Freitag, 30. Juli 2021

„Hafnermeister“ Joseph Haydn

Die Oberdonau-Zeitung berichtete am 11.10.1943 über die Reise des berühmten Komponisten Joseph Haydn (geb. 1732, gest. 1809) nach England. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Zwischen Mitte und Ende Januar 1794 befand sich Joseph Haydn auf seiner zweiten Reise nach England. Er hatte seinen treuen Diener Elßler mit, den Vater der später berühmt gewordenen Sängerin und Tänzerin Fanny Elßler, den er nicht nur als dienstbaren Geist, sondern vor allem auch als Menschen und Kameraden hochschätzte.

In Schärding am Inn gab es Zollrevisionen. Die Herren Beamten an der Sperre walteten ihres Amtes und als sie sich in Haydns Pass vertieften, verursachte einem von ihnen die dort vermerkte Standesangabe als Tonkünstler arges Kopfzerbrechen. „Tonkünstler . . ?“ schüttelte er den Kopf und wandte sich dann an einen seiner Kameraden: der Herr ist Tonkünstler, steht da im Pass. Tonkünstler — was heißt denn das?“ „]a ganz klar“, gab der andere zurück, „das heißt, dass der Herr Tonkünstler ist.“ „Haben Sie gehört, Meister?" machte Elßler seinen Herrn auf die Unterhaltung der beiden Beamten aufmerksam. Diesen war die Zwischenbemerkung nicht entgangen, wie sich gleich zeigen wird.

Vorerst setzten sie allerdings ihr Gespräch folgendermaßen fort: „Du meinst also ?“ „Gar nichts mein ich. Was gibt’s da zu meinen? Ist doch alles ganz klar.“ „Mir nicht.“ Ja, ja der Herr ist Tonkünstler, ein Künstler mit Ton.“ „Aha, in Ton!“ „Ja." „Also, ein Hafner?!“ Hafnermeister! Hast du nicht gehört, wie sein Begleiter ihn vorhin als Meister anredete?“ „Ja und i bin der G’söll“, mischte sich nun Elßler in das Gespräch ein, das damit sein Ende fand, so dass die beiden Schärdinger Zollbeamten nie erfahren haben, welch großer Meister der Töne da von ihnen abgefertigt wurde.

Joseph Haydn




Fanny Elßler


Freitag, 23. Juli 2021

Das Gespräch in der Loge

In der Oberdonau-Zeitung berichtete am 19.3.1944 Eduard Franz über die Schaffenskraft im Alter des berühmten Komponisten Giuseppe Verdi (geb. 1813, gest. 1901). Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Giuseppe Verdi befand sich in den letzten Jahrzehnten seines schaffensreichen Lebens viel auf Reisen um die Aufführungen seiner Werke auf den europäischen Bühnen selbst zu leiten.
In München, wo man am dortigen Hoftheater seinen „Rigoletto“ neu einstudiert hatte, kam er infolge großer Zugsverspätungen erst nach Beginn des ersten Aktes an. Der Billeteur, der ihn persönlich nicht kannte, schob ihn rasch in eine Loge, die bereits von einer einzelnen Dame besetzt war. Da Verdi hinter der Frau zu sitzen kam, konnte er sie ungestört betrachten. Sie war obgleich nicht mehr ganz jung — eine ausgesprochene Schönheit. Ihr reiches, blondes Haar, ihr feines, ebenmäßiges Gesicht, zeichneten sich gegen die hellerleuchtete Bühne deutlich ab und der Meister wurde nicht müde, dieses anmutige Bild in sich aufzunehmen.

Während der großen Pause kamen sie wie von selbst miteinander ins Gespräch, wobei sich zeigte, dass sie ein gepflegtes Italienisch sprach und dass ihr Gatte, ein angesehener Münchener Arzt, im letzten Augenblick zu einem Patienten gerufen worden war, so dass ihr keine andere Wahl geblieben ist, als entweder auf die Vorstellung zu verzichten, oder allein in das Theater zu gehen. Als begeisterte Verehrerin Verdischer Musik, so erzählte sie in ihrer ungezwungenen Art, habe sie natürlich das letztere getan. „Ich kenne fast alle seine Werke auswendig: die stürmischen Jugendschöpfungen - Ernani, Macbeth, Rigoletto, Troubadour, ebenso wie die gedankentieferen seiner Reifezeit — Traviata, Maskenball, Macht des Schicksals, Don Carlos und Aida. Doch seit 17 Jahren hat er nichts Neues mehr geschaffen, obwohl er — davon bin ich fest überzeugt — dazu gewiß noch fähig wäre." „Verdi ist alt geworden, Signora“, antwortete ihr Nachbar lächelnd. „Alt und müde “. „Ach, was heißt alt! Alt werden Schuster, Direktoren und Grünzeughändler. Aber ein Mann wie er, dessen Werken ewige Jugendkraft innewohnt, kann nicht so prosaisch altern. Ein Mensch, der in seiner Jugend und in seinen reiferen Jahren so hinreißende Musik geschrieben hat, muss selbst noch als Greis ein gewaltiges Feuer in sich haben. Es wäre gut, wenn sich jemand fände, der ihm das einmal sagte." „Vielleicht kann ich das, Signora. Ich komme ab und zu mit ihm zusammen und rühme mich, einigen Einfluß auf ihn zu haben."

„Sie sind sein Freund? Welch ein glücklicher Zufall!“ Die anmutige Frau löste ein Medaillon von ihrem schlanken Hals. Bitte, geben Sie ihm das, und sagen Sie ihm, es sei von einer Frau, die fest daran glaubt, dass er noch Großes schaffen könnte, wenn er nur wollte.“ „Gestatten Sie, dass ich Ihnen im Namen meines Freundes Verdi dafür diese schöne Hand küsse“, erwiderte galant der alte Mann an ihrer Seite. “Still!“ rief sie, mit dem Finger drohend. „Der dritte Akt beginnt!" Und Giuseppe Verdi musste schweigen, um das Entzücken der reizenden Frau an seiner eigenen Schöpfung nicht zu stören. So befangen war sie von den Vorgängen auf der Bühne, wo der Herzog von Mantua gerade sein „Donna e mobile" sang, dass sie das leise Verschwinden ihres Nachbarn gar nicht bemerkte.

Ein halbes Jahr darauf brachte der greise Verdi seinen „Othello“ auf die Bühne, dem später noch der „Falstaff“ folgte. Es waren dies die beiden letzten Werke des großen Meisters, deren Entstehung wir nicht zuletzt einer kunstbegeisterten und resoluten Münchnerin zu verdanken haben.

Hoftheater München

Giuseppe Verdi



Giuseppe Verdi


Giuseppe Verdi Denkmal in Mailand


Freitag, 16. Juli 2021

Königlich bayrische Hosenmode

Die Oberdonau-Zeitung berichtete am 16.6.1943 über den Bayernkönig Ludwig III, (geb. 1845, gest. 1921) unseren Nachbarn, der es mit der Hosenmode auch nicht leicht hatte. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Der letzte bayrische König, Ludwig III, hatte neben anderen Eigenarten auch die Gewohnheit, seine Hosen grundsätzlich so zu tragen, dass sie unzählige Falten warfen. So lange er Prinz und später Prinzregent war, hat diese merkwürdige Hosenmode mit den Ziehharmonikafalten weiter kein Aufsehen erregt. Aber im November 1913 hatte es Ludwig erreicht, dass er an Stelle des kranken Otto König von Bayern wurde. Nach alter Überlieferung präsentierte sich der neue König auf dem Schlossbalkon seinen lieben Münchnern.

Als am anderen Morgen Seine Majestät beim Ankleiden war, erlaubte sich der diensttuende Kammerdiener untertänigst zu bemerken: „Majestät, die Münchner haben gestern recht deschbekdierlich (respektlos) von Eurer Majestät dahergeredet . . „So, was haben´s denn nacha?“ fragte der Bayernludwig. „Zweng die Hosen von Eurer Majestät“ „Was hättens denn daran auszusetzen?“ will der König wissen. „Weils so vui Falten ham. Da sagen die „Gluifl“ (ungehobelten Kerle), wie Euer Majestät gestern aufm Balkon g’schdanden san: Da drobm steht Ludwig der Vielfältige . . .! „Soooo!“ sagt der Ludwig, „nachert bügelst mir´s halt aus, dass nur noch eine Falt’n drin is!

Der Kammerdiener macht ein bedenkliches Gesicht und meint: „Dös geht aa wieder net!“ „Ja, warum dann?“ will der König ungeduldig wissen. Der Kammerdiener findet nicht gleich die richtige Antwort. Es geht ihm so durch den Kopf: Wie sag’ ich’s meinem König?! „Na, wird's bald!“ drängt die bayrische Majestät. Da gibt sich der Kammerdiener einen Ruck und sagt: „Ja, Majestät, dös is aso: Jetzt hoassens eana Ludwig den Vielfältigen. Wann aber bloss nur no oa oanzige Falt’n in dar Hosen ist?“

Da entschied der König, dass es bei den vielen Falten bleibe.

