Freitag, 17. Dezember 2021

Der Reisepass in der Kehle

Die schwedische Opernsängerin Jenny Lind (geb.1820, gest.1887), die weltweit unglaublich viele Fans hatte, machte einmal auf ihrer Reise nach Wien einen Tag Zwischenaufenthalt in Salzburg. Dort wollten sie ihre Anhänger wenigstens einmal singen hören, obwohl sie kein Konzert gab.
in der Oberdonau-Zeitung vom 5.10.1944 berichtete  Friedrich Gersthofer mit welcher List es gelang die Sängerin dazu doch noch zu bewegen.
 
Als die berühmte Sängerin Jenny Lind auf ihrer letzten Reise nach Wien sich einen Tag in Salzburg aufhielt, um am anderen Morgen von dort die Reise fortzusetzen, hatte sich das Gerücht von ihrer Ankunft sehr schnell in der Stadt verbreitet. Einige Gesangsliebhaber wollten sich um jeden Preis den Genuss verschaffen, die berühmte Sängerin zu hören und beschlossen, da die Künstlerin in Salzburg nicht öffentlich auftrat, zu einer etwas merkwürdigen List.
Drei vornehm gekleidete Herren, mit ernsthaftem Aussehen, begaben sich in das Hotel der Diva, wo sie bis zu ihrem Zimmer vorzudringen vermochten. Der Älteste von ihnen, ein würdig aussehender Mann mit grauem Haar, entschuldigte ihr Erscheinen und bat um die Ausweispapiere. „Zu welchem Zweck?“ fragte die erstaunte Künstlerin. — „Gnädige Frau, wir bedauern aufrichtig, sie belästigen zu müssen", erwiderte der Wortführer, „aber wir haben die Anzeige, dass eine Schwindlerin ihre Ähnlichkeit mit ihnen benutzt, um sich für sie auszugeben und um dabei allerlei Betrügereien zu verüben.“ Frau Lind zeigte ihren Pass, den die Herren genau prüften und für gefälscht erklärten, so dass die Sängerin, die Unannehmlichkeiten mit der Polizei befürchtete, wirklich Angst bekam und hoch und teuer versicherte, sie sei die wirkliche und wahrhaftige Künstlerin Lind. Der alte Herr zuckte die Achseln. „Wohl möglich“, meinte er kühl, „ganz dieselbe Versicherung würde uns aber auch Ihre Doppelgängerin geben. Ich kenne nur ein Mittel, uns zu überzeugen: Singen sie etwas.“ Entrüstet wies die Sängerin diese Zumutung zurück.
„Dann bedauern wir, unsere Zweifel aufrecht erhalten zu müssen“, erklärte der Beamte, indem er Papier aus der Tasche langte und sich anschickte, ein Protokoll aufzunehmen. Die Künstlerin, die durch kontraktliche Verpflichtungen am nächsten Tag in Wien auftreten musste, fürchtete zurückgehalten zu werden und wusste sich daher nicht anders zu helfen, als dem Wunsche der drei Herren zu entsprechen. Sie sang am Klavier einige Lieder, während die Anwesenden atemlos lauschten, und nachdem sie geendet, in einen Beifallsjubel ausbrachen, der durch den aus dem Nebenzimmer dringenden rauschenden Applaus noch verstärkt wurde.
Die berühmte Sängerin erkannte nun, dass sie in eine Falle gegangen war und in der ersten Entrüstung drohte sie, die falschen Beamten zur Anzeige bringen zu wollen. Aber der Enthusiasmus war derartig groß, dass sie sich allmählich besänftigen ließ; die Schelme erflehten und erhielten ihre Verzeihung und entfernten sich, froh, auf diese Weise die berühmteste Sängerin ihrer Zeit gehört zu haben.

Jenny Lind





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen