Donnerstag, 23. Dezember 2021

Die Ballade vom Kind.

In der "Alpenländischen Rundschau" berichtete am 24.12.1942 Karl Hans Watzinger von einer alte Geschichte, die sich vor vielen Jahren im Steyrtal zugetragen hat.
Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.


                                    Gemälde: Dr. Helmut Schachner

In meiner Heimat hat sich in den Jahren, als noch die Eisenhämmer an der Enns und Steyr munter auf und nieder gingen und die Hammerherren reiche und mächtige Leute waren, eine Geschichte zugetragen, die ich einmal aus dem Munde eines Bauern gehört habe. Ich habe manches aus ihr vergessen und muss sie deshalb nacherzählen. Auch bin ich kein so trefflicher Erzähler, wie der Bauer einer gewesen ist; er konnte einen stundenlang mit solchen Geschichten unterhalten, man wurde nicht müde, ihm zu lauschen.

Da lebte in diesen Jahren im Steyrtal eine junge Witwe. Ihr Mann, ein reicher Hammerherr und bekannt im Kreise der Eisenhändler und im Lande, war nach dreijähriger glücklicher Ehe gestorben und die Frau trauerte um ihn, wie nur eine Frau um den Geliebten ihres Herzens trauern kann. So blieb sie in der Einsamkeit des großen Herrenhauses und widmete sich ganz den Geschäften. Sie war tüchtig und erwarb sich bald Hochachtung bei den Männern ihres Standes. Mancher versuchte da ihre Hand zu erringen. Doch sie schlug jeden Bewerber aus. Das kam ihr um so bitterer an, als es ihr von jeher das höchste Glück geschienen hatte, ein Kind unter dem Herzen zu tragen. Allein ihr Leib blieb ungesegnet. Und nun war auch die Hoffnung dahin, dass sich ihr heißer Wünsch erfüllen werde.
Oft lag sie in den Nächten wach und es dünkte sie, das Herz brenne über ihrem Leid alle Freuden, deren sie noch teilhaftig war, aus ihrem Leben; da lag sie leer, eine Hülle nur ohne Seele und wusste nicht, was noch beginnen auf dieser Welt. In solcher Trostlosigkeit verlief der Heilige Abend, der dritte schon seit dem Tode des Gatten.
Christine, so hieß die junge Witwe, hatte den Weihnachtswunsch des ältesten Hammermeisters angehört und dem Manne, der dem Hause seit langem treu diente, ihr Geschenk überreicht und nun beschenkte sie die Mägde. Dann ging sie in die Wohnstube und. blieb dort allein. Noch zur vorigen Weihnacht war sie mitten unter dem Gesinde an der Tafel zu ebener Erde gesessen. Diesmal wollte sie in der Hauspostille ihres verstorbenen Mannes lesen. Er war lutherischen Glaubens gewesen, sie jedoch war Katholikin. Viel Streit hatte es deshalb vor ihrer Heirat in den Familien gegeben und auch die Priester beider Kirchen hatten sich eingemischt. Doch die Liebe war größer und nichts konnte die zwei liebenden Menschen voneinander trennen. An diesem Heiligen Abend fand Christine keine Ruhe bei ihrer Erbauung, immerfort musste sie ans Fenster treten und auf den vom vollen Mond beschienenen, schneebedeckten Garten blicken. Das Würzgärtlein an der Mauer lag dicht verschneit, kaum dass man den Zaun sah, der es begrenzte. So kam die Mitternacht. Christine hatte den pelzverbrämten Mantel angelegt und das Gebetbuch an sich genommen, als auch schon Notburg, die junge Magd, die die Gemächer des Stockwerks aufräumte und die Witwe bediente, an die Tür klopfte und sagte, es sei Zeit zur Mette.
So trat die Frau des Hauses auf den Gang und stieg in den Flur hinab. Dort warteten schon die übrigen Mägde. Wie sie durch den langen Flur zur Tür gehen wollte, ertönte die Hausglocke. Wer mochte es sein? „Öffne!" sagte die Frau zu Notburg. Die Magd schloss die Tür auf. Alle sahen neugierig nach der Stelle. Die Nacht brachte es mit sich, dass ihnen, die Herrin ausgenommen, auch ein wenig ängstlich zumute war. Denn wer konnte zu dieser Stunde etwas im Herrenhaus wollen? Nach einer Weile stieß Notburg einen Schrei aus, den aber niemand im Flur deuten konnte, ob er des Erschreckens oder der Freude sei. Christine eilte herbei. Das Gesinde drängte nach. Da hob ihr Notburg wortlos ein Bündel entgegen. Die Frau trug es unter die Lampe und jetzt sahen es alle, es war ein neugeborenes Kind. Diese Entdeckung verschlug ihnen für eine Weile die Rede, sie starrten das Kind an, das wie ein Bild der Zufriedenheit, in seiner Fetzenhülle schlief. Schließlich fragte die Frau: „Hast du nicht gesehen, wer es gebracht hat? Es muss doch im Augenblick des Läutens gewesen sein.“ Aber die Magd verneinte. Christine ließ nun das Kind nicht mehr los und trug es in das Stockwerk. Wie von einem Bann bezaubert, folgten ihr die Mägde. Sie dachten gar nicht, dass es ihnen nicht zustand, in die Herrschaftsräume des Stockwerks einzutreten, denn sie waren dorthin nicht gerufen worden. Doch sie gingen mit der Frau in die Wohnstube, die manche Magd nur vom Hörensagen kannte. Auch die Frau verwies es ihnen nicht. Sie legte das Kind in die Arme Notburgs und verschwand für kurze Zeit aus der Stube. Mit einer Wiege kam sie wieder zurück. Die Mägde staunten nicht etwa, sie wussten, dass die Frau diese Wiege in das Haus mitgebracht hatte, als sie als Herrin eingezogen war. Darin hatten alle Frauen ihres Geschlechts ihre Kinder gewiegt und dann war die Wiege an Christine gekommen. Allein sie war leer geblieben. Jetzt legte sie das Findelkind in sie hinein, stellte die Öllampe auf ein nahes Tischchen und rückte einen Stuhl an die Wiege. Wie sie nun so bei dem schlafenden Kind saß und mit wonnigem Lächeln auf das Kleine herabsah, da vergaßen — so hat es mir der Bauer erzählt — die Mägde den Ort, an dem sie sich befanden; sie vermeinten, dass sie in der Kirche stünden und Maria mit dem Menschenkind vor ihnen säße. Und vielleicht hat Gott ein solches Gleichnis aufgestellt, nur deshalb, dass die Welt glauben lernte, wie viel Göttliches im Menschen verborgen sei.
Diese Geschichte hat sich denn auch durch nahezu zwei Jahrhunderte hin verbreitet. Der Bauer hat mir am Schluss gesagt, dass sie rundum am Heiligen Abend stets von der Hammerfrau Christine redeten, der in dieser Nacht des Wunders ein Kind geschenkt worden sei, ohne dass ein Mann sich ihr zur Zeit genähert hätte.
                                     

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