Freitag, 29. Mai 2020

Pfingstverlobung im Jahre 1932


Alljährlich zu Pfingsten hat Amor viel zu tun. Es regnet Verlobungen, Ringe 
werden gewechselt und die glücklichen Bräute freuen sich auf den Augenblick, an dem sie auch den Namen wechseln. Auch bei meinem Freund Fritzl hat's dieses mal geschnappt; seit drei Jahren ist er mit seiner Fanni heimlich verlobt und da wurde es Zeit, dass er's endlich offiziell macht.
„Weißt du, wie ich mir vorkomme?" sagte er zu mir, „wie ein Schaufenstergegenstand, an dem das Schildchen hängt: „Verkauft!" So ein Heuchler! In Wahrheit ist er der glückseligste Bräutigam, eine Busselei ist das zwischen den beiden, als ob sie beständig die Schlussszene in einem Filmlustspiel spielten und wenn sie abends vor der Haustüre Abschied nehmen, dauert das so lange, dass ich als unbeteiligter Dritter jedes mal sage: „Ein Dienstmann kriegt zwei Mark die Stunde!" Sie tauschen die irrsinnigsten Kosenamen: „Mein Schnuckiputzi", „mein Schatzifratzi", „mein Affenpudelchen", „mein Mausikänguruhchen", kurz, der Fritzl nutzt die Zeit, in der er noch zu Wort kommt, zur möglichsten Bereicherung des deutschen Wortschatzes aus. Für die beiden ist das ein Hochgenuss, für mich ist es zum Glatze kriegen.

Das ewige Anhimmeln war nicht mehr auszuhalten und deshalb nahm ich mir den Fritzl vor und sagte: „Über deinem Haupt schwebt nicht nur ein Damoklesschwert, sondern ein ganzes Zeughaus! Genau so wie du hat sich auch der Sokrates in seiner Verlobungszeit benommen und was war die Folge? Seine Xanthippe kam ins Konversationslexikon! Wer immer „ja" sagt, muss einst „weh" sagen! Widersprich ihr einmal, stelle dich einmal auf deine Hinterhalbschuhe, sei ein Mann — und du wirst dein Wunder erleben!"
„Wie wenig du meinen Engel kennst!" lächelte er. „Nie werden wir uns streiten, sie ist ja die süßeste, beste, nachgiebigste, himmlischste, einzigste, sanfteste, unvergleichlichste. "ich wartete den Schluss seiner Adjektivsammlung nicht ab, denn wenn die Liebe ihn blind macht, braucht sie doch mich nicht taub zu machen. Ich machte seiner Braut den Verlobungsbesuch, nahm sie beiseite und sprach: „Liebes Fräulein Fanni, ich kann Sie gar nicht genug bewundern! Ich erkenne den Fritzl nicht wieder: sonst ist er immer ein solcher Trotzkopf, so rechthaberisch, der geringste Widerspruch macht ihn wild, der Jähzorn macht ihn zu allem fähig. Er — „Mein Fritzl?" lächelte die Fanni. „Oh, nie werden wir uns streiten, er ist ja der süßeste, beste, nachgiebigste, himmlischste, einzigste, sanfteste —."
„Ich würde es doch einmal auf den Versuch ankommen lassen! Vor der Ehe muss sich die Frau die Gleichberechtigung sichern, nachher ist's zu spät! Widersprechen Sie ihm einmal, beharren Sie einmal auf Ihrer eigenen Meinung, sonst werden Sie statt seiner Kameradin seine Sklavin!" 
Gestern abends war ich bei ihnen im engsten Familienkreise eingeladen. Die zwei busselten wieder, als gälte es den Weltrekord zu brechen, mit ihren Kosenamen richteten sie wieder das schrecklichste Durcheinander in der Zoologie an: „Mein Papageikälbchen", „mein Eichhornkikerikichen", und Fannis Mama stieß den Papa sacht an: „Ganz wie damals!", worauf er erwiderte: „Lass' 'ma mei Ruah!"
„Sieh nur den Mond, Fritzl," flötete die Fanni „genau so hat er schon zu Romeos und Julias Zeiten geleuchtet!" Ich gab dem Fritzl einen Rippenstoß und soufflierte: „Aber, lieber Schatz, das ist doch nicht der Mond, das ist die Sonne!" „Aber, lieber Schatz, das ist doch nicht der Mond, das ist die Sonne!" echote der Fritzl und ich rieb mir die Hände. Erstaunt ließ Fanni seinen Arm los und sagte:„Du scherzest, Liebling, der Mond ist es! „Entschuldige vielmals," soufflierte ich, „aber ich bin ja nicht blind, die Sonne geht nach der Bahnzeit um 20 Uhr 53 Minuten unter, das weiß jedes Kind. „Also widersprich mir bitte nicht in einer so wichtigen Angelegenheit!" da wurde die Fanni ganz blass und ich flüsterte ihr zu: „Wenn Sie jetzt nachgeben, sind sie zeitlebens rechtlos!" Und daher sagte sie nun mit einer ganz merkwürdigen Betonung: „Ich finde diese Späße etwas albern, mein Lieber! Es ist der Mond, und wenn du dich hundertmal auf den Kopf stellst, bleibt es trotzdem der Mond! Wenn du deinen trotzköpfigen Tag hast, dann gehe nach Hause, aber lasse deine Launen nicht an mir aus!" „Ich gehe," soufflierte ich dem Fritzl, „aber vorher möchte ich erst aus deinem Munde hören, dass es die Sonne ist! Wenn es die Sonne ist, dann ist es die Sonne, basta! Oder siehst du vielleicht das Mondkalb?“ „Jawohl, ich sehe es!" erregte sich die Fanni. „Es steht vor mir!" Und plötzlich brach sie in Tränen aus, flüchtete in die Arme der Mama und schluchzte: „Er liebt mich nicht mehr!" Ich war baff. Und ich dachte: wenn er jetzt stark bleibt, hat er gewonnen.
Aber was tat er? Er stürzte zu ihr, streichelte ihr das Haar und wimmerte: „Weine doch nicht, mein Elefantenspatzi, mein Miauchen, natürlich ist es der Mond, der Vollmond, der Halbmond, der Viertelmond, der Wonnemond, —" Fannerl richtete sich auf, trocknete die Tränen und befahl: „Sage, es ist der Huckimuckimond!" Und der Fritzl — „ja, gibt´s denn so was?" — wiederholte er demütig: „Es ist der Huckimuckimond, jetzt sehe ich es ganz deutlich. „Nein," sagte die Fanni, „ich habe mich getäuscht, es ist eine Bogenlampe!" „Richtig, mein Schatz, eine Bogenlampe ist es! Dass ist das nicht gleich sah!" (Und so was trägt Hosen!) „Das heißt, für eine Bogenlampe ist es eigentlich zu groß, es ist ein Glühwürmchen!" diktierte die Fanni. „Nein, was du für scharfe, süße, blaue Äuglein hast, ein Glühwürmchen ist's!" Und dann lagen sie sich in den Armen, busselten, dass die Teetassen schepperten, verkorksten wieder die ganze Zoologie und diesmal stieß der Papa die Mama an: „Ganz wie damals!" Worauf Mama mit einem niederschmetternden Blick ergänzte: „Und wie heute noch!"

Liebe Pfingstbräute, lächelt nicht so verschmitzt, und ihr, o Bräutigame, ihr künftigen Herrn im Hause, bläht euch nicht so selbstbewusst: „Hoho, da sind wir anders!" Mir könnt ihr nichts weiß machen, denn auch ich war einmal verlobt!    

                                                                                               Karl Ettlinger 
                                                                       
  
                                      

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