König Ludwig III von Bayern





Montag, 12. Juli 2021

Vom Liebesleben der Äskulapnattern







                                                                  Fotos: Traude Schachner

Samstag, 10. Juli 2021

Das Bruckner-Orchester in Hinterstoder







                                                                       Fotos: Traude Schachner

Freitag, 9. Juli 2021

Geschichten aus dem Leben von Johannes Brahms

Die Oberdonau-Zeitung berichtete am 15.2.1944 über Anekdoten, die Einblick in das Leben des berühmten Komponisten Johannes Brahms (geb.1833, gest.1897) geben. Brahms verbrachte gerne seinen Urlaub in Mürzzuschlag. Dort gibt es auch ein Brahms-Museum.  Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Brahms spie!t zum Tanz auf

Johannes Brahms, der berühmte Komponist, war ein etwas galliger Herr und wer ihn zum ersten Mal sah, erkannte in dem verdrießlichen Mann viel eher den Komponisten des „Requiem“ als der „Ungarischen Tänze“.

Es war im Jahre 1871, als Brahms in Wien mit einigen Freunden eine kleine Gaststätte aufsuchen wollte, in der stets ein Tisch für seine Gesellschaft reserviert war.
Eines Abends aber, als der Komponist in dem Restaurant erschien, fand er zu seiner unangenehmen Überraschung eine Anzahl lärmender Männer und Frauen vor — eine Volkssängerin, die damals sehr populär war, die Fiaker-Milli, gab ein Konzert. Brahms war wieder einmal in schlechtester Laune und schickte sich bereits an wieder zu gehen, als ihn der Besitzer bat, doch zu bleiben, denn die Sängerin hätte ausdrücklich „befohlen“, dass sein Tisch respektiert würde. Diese zarte Aufmerksamkeit schien Brahms sehr zu gefallen, er dankte, setzte sich und sah nun dem heiteren und ausgelassenen Treiben der Gäste mit leisem Schmunzeln zu. Nach dem Konzert sollte getanzt werden und alle warteten auf den Pianisten. Dieser erschien jedoch nicht, vielmehr brachte ein Bote die niederschmetternde Nachricht, dass der Klavierspieler erkrankt sei und nicht kommen könne. Da bemächtigte sich der Gäste, es waren Modistinnen, Wäschermädel, Fiakerkutscher und so weiter, tiefe Traurigkeit, denn ein Ersatzspieler war nicht aufzutreiben. Aber die Fiaker-Milli wusste Rat. Mit einem ganzen Schwarm hübscher Mädchen näherte sie sich Brahms, der zeitlebens nie geheiratet hat und bat ihn, doch wenigstens einmal, nur einen einzigen Walzer zu spielen. Ohne ein Wort zu sprechen erhob sich der Komponist, öffnete den Flügel und spielte einen Walzer seines Freundes Strauss.
Er spielte aber nicht nur einmal — er spielte drei Stunden lang, Walzer, Mazurkas, Polkas, fast ohne Pause, mit Schwung und Begeisterung. Kein Wunder, denn schon nach dem ersten Musikstück hatte er von der Fiaker-Milli drei feurige Küsse als süßen Lohn erhalten und nach jedem Tanz kam eines der Mädchen um den unermüdlichen Musiker in derselben Welse zu belohnen ... Als der Komponist des „Requiem" lange nach Mitternacht den Nachhausweg antrat, war von schlechter Laune nicht mehr die Rede, im Gegenteil, lustig pfeifend schritt ein glücklicher Mensch durch die zärtliche Wiener Sommernacht ...

