Der große Priel (2515 m) war für Bergsteiger schon immer ein begehrtes Ziel, wie die Zeitschrift "Adler" berichtete. Allerdings war das Bergsteigen mit der Ausrüstung vor rund 200 Jahren, eine Herausforderung der man gewachsen sein musste. Der Artikel wurde etwas gekürzt und an unsere Zeit angepasst.
Den 3. September 1840 ging ich mit dem würdigen Hrn Pfarrer Knoll, meinem verehrten Vetter Müllhofer, Hrn. Religionsprofessor Riedl aus Linz,
Hrn. Schullehrer Westermaier, einem Techniker und einem Modeherrchen aus
Wien, von Windischgarsten nach Hinterstoder, einem Dörfchen am Fuße des
Priel, ganz von hohen Bergen eingeschlossen. Beim Herrn Pfarrer Weiß in
Stoder, wo wir freundliche Aufnahme fanden, nahmen wir ein tüchtiges Essen
ein, und befeuerten uns auf die zu bestehenden Beschwerlichkeiten mit gutem Österreicher und feurigen Steiermärker. Der uns führende Jäger erhielt einen
ziemlichen Sack mit Weinen und Mundvorrat. Jeder von uns erhielt einen
starken mit Eisen beschlagenen 6 bis 8 Fuß hohen Stock(1 Fuß = 30 cm). Bergeisen (Steigeisen) war nur
ein Paar für den Hrn Professor vorhanden; Bergschuhe nahmen nicht alle,
nur musste sich das Modeherrchen gefallen lassen, dass man seine Tanzstiefelchen mit Nägeln beschlug. So ausgerüstet zogen wir (mit Ausnahme des Hrn.
Knoll und Hrn. Müllhofer, welche beim Hrn. Pfarrer Weiß zurückblieben)
vorwärts. Die ersten vier Stunden ging es gut, dann schon beschwerlicher. Wir
mussten über steile Felsen, neben tiefen Höhlen, wo man alle Sinne zusammen nehmen musste. Der Modeherr war schon sehr müde und wollte jeden Augenblick ausruhen. Seine eleganten, hier unzweckmäßigen Kleider hinderten die Bewegung, bis Rock und Beinkleider aufsprangen. Endlich gelangten wir um 8 Uhr Abends in die oberste Alpenhütte; doch war hier schon alles ausgezogen, die Tore verschlossen, die Fenster so klein, dass niemand durchschlüpfen konnte; wir waren daher genötigt, die Türe einzuschlagen; dann machten wir am Herd ein tüchtiges Feuer an, und bemerkten, als sich der Rauch verloren hatte, noch eine andere Türe, welche vom Jäger geöffnet wurde.
Hier fand sich guter Schmetten (saure Milch) vor, in dem sogleich Brot eingebrockt wurde, welches in einem großen vorgefundenen Milchschöpfer der Reihe nach herum gegeben wurde. Dann ging es an unseren Mundvorrat und mit einigen Zügen aus der Weinflasche schlossen wir unsere Abendmahlzeit. An ein Schlafen war nicht zu denken, denn es war in der Hütte zu wenig Raum, und weder Stroh
noch Heu vorrätig, um ein Lager bereiten zu können. Wir waren froh, einiges Holz und Reisigbündel zu finden, um das Feuer unterhalten zu können, da es ziemlich kalt wurde. Die Nacht war sehr hell und die Sterne blinkten freundlich auf unsere idyllische Wirtschaft herab. Wir waren 5400 Fuß hoch. Um 2 Uhr früh brachen wir auf.
Nun hörte, mit Ausnahme einiger Alpenkräuter, die Vegetation auf. Es wurde sehr frisch, wir knöpften uns die Röcke zu. Ich kletterte gleich nach dem Jäger, und so empfand ich bald eine Erwärmung. Das Steigen wurde nun immer beschwerlicher, nicht so sehr über die nackten Felsen, als über lose Steine, wo man oft wieder herabrutschte, was man mit Mühe und Anstrengung erklommen hatte. So ging es über zwei Stunden, immer mehr began. Es begann zu dämmern, die Sterne schwanden und endlich erglänzte im Rosenlicht der Gipfel des Priel. Ein erhabener Anblick!
Unten alles noch im Dunkel gehüllt, hier schon Tag. Nun ruhten wir eine
Viertelstunde, taten einige Züge aus der Weinflasche. Aber der Wein wollte nicht
in der Nähe der Gletscher und Schneefelder wirken. Da gab uns der Jäger, unser tüchtiger Führer, Branntwein; das tat wohl und wärmte. Nachdem wir uns so gestärkt, stiegen wir über einen steil hervorragenden Felsen, wo Einer dem Anderen half, in eine Ebene, welche sich gegen die Bergseite zu immer mehr emporhob. Hier kamen wir zum ersten Gletscher. Es ist ein eigenes Gefühl, im Sommer unter eine solche Eismasse zu kommen. Ich dachte mir ein Eisfeld recht glatt, indessen fand ich Unebenheiten, wie durcheinander geworfene Steine und was das gefährlichste ist, Sprünge und Spalten, wo kein Auge das geheimnisvolle Dunkel durchdringt; nur tief unten hört man die Wasser dumpf brausen. Mit Furcht und Freude betraten wir das Eisfeld.
