Der Glaube an Heilung hatte schon immer eine große Bedeutung in der Medizin. Heute genauso wie früher. Darum wirken manchmal auch
Placebos und niemand weiß wirklich warum. Kein Wunder also, dass
sogenannte Wunderheiler seit jeher Kranken gegen Bezahlung Heilung
ihrer Leiden versprachen.
Deshalb landeten Wunderheiler auch manchmal vor Gericht, wie die „Tages–Post“ am 3.
August 1883 unter dem Titel „Kapitel über die Dummheit“
berichtete.
Der
Artikel wurde etwas gekürzt und der heutigen Schreibweise angepasst.
Da hat, wie die Zeitung berichtete, dieser Tage in Steyr eine Gerichtsverhandlung stattgefunden, die besagt, dass Derjenige, der mit der Dummheit und dem Aberglauben der Leute spekuliert, ein gutes Geschäft machen kann.
Angeklagt
war wegen des Verbrechens des Betruges die 31jährige Zäzilie
Immler, ihres Zeichens „Hadern- und Lumpensammlerin“, die sich nebenbei mit
„Heilen“ und „Doktern“ zusätzlich Geld verdiente. Die
Krankheit selbst war ihr eigentlich immer egal, wenn nur die Bauern
ordentlich zahlten und nie gesund wurden.
Das
Schönste hierbei war noch, dass die „Heilerin“ auf ihren
Hamsterfahrten nach „Hadern“ und dergleichen Altertümern, den
Leuten, die sie für ihre Radikalkur auserkoren hatte, die Krankheit
erst einreden musste. Es war erstaunlich, wie leicht ihr das gelang.
Ihre Opfer fühlten sofort stechen, brennen, zucken und drücken,
alle Beschwerden, die sie ihnen einredete.
Als
sie in Hinterstoder war, kam sie zu dem Bauernhofbesitzer R.,
der mit seiner jungen Frau im Hof stand. Die Frau wiegte ihren
kränklichen Säugling in den Armen. Die Immler kam um „Hadern und
Lumpen“ zu sammeln, aber sie erfasste rasch die Situation, kam auf
das Elternpaar zu und betrachtete mit Fachblick den weinenden
Säugling. Nach eindringlicher Betrachtung sagte sie endlich: “Das
Kind leidet ja an brandigem Blut. Ich werde es anbrauchen (heilen)
und gesund machen.“ Nach diesen Worten verlangte sie nach drei
rostigen Nägeln und drei Fäden Zwirn, der weiß sein musste. Das
alles wurde von den besorgten Eltern sogleich herbei geschafft.
Unterdessen ist man in die Stube getreten und die Immler hat mit
dem Heilungsprozess begonnen. Die Eltern verfolgten mit zum Gebet
gefalteten Händen jede Bewegung der „Heilerin“. Sie zeichnete,
die Nägel in der Hand über dem Kind haltend, nach allen
Weltgegenden und Himmelsrichtungen, Kreuzzeichen. Dann nahm sie die
Zwirnsfäden aus der linken Hand der Mutter und band sie dem
schlummernden Kind um den Hals.
Dabei
sprach sie die Gebetsformel:
„ Im
Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!
Gestillt und gebunden, so entstanden; das wider deine Gewalt, wider
dein Fleisch, wider dein Blut; das ist für alle 72 Stund, für alle
72 Schwund, für alle 72 schlechtes Blut und Abzehrungen. Das hilft
dir Gott der Vater, der Sohn und der heilige Geist! Amen. - Kostet 2
Gulden, 16 Kreuzer. zusammen!“.
Fertig
war der Zauber. Der Mann zahlte den Betrag in der frohen Hoffnung,
seinen Buben kuriert zu wissen.