Die Reliquien-Zigarette

Johannes Brahms war zeit seines Lebens ein leidenschaftlicher Zigarettenraucher. Und er hatte da seine „Verbindungen" — so etwas gab es nämlich damals auch schon, wenn auch nicht in dem Sinne, wie wir das Wort heutzutage anzuwenden pflegen.
Er ließ sich eine Spezialmarke geradewegs aus Ägypten kommen und diesen Original-Ägyptischen gehörte seine ganze Raucherleidenschaft. Nun freilich ist der Weg aus Ägypten weit und wenn nun hie und da einmal der Nachschub nicht gleich zur Stelle war, wusste er auch die Erzeugnisse der damaligen österreichischen Tabak-Regie gebührend zu würdigen. Von diesen übrigens bevorzugte er nicht etwa irgendeine der teuren Sorten, nein, sondern hier war es die „Sport“ seligen Angedenkens, die es ihm besonders angetan hatte. Über allem andern aber standen die Original-Ägyptischen.
Als Brahms nun wieder einen Sommer lang in Bad Ischl verweilte, empfing er eines Tages den Besuch eines jungen Pianisten, der soeben die Musikhochschule mit Auszeichnung absolviert hatte und später als Liederkomponist Erfolge errang. Er ließ sich von ihm vorspielen und war von dem Können des jungen Mannes so entzückt, dass er den spontanen Entschluss fasste, dem angehenden Künstler eine besondere Freude zu bereiten. „Sind Sie Raucher?" fragte er. „Ja", kam es schüchtern und bescheiden zurück. Ja, dann nehmen Sie sich hier mal eine Zigarette heraus, so etwas Feines haben Sie gewiss noch nie genossen.”  Und der Meister hielt dem jungen Manne die Schachtel mit den kostbaren Original-Ägyptischen hin. „Bin so frei . . .“ „Feuer haben wir auch hier . . .“, fuhr der Meister fort, dann aber stutzte er erstaunt, als er sah, wie der junge Mann seiner Rocktasche ein Blatt Papier entnahm, darin die Zigarette sorgfältig einwickelte und sich anschickte, das kleine Päckchen wieder in der Tasche verschwinden zu lassen. „Ach so, Sie wollen jetzt nicht rauchen?“ „Verzeihen Sie, Meister . , .“, stotterte der junge Mann, „ich möchte schon, aber . . . Aber diese Zigarette wird überhaupt nie geraucht werden. Die hebe ich mir auf als Reliquie ..." „Ach so! Sie wollen die Zigarette gar nicht rauchen?“ polterte daraufhin der Meister los. „Ja, warum sagen Sie das nicht gleich, Herr? Wenn das so ist, dann geben Sie sie gefälligst zurück. Wenn Sie bloß ein Erinnerungsstück wollen, tut’s eine „Sport“ auch ..."

Johannes Brahms

Emilie Turaczek -  "Fiaker-Milli"

Strauss und Brahms

Denkmal in Wien



Freitag, 2. Juli 2021

Begegnungen im Regenbogenhaus

Die Oberdonau-Zeitung berichtete am 12.9.1943 von Karl Heinrich Waggerl (geb.1897, gest.1973) dem berühmten Heimatdichter, der es mit seinen Besuchern auch nicht immer leicht hatte. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

"Gäste aus der Stadt sind merkwürdige Geschöpfe, unergründlich, sie stecken voller Rätsel. Ob sie nun singen oder pfeifen, oder im stillsten Wiesengrund sitzen und Marschmusik auf einer Maschine spielen, einerlei, den Drang zum Geräusch haben alle in sich. Wenn Irgendwo ein Vogel auf dem Zaun sitzt, um seine Federn zu putzen und es kommt ein Sommergast des Weges, dann schweigt der Vogel und wartet mit seinem Geschäft, bis der Fremde vorbeigegangen ist. Aber der kann nicht schweigen, der muss mit dem Finger auf den Vogel zeigen und einen Schrei ausstoßen: Seht her, ein Kuckuck. Und dann fliegt der Vogel davon und kommt lang nicht mehr. Natürlich, weil ihn das ärgert, er ist ja kein Kuckuck, sondern ein Häher.

Andere Gäste wieder sind über alles menschliche Maß hinaus neugierig, besonders die weiblichen, und es gibt fast nur solche, soweit ich mich entsinne. Wo immer ein Kind am Wege sitzt, das eben erst ein wenig krähen kann, gleich wird es in ein weitäufiges Verhör gezogen, wie es denn heiße und wer sein Vater sei, lauter peinliche Fragen. Das Kind darf ja schweigen und sich sein Teil denken, aber unser einem ist es weniger leicht gemacht.

