Von
einem Besuch Dr. Karl Lueger´s
im Stoder- und Steyrtal berichtet die Zeitung „Reichspost" am 28. August 1898.
(Dr. Karl Lueger geb. 1844 in Wien, gest. 1910 in Wien, war von
1897 bis zu seinem Tod 1910 ein beliebter und populärer Bürgermeister in Wien.)
Der
Bürgermeister und seine Reisegesellschaft war zwar von unserer
schönen Bergwelt begeistert, doch wurde er auch
hier
von politischen Spannungen nicht verschont.
Einem
Redakteur der „Reichspost" gab der Bürgermeister ein Interview.
Dr. Lueger erzählte folgendes:
Er
sei von Hinterstoder gegen Abend nach Klaus-Steyrling gefahren in
Begleitung des Herrn Dr. Brzobohaty, dessen Gattin, einer Baronesse
und seines Dieners Pummerer. Dr. Lueger wollte mit seiner
Gesellschaft in Klaus-Steyrling übernachten,
damit man am nächsten Tag Kremsmünster besuchen und noch am Abend
in Wien eintreffen könne. Wir kamen, sagte Dr. Lueger, um 8 Uhr
Abends in der Bahnhofsrestauration an, die wir über Empfehlung des Dr.
Brzobohaty aufsuchten,
der vor 4 Jahren dort gewesen war. Wir begaben uns zuerst in die uns
zugewiesenen Zimmer und nahmen dann in der Restauration an dem von
dem Wirt zugewiesenen Tisch Platz
. Es
war dies ein Ecktisch. Neben uns, der Wand entlang, waren einige
Tische aneinandergereiht, an denen mehrere Personen saßen, die bei
unserem Eintritt in lebhafter Unterhaltung begriffen waren. Ich
setzte mich so, dass ich der Gesellschaft den Rücken kehrte, denn
ich will nicht angestaunt werden. An dem Tisch
mir zunächst hatten einige junge Frauenspersonen und Herren Platz
genommen. Ihnen zunächst saß ein älterer Herr, den ich nicht kenne
und in unmittelbarer Nähe ein mir gleichfalls unbekannter
geistlicher Herr. Der erwähnte alte Herr richtete etwas an der
Lampe, die zwischen den beiden Tischen hing, offenbar in der Absicht
zu sehen, ob ich wirklich der Dr. Lueger bin. Nach dessen Rückkehr
zum Tisch ging die Hetze an. Die Gesellschaft machte einen geradezu
unerträglichen Lärm in
der Bahnhofsrestauration. Dabei zeichneten sich besonders die in
unserer Nähe sitzenden Personen aus. Selbstverständlich fielen an
unserem Tisch einige Bemerkungen über das unqualifizierbare Benehmen
der Gesellschaft. Über den Charakter und die Absicht des Lärmens
konnte kein Zweifel sein. Es galt, sich mir so unangenehm als möglich
zu machen. Richtig ist, dass ich mich beim Wirt beschwerte und
ersuchte, den Lärm abzustellen, damit
wir in Ruhe unser Nachtmahl essen könnten. Ich wählte dabei eine
mehr scherzhafte Form. Der Wirt getraute sich nicht, meinem Wunsch
nachzukommen, oder wollte nicht. Das Letztere schließe ich daraus,
weil er an seiner Uhrkette ein Medaillon mit dem Bildnis
Wolff´s
trug.
Im
Gegenteil wurde der Lärm immer wüster. Als der selbe gar zu arg
wurde, begab sich der Pfarrer von seinem Platz weg und nahm an der
oberen Tischreihe Platz, wo unter den dort sitzenden Leuten ein
anständiger Ton herrschte. Dann
setzte sich jemand zum Klavier
und
begleitete den Gesang eines Herrn, der mit stürmischen Heilrufen
begrüßt wurde. Sehr charakteristisch für die Gesellschaft aber
ist es , dass in dem vorgetragenen Lied, der Sänger an seine
Geliebte die Aufforderung richtete, sich zu ihm zu legen und mit ihm
zu kosen. Es wurde ebenso elend gespielt als gesungen. Da wir davon
nicht gerade entzückt waren, was
die Gesellschaft merkte, so stand schließlich ein junger Mensch auf
und hielt eine Rede, um den Anstand (!) der Gesellschaft zu
verteidigen. Sie meinten, sie seien "entre nous" (zwischen uns )
und könnten sich benehmen wie sie wollten. Wenn dies anderen nicht
passe, so mögen sie fortgehen. So sprach der (alldeutsche) Bruder in
einer Bahnhofs-Restauration und er schloss selbstverständlich seine
Rede mit einem "Heil !", das von den Anwesenden nachgeheult
wurde.
