Es ist schon sehr lange her, da wurde von Zeit zu Zeit
eine weiße Gemse in den Felsen am Bosruck gesichtet. Immer wieder bemühten sich
Jäger dieses seltene Wild zu erlegen. Keinem gelang es und einige büßten die
Jagd auf die weiße Gemse mit ihrem Leben. Die Gemse, so erzählte man sich, lockte die Jäger in steilste Felswände von wo sie kaum zurück fanden, einige
stürzten ab und konnten nur mehr tot geborgen werden.
Günther, ein Jäger des Stiftes Admont saß einmal am Karlseck,
zu dem man über den Arlingsattel aufsteigt, als er durch sein Fernglas in den
Felsen der Südwand etwas Weißes huschen sah. Vorsichtig stieg Günther in die Wand
ein und sah auf einer Felsnase die weiße Gemse stehen. Bevor er jedoch zu seinem Gewehr greifen konnte war das Tier verschwunden und tauchte etwas später ein
Stück weiter weg wieder auf. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt und er folgte der
Gemse über Geröll und Felsen bis unter seinen Füßen ein Stein wegbrach und er sich nur mehr in eine kleine Höhle retten konnte, aus der es nicht mehr möglich war, sich zu befreien. Das Gewehr und ein Teil seiner Ausrüstung kollerte die steile Felswand hinunter. In dieser Höhle lagen viele gebleichte Knochen von Gemsen. Ein Gemsenfriedhof
wie ihn noch nie ein Jäger vorher gesehen hatte. Es schien, als hätte die weiße Gemse den
Jäger absichtlich dorthin gelockt. Alle Bemühungen Günthers, sich durch Schreie
und Steine die Felswand hinunter werfend bemerkbar zu machen, scheiterten.
Endlich nach langer Zeit hörte ein Halterbub von einer Almhütte seine Schreie
und rannte nach Ardning um beim Förster
Hilfe zu holen.
Tagelang bemühten sich Jäger und Holzknechte mit Seilen dem
Unglücklichen näher zu kommen. Es war alles umsonst.
Als alle Rettungsaktionen scheiterten zog eine Bittprozession den alten Wallfahrerweg, der von
Oberösterreich über den Arlingsattel nach Maria Frauenberg führt, in Richtung Bosruck.
Voran die Kirchenfahnen dahinter der alte Priester mit der Monstranz.
Dann die Dorfbewohner laut betend und zuletzt der Förster mit den Jägern.
Der einsame, gefangene Jäger in der Felshöhle, der schon
fast wahnsinnig war und alle erdenklichen Leiden durchmachen musste, hatte
durch einen mit einem Stein beschwerten Zettel, den er die Felswand hinunter warf,
die Jäger bitten lassen sie sollen ihn abschießen bevor er gänzlich dem Irrsinn
verfalle.
An einer geeigneten Stelle wurde ein kleiner Steinaltar
errichtet. Gebete und Lieder erklangen aber auch lautes Weinen drang zu dem
hoch oben in der Felshöhle knieenden Jäger. Die Jäger trachteten so nah als
möglich an den Unglücklichen heranzukommen, legten ihre Gewehre an und auf ein Kommando
des Försters zerriß eine Salve die Luft, vermischt mit dem Aufschrei eines zu Tode
getroffenen Menschen. Günther stürzte kopfüber in die Tiefe.
Diese uralte Geschichte vom Karlseck am Bosruck, die
angeblich ein Wilderer bei seiner Haft im Kreisgericht Leoben aufgeschrieben
hat, ist in den Aufzeichnungen "Heimatbilder"
aus Spital am Pyhrn von Emmerich Grillmayr nachzulesen.
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Arlingsattel |
Am 28.2.1918 erlegte Bertl Windscheck am Nickerberg
in Hinterstoder eine weiße Gemse