Zum Beispiel habe ich einmal, als mir sonst nichts einfiel, die Fensterläden an meinem Haus blau angestrichen, alle bis auf zwei im Untergeschoß, die sind braun geblieben. Die Dorfleute regt das weiter nicht auf, sie begreifen, dass einem zur Unzeit die Farbe ausgehen kann oder die Geduld, aber die Stadtleute bringt so etwas außer Rand und Band. Sie sammeln sich vor dem Haus und beraten die Sache unter sich. Etliche ziehen Schlüsse auf meinen Geisteszustand, meine Gemütsart, andere meinen, ich müsse auf jeden Fall ein Mensch von Eigenart sein und wieder andere bezweifeln das, die raten auf eine völlig zerrüttete Ehe. Und wahrhaftig, es fehlt nicht viel daran, dass sie recht behielten, denn auch die Hausgenossen mischen sich in den Streit und wollen die Schande nicht länger dulden.

Ich weiß nicht, vielleicht werde ich tun, was Salomon getan hätte. Ich werde noch ein paar Fenster rot und gelb dazumalen. Dann heißt mein Haus das Regenbogenhaus, und alle sind zufrieden.

Ein anderes Mal, während ich am Schreibtisch sitze, weil mir ist, als käme mich ein Gedanke an, trifft mich plötzlich eine Stimme vom Fenster her in den Rücken. Hier wohnt er, sagt die Stimme. Ja, sagt eine zweite. Aber er soll so scheu sein. Was heißt das nun? Natürlich muss ich sogleich aufstehen und leise zum Fenster schleichen, es war immerhin eine ziemlich treffende Bemerkung. Ich schaue hinaus und weil das nicht mehr zureicht, stecke ich den Kopf durch das Gitter. Aber in diesem Augenblick dreht sich das eine der beiden Wesen noch einmal um und sieht mich mit gerecktem Hals und lächerlich zerrauftem Haar, ich kann um alles in der Welt den Kopf nicht schnell genug wieder einziehen.

Es gibt freilich auch dreistere, die stehen plötzlich vor der Tür und kichern und stoßen sich an. Nach einer Weile klopft es auch wirklich und dann knöpfe ich in Gottes Namen den Hemdkragen zu und führe die beiden herein. Die eine hat einen Zettel mitgebracht, damit ich ihr einen Vers darauf schreibe, sie sammelt solche Zettel. Die andere aber, die hübschere, ist eigentlich nur spaßeshalber gekommen, um mir dabei zuzuschauen. Sie hat überhaupt noch keinen lebendigen Dichter gesehen immer nur Denkmäler. Nun, was mich betrifft, ich bin keineswegs aus Stein, sondern ein zugänglicher Mensch. Man darf bei mir in der Stube umhergehen und alles genau betrachten, darf sich in jeden Stuhl setzen und Bilder aus dem Fach kramen, und wenn man einen üppigen Mund hat und winzige Sommersprossen auf der Nase, dann darf man auch Fragen stellen, obwohl mir dabei der Reim wieder entfällt, den ich eben gefunden habe.

Ob ich denn diese vielen Bücher auch alle gelesen hätte? — Einige. Und wie das eigentlich zuginge, ob ich mich einfach hinsetze und schon fiele mir etwas Gereimtes ein? — Ach nein, erklärte ich, viel öfter etwas Ungereimtes. Aber die Leute merken es gar nicht immer. Natürlich, sagt das Fräulein, als ob es ohnehin von mir und den Leuten nichts Besseres erwartet. Und ob ich immer nur Verse machte oder manchmal auch etwas anderes? Ja? Was denn zum Beispiel? — Zum Beispiel diese Uhr an der Wand, behaupte ich, um mir ein neues Ansehen zu geben. So. Und die Bilder vielleicht auch? Ja, sage ich zerstreut, denn ich habe den Reim wieder gefunden Und diesen Krug auf der Truhe? Jawohl, erkläre ich, auch den, mein Kind. — Und woraus? — Aus Lehm und Geist, sage ich, und schreibe meinen Vers auf den Zettel. Aber dann müssen wir beide lachen, denn ich habe schändlich aufgeschnitten, es klebt ja eine Marke unten auf dem Krug.

Nein, sagt die Freundin säuerlich, nein, Liese, du bist entschieden zu vorlaut! Sie ist die Ältere von den beiden, sie hat keine Sommersprossen auf der Nase. Das Kind aber verstummt und ich wende mich auch wieder zu meinem Gedicht, ein wenig betreten. Es ist ja wahr, ich sollte mehr Würde zeigen, das bin ich dem Ansehen meiner Zunft schuldig. Wohin kämen wir, wenn jedes stupsnäsige Mädchen seinen Spaß mit uns treiben könnte? Wenn gar die Leute anfingen, bei allem, was wir ihnen zeigen, auch den Boden zu besehen".