Der Professor kam so ziemlich mit seinen Steigeisen darüber, wir anderen behalfen uns mit den Stöcken so gut als möglich, doch ging es mühsam. Zuerst machten wir eine Art von Stiege und schwangen uns dann mit den Stöcken von einer Stufe zur anderen; so hatten wir dreiviertel des Eisfeldes überschritten. Nun konnten wir nicht mehr weiter. Es ging zu steil, und ein unvorsichtig gewagter Schritt, ein einziges Ausrutschen würde uns das Leben gekostet haben. Jeder grub sich daher ein großes Loch und setzte sich hinein; die Füße waren vor Kälte beinahe erstarrt. In diesem Moment bekam unser Modeherrchen das Bergfieber. Er wurde
bleich, konnte sich kaum mehr halten, und schloss, um sich des Schwindels zu erwehren, die Augen. Mit großer Mühe trug ihn der Jäger mit Hilfe des Hrn. Professors über das Eisfeld die steilen Felsen hinauf. Hier kamen wir zu einer furchtbaren Spalte, unten hörten wir die Wasser brausen und doch mussten wir hinüber. Wir legten daher unsere Stöcke über den furchtbaren Schlund und bildeten so eine Art Brücke und krochen einer nach dem anderen auf den festen Felsen hinüber. Alle erhoben auf einmal ein Freudengeschrei, als wir wieder festen Fuß fassen konnten.
Hier rasteten wir wieder, nahmen einige Erwärmungen aus der Flasche; der Patient, dem wir ebenfalls Branntwein mit Eis und Brot vermischt darreichten, fühlte sich außer dem Bereich des Eisfeldes besser, jedoch schwach und blieb hier in einer Felsenhöhle, bis wir zurückkommen würden.
Bis zum Gipfel hatten wir noch eine Stunde. Wir stiegen schnell und gerade unserem Ziele entgegen, als wir bei einem Felsenstück wieder ein neues Hindernis fanden. Der Fels war ganz locker und drohte bei der mindesten Berührung herabzustürzen
und uns zu zermalmen. Wir nahmen daher einen Umweg über noch steilere Felsen (den sogenannten Gamssteig).
So arbeiteten wir uns eine viertel Stunde fort als der Jäger stehen blieb, sein
Fernrohr nahm und mit gespannten Augen die Spitze des Priel betrachtete. —
Mit furchtbarem Ernst verkündigte er uns, dass all unsere Müh' und Anstrengung vergebens sei, denn wir müssen sagte er schleunigst umkehren, indem
bald ein Nebel eintreffen werde. Und wirklich, wir machten noch Vorstellungen, als sich am Gipfel eine Nebelwolke senkte, die sich mit reißender Schnelligkeit allenthalben verbreiterte und uns alle Aussicht nahm, so dass wir kaum
auf 10 Schritte sehen konnten. Missmutig wurde umgekehrt, der Patient hatte sich doch erholt, und so stiegen wir auf der anderen Seite des Berges herab. Wir
passierten noch 6 Eisfelder, von denen eines mir immer in Erinnerung bleiben wird. Der dichte Nebel begann zu reißen und in wenigen Augenblicken erfolgte ein furchtbarer Gussregen dass das Wasser in Strömen herab floss. Ich rutschte aus, fiel und machte eine Art Rutschpartie über ein Eisfeld, dass mir der Meniskus tüchtig brannte, wobei die Beinkleider ganz zerfetzt wurden. Endlich gelang es mir, mich mit den Händen in eine Schichte Schnee einzukrallen. Der Stock entfiel meinen erstarrten Händen.
Die anderen kamen auch nicht viel besser davon und jeder hatte über einen
schmerzenden Arm oder Fuß zu klagen. Der Wind war sehr scharf, der Regen so kalt, dass wir vor Kälte zitterten. So stiegen wir 4 Stunden herab ehe wir zur Alpenhütte kamen. Einen Augenblick hielten wir uns nur auf, dann eilten wir noch 5 Stunden bis wir am Fuße des Berges anlangten.
Der Regen hatte nachgelassen, die Sonne kam aus den Wolken hervor, und mit Freude und Schmerz blickten wir auf den Gipfel des Priel. Der früher nackte Felsen war ganz mit frischem Schnee bedeckt, welch eine Lage wenn uns das Schneegestöber oben überrascht hätte. Wir wären wahrscheinlich verunglückt, weil wir nicht gewusst hätten, wo wir den Fuß hinsetzen sollten. Dann diese Kälte, kein Proviant — wir dankten dem lieben Herrgott, dass wir noch so davon kamen. Beim Hrn Pfarrer Weiß im Hinterstoder angelangt erwartete uns schon ein stärkendes Mahl, welches uns unbeschreiblich wohl tat.
Mehrere glückliche Ersteigungen wurden von Hrn. Pfarrer erzählt, indessen
gehört es auch noch in dieser Gebirgsgegend zur Seltenheit den großen Priel
bis zur Spitze bestiegen zu haben. Von dort aus, wo man eine der großartigsten
Fernsichten bis Bayern und Tirol genießt.
Nach einigen Tagen bestiegen wir das Hoheneck,6405 Fuß. Hier sahen wir von oben herab mehrere Rudel Gämsen ganz ruhig weiden, die Aussicht hatten wir bis Linz. Wir erkannten den Großglockner und den Watzmann, im Salzburgischen, — wie wenig bekannt sind noch diese großartigen Naturschönheiten in diesem Teile von Oberösterreich! Wir staunen über manche Schweizergegend und mit Ausnahme von Montblanc, Chamoune und dem Genfersee haben wir Österreicher dieselben großartigen Naturschönheiten ganz nahe in unserer Heimat.