"Jeden Freitag kam mit einem offenen Lastwagen ein
Fleischhauer um ein kleines Filialgeschäft in unserer Nachbarschaft, das es
schon lange nicht mehr gibt, zu beliefern. Er ließ das Auto auf der Straße
stehen und schleppte seine Würste in das Geschäft. Meine Brüder und unsere
Freunde warteten schon gut versteckt im Straßengraben. Genau in diesem Moment, in dem das Auto unbewacht war, sprangen meine Brüder
auf die Ladefläche und eine Stange Krakauer wechselte ihren Besitzer.
Krakauer war unsere Leibspeise, die sich unsere Eltern
leider nur selten leisten konnten. Mit diesem Wurstsegen verschwanden wir alle
in den Wald und hielten ein Festmahl. Unsere Eltern durften das natürlich nicht
wissen. Aber auch dem reichen Fleischhauer fiel das Fehlen dieser einen Wurst
nie auf und deshalb hatten wir damals auch nicht wirklich ein schlechtes
Gewissen.
Einmal mussten wir abends Ziegenmilch von der alten Dorfhexe
"Züla" holen. Wir haben uns sehr gefürchtet, denn sie konnte zaubern.
Sie verwünschte das Vieh und die Leute, erzählte man im Dorf. Als meine
Geschwister und ich kamen lag sie angezogen im Bett Um ihren Kopf hatte sie ein weißes Tuch
gebunden und ihre rot umrandeten Augen musterten uns in der Dämmerung. In ihrer
Kammer brannte kein Licht, sie wurde nur vom Mond erhellt. Wir saßen auf ihrem
Bettrand und sie zeigte uns verschiedene
Kunststücke und lernte uns wie wir mit Spielkarten die Zukunft vorhersagen
konnten. Sie war sehr freundlich zu uns. Ihre alte Keusche (kleines Häuschen) stand
auf einer Waldwiese, auf der Schafe und Ziegen grasten. Es kam schon vor, dass
ein neugieriger Ziegenbock auch ihre Küche erforschte. Vor der Haustür
schnurrte ihr Kater, den sie "Wui, Wui" nannte".
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