Aber
nicht genug. Der Bauer fragt mit einem glaubensseligen Blick die
„Heilerin“ wieso denn das Knäblein zu dem brandigen Blute
komme? „Das rührt von der Mutter her“, diagnostiziert die
Immler, „sie leidet ebenfalls am brandigen Blut“. Darauf
Stille. Der Bauer fühlt ein geheimes Gruseln und streift
eigentümlichen Blickes sein junges Weib, das blass mit verweinten
Augen den Boden streift und mit der Hand die Immler am Schürzenband
zupft. In einem günstigen Moment, da der besorgte Vater sich über
das Bett zu seinem kranken Buben beugt, entschlüpfen beide in ein
Nebenkämmerlein, wo der vorher beschriebene Schwindel unter Gebet an der Kindesmutter noch einmal begann. Diesmal wurden die Kreuzzeichen
mit einem geweihten Stück Holz auf den entblößten Brüsten der
Mutter gemacht. Der Zwirnsfaden wurde um die Mitte des entblößten
Leibes geschlungen. Das kostete 6 Gulden. Nebenbei machte die
„Doktorin“ das Angebot, das nicht nur mit Geld zu bezahlen ist,
sondern auch andere Sachen an Geldes statt angenommen werden. Während
die glückliche Bäuerin im Begriff stand Sachen als Bezahlung
zusammen zu suchen, erzählte die „Doktorin“ weiter, dass es in
solchen Fällen immer gut wäre, wenn man als eine Art Nachkur etwas
weihen ließe. Dabei sticht ihr eine neunsträngige silberne
Halskette in die Augen.
„Das
müssten aber doch etwas schönere und wertvollere Gegenstände sein“, zirbte sie mit Nachdruck, „weil ich dieselben nach Adlwang bringe,
wo sie am Gnadenaltar durch mehrere Tage aufgehängt werden. Da kann
man natürlich nichts Schlechtes hinhängen!“ Die Bäuerin übergibt
ihr schließlich die Halskette und die „Heilerin“ verlässt einer
römischen Matrone gleich den Bauernhof.
Eines
anderen Tages tritt die Immler, als Lumpensammlerin, in die
Stube eines Bauerngutes in Hinterstoder. Der Mann sitzt am Tisch, sein
Weib ist im Zimmer beschäftigt und man bedeutet ihr, dass nichts was
in ihren Geschäftszweig schlage, vorhanden sei. Da tritt sie wie "Kassandra" (Kassandra konnte Weissagen, aber niemand glaubte ihr) mit
majestätischen Schritten an das Weib heran und hebt ihr die Röcke
bis über die Knie hinauf und ruft erschrocken: „Sie haben ja einen
brandigen Fuß!“ Mann und Weib erbleichen und sofort beginnt die
vorher beschriebene Prozedur von Neuem.
Hockus Pockus und
Gebetsformel wie vorher. Dann wird zur Abwechslung aus Hanfwerk ein
Strick geflochten und der Bäuerin um den brandigen Fuß und um Brust
und Hals gewunden. Den musste sie 14 Tage tragen. Das kostete 2 Kilo
Selchfleisch, einen Kittel und 5 Gulden, „weil sie dem Herrn Pfarrer
von Adlwang, wo die Sachen geweiht werden, für jedes Stück 20
Kreuzer Trinkgeld geben muss“.
Eine Kellnerin in
Schweitzersberg befindet sich sonst ganz wohl, nur das sie aus einem
unerklärlichen Grund etwas blass aussieht. Die Immler tritt in das
Wirtshaus, bemerkt, dass „Louise blass aussieht“ und erklärt ihr
sofort, dass sie am „Schwund“ leide. Sie könne aber diese
fürchterliche Krankheit „wenden“. Die Kellnerin, die vielleicht
weiß, warum die Wangen gerade heute etwas blässer sind, sträubt
sich entschieden gegen jedes Krankheitsgefühl und bemerkt, dass sie
nur hie und da (aber heute gerade nicht) an Magenkrämpfen leide.
„Was, Magenkrampf? Sie, da kann ich nur alleine helfen! Kommens
geschwind herein da.“ Die blasse Kellnerin möchte dann doch ihren
Magenkrampf los werden. Die Behandlung kostete 2 Gulden und ein
seidenes Kopftuch zum Weihen in Adlwang.
Den religiösen
Aberglauben unserer Landbevölkerung mit weiteren Beispielen zu
beschreiben, wäre wirklich ekelhaft. Die heute angeklagte Immler
bezeichnete dem Gerichtshof in ihrem reumütigen Geständnis selbst
ihr „Heilen“ als den reinsten Schwindel. Um der Landbevölkerung
ihre Heilkraft eindrucksvoll vor Augen zu führen, musste jeder
Hexenspuk und auch das Vaterunser herhalten.
Die Zahl der
Geprellten ist nicht genau feststellbar, weil sich viele, Gott sei
Dank, ihrer eigenen Dummheit wegen schämten und aus Selbsterkenntnis
schwiegen.
Alte Bilder von Kurpfuschern und Wunderheilern gibt es schon seit Jahrhunderten, wie dieses Bild von dem niederländischen Maler Jan Havickszoon Steen (geb.1626, gest.1679) zeigt.