Nachdem
wir gespeist hatten, wollten wir fortgehen. Dies war das Signal für
die Gesellschaft, mich und meine Reisebegleiter in unglaublichster
Weise mit Hohnrufen zu überschütten. Ich kehrte mich um und hielt
nun an diese merkwürdige Versammlung eine Ansprache in der ich
ungefähr folgendes sagte: „Ich muss die Gesellschaft um
Entschuldigung bitten, dass ich überhaupt hier hereingekommen bin,
da offenbar ein Irrtum auf meiner Seite vorliegt. Ich glaubte in eine
Bahnhofsrestauration zu kommen, in welcher ich in Ruhe mein Nachtmahl
verzehren könne. Wenn ich gewusst hätte, dass eine geschlossene
Gesellschaft hier sei, welche "entre nous" sein will, so wäre
ich nicht hereingegangen, da ich mich mit - Schönerianern und
Wolffianern - nicht abzugeben pflege. Ich empfehle mich ihnen und
wünsche eine gute Nacht.“ Die
Ansprache wirkte so verblüffend, dass es plötzlich still wurde.
- Aus Wikipedia zum besseren Verständnis: Georg Heinrich Ritter von Schönerer (geb. 1842 in Wien, gest. 1921
im Schloss Rosenau, Niederösterreich) war ein österreichischer
Gutsherr und Politiker. Schönerer hatte von 1879 bis zur
Jahrhundertwende Bedeutung als Führer der Deutschnationalen und
später der Alldeutschen Vereinigung. Er
war ein heftiger Gegner des politischen Katholizismus, ein radikaler
Antisemit und übte starken Einfluss auf den jungen Adolf Hitler aus,
der ihn als eines seiner Vorbilder ansah.
Dr.
Lueger berichtet weiter: - Als ich auf meinem Zimmer war und mit
meinen Reisegefährten das Erlebnis besprach erschienen zu meiner
Überraschung zwei Herren der sonderbaren Gesellschaft, die sich
unten befunden hatte in
meinem Zimmer. Der eine war der geistliche Herr, über den anderen
will ich schweigen. Der geistliche Herr stellte sich mir als der
Pfarrer von Klaus–Steyrling vor und suchte das Vorgehen der
Gesellschaft zu entschuldigen. Dabei verwickelte er sich auch in eine
lebhafte Debatte mit meiner Reisegesellschaft, über die ich aus
Rücksicht auf den geistlichen Herrn, der den Getränken übermäßig
zugesprochen zu haben schien, hinweggehen will. Es ist richtig, dass
der Pfarrer mir ein Nachtquatier angeboten hat, was ich
selbstverständlich abschlug, indem ich die Bemerkung beifügte ,
dass ich mich vor "Wolffianern und Schönerianern" nicht fürchte,
auch wenn noch mehr kommen sollten. Der zweite Herr, der offenbar wie
Pontius ins Credo gekommen war, bat mich flehentlichst seine
Anwesenheit bei diesem Auftritt zu verschweigen. Man
kann aus dem allein schon schließen, wie wenig dem Anstand
entsprechend das Benehmen dieser Gesellschaft war. Selbstverständlich
entschuldigte auch er sich und erklärte , wenn er gewusst hätte,
dass ich hier bin, würde er alle diese Vorkommnisse verhütet haben.
Dr.
Lueger erklärte weiteres über den Pfarrer nicht mitteilen zu
wollen, weil er die geistliche Würde in ihm schonen wolle. In der
Früh war, fuhr
Dr. Lueger fort,
mit dem Wirt eine große Veränderung vor sich gegangen. Der große
Wolf war von der Uhrkette verschwunden. Er entschuldigte sich
höflichst und bat mich, von der Sache keinen Gebrauch zu machen, was
ich denn auch bis jetzt getan habe.
Die
Bemerkung, dass er auch in Stoder einen schlechten Empfang gehabt
habe, bezeichnete Dr. Lueger nicht als zutreffend. Auf der Fahrt von
Vorderstoder nach Hinterstoder sei er von einem
Sommerfrischler erkannt worden, worauf der Pfarrer von Vorderstoder
und viele anwesende Sommerparteien (Gäste) aus Wien ihn in
Hinterstoder besuchten.
Der Artikel wurde etwas gekürzt.
Bürgermeister Dr. Karl Lueger |
Kaiser Franz Joseph und Bürgermeister Dr. Lueger |
2 Schillingmünze 1935 |
Luegerdenkmal in Wien |
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