorderen bildeten in der allseits bekannten gestreiften Häftlingskleidung eine Fünfer- oder Sechserreihe gegenseitig mit den Ellbogen eingehängt und dicht aneinander gedrängt. Sie trugen alle Holzschuhe und murmelten leise zur Erhaltung des Gleichschrittes. Die Füße setzten sie in kurzen Abständen hintereinander.
Wenige Wächter begleiteten den Zug. Mir fiel nur auf, dass sie alle mit einem Mantel bekleidet und mit einem Gewehr bewaffnet waren. Einen Stahlhelm hatten sie auf dem Kopf.
Hinter dem Zug fuhr ein "Holzgaser" (Auto mit Holzvergaser)  mit einer Ladefläche, aus der hinten nackte Füße heraus schauten. Woher die nur aus Männern bestehende Kolonne kam und was ihr Ziel war, konnte ich nie in Erfahrung bringen. Ich kam aber später zum Schluss, dass der Umweg durch das Steyr- und das Stodertal nur der Verlängerung des Todesmarsches diente.

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