Die Oberdonau-Zeitung berichtete am 12.9.1943 von Karl Heinrich Waggerl (geb.1897, gest.1973) dem berühmten Heimatdichter, der es mit seinen Besuchern auch nicht immer leicht hatte. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.
"Gäste aus der Stadt sind merkwürdige Geschöpfe, unergründlich, sie stecken voller Rätsel. Ob sie nun singen oder pfeifen, oder im stillsten Wiesengrund sitzen und Marschmusik auf einer Maschine spielen, einerlei, den Drang zum Geräusch haben alle in sich.
Wenn Irgendwo ein Vogel auf dem Zaun sitzt, um seine Federn zu putzen und es
kommt ein Sommergast des Weges, dann schweigt der Vogel und wartet mit seinem
Geschäft, bis der Fremde vorbeigegangen ist.
Aber der kann nicht schweigen, der muss mit dem Finger auf den Vogel zeigen und einen Schrei ausstoßen: Seht her, ein Kuckuck.
Und dann fliegt der Vogel davon und kommt lang nicht mehr. Natürlich, weil ihn das ärgert, er ist ja kein Kuckuck, sondern ein Häher.
Andere Gäste wieder sind über alles menschliche Maß hinaus neugierig, besonders
die weiblichen, und es gibt fast nur solche, soweit ich mich entsinne. Wo immer ein Kind am Wege sitzt, das eben erst ein wenig krähen kann, gleich wird es in ein weitäufiges Verhör gezogen, wie es denn heiße und wer sein Vater sei, lauter peinliche Fragen.
Das Kind darf ja schweigen und sich sein Teil denken, aber unser einem ist es weniger leicht gemacht.
Zum Beispiel habe ich einmal, als mir sonst nichts einfiel, die Fensterläden an meinem Haus blau angestrichen, alle bis auf zwei im Untergeschoß, die sind braun geblieben. Die Dorfleute regt das weiter nicht auf, sie begreifen, dass einem zur Unzeit die Farbe ausgehen kann oder die Geduld, aber die Stadtleute bringt so etwas außer Rand und Band. Sie sammeln sich vor dem Haus und beraten die Sache unter sich. Etliche ziehen Schlüsse auf meinen Geisteszustand, meine Gemütsart, andere meinen, ich müsse auf jeden Fall ein Mensch von Eigenart sein und wieder andere bezweifeln das, die raten auf eine völlig zerrüttete Ehe. Und wahrhaftig, es fehlt nicht viel daran, dass sie recht
behielten, denn auch die Hausgenossen mischen sich in den Streit und wollen die
Schande nicht länger dulden.
Ich weiß nicht, vielleicht werde ich tun, was Salomon getan hätte. Ich werde noch ein paar Fenster rot und gelb dazumalen.
Dann heißt mein Haus das Regenbogenhaus, und alle sind zufrieden.
Ein anderes Mal, während ich am Schreibtisch sitze, weil mir ist, als käme mich ein Gedanke an, trifft mich plötzlich eine Stimme vom Fenster her in den Rücken.
Hier wohnt er, sagt die Stimme.
Ja, sagt eine zweite. Aber er soll so scheu sein.
Was heißt das nun? Natürlich muss ich sogleich aufstehen und leise zum Fenster
schleichen, es war immerhin eine ziemlich treffende Bemerkung. Ich schaue hinaus und weil das nicht mehr zureicht, stecke ich den Kopf durch das Gitter. Aber in diesem Augenblick dreht sich das eine der beiden Wesen noch einmal um und sieht mich mit gerecktem Hals und lächerlich zerrauftem Haar, ich kann um alles in der Welt den Kopf nicht schnell genug wieder einziehen.
Es gibt freilich auch dreistere, die stehen plötzlich vor der Tür und kichern und stoßen sich an. Nach einer Weile klopft es auch wirklich und dann knöpfe ich in Gottes Namen den Hemdkragen zu und führe die beiden herein. Die eine hat einen Zettel mitgebracht, damit ich ihr einen Vers darauf schreibe, sie sammelt solche Zettel. Die andere aber, die hübschere, ist eigentlich nur spaßeshalber gekommen, um mir dabei zuzuschauen. Sie hat überhaupt noch keinen lebendigen Dichter gesehen immer nur Denkmäler.
Nun, was mich betrifft, ich bin keineswegs aus Stein, sondern ein zugänglicher
Mensch. Man darf bei mir in der Stube umhergehen und alles genau betrachten, darf sich in jeden Stuhl setzen und Bilder aus dem Fach kramen, und wenn man einen üppigen Mund hat und winzige Sommersprossen auf der Nase, dann darf man auch Fragen stellen, obwohl mir dabei der Reim wieder entfällt, den ich eben gefunden habe.
Ob ich denn diese vielen Bücher auch alle gelesen hätte? — Einige. Und wie das
eigentlich zuginge, ob ich mich einfach hinsetze und schon fiele mir etwas Gereimtes ein? — Ach nein, erklärte ich, viel öfter etwas Ungereimtes. Aber die Leute merken es gar nicht immer. Natürlich, sagt das Fräulein, als ob es
ohnehin von mir und den Leuten nichts Besseres erwartet. Und ob ich immer nur Verse machte oder manchmal auch etwas anderes?
Ja? Was denn zum Beispiel? — Zum Beispiel diese Uhr an der Wand, behaupte ich, um mir ein neues Ansehen zu geben.
So. Und die Bilder vielleicht auch? Ja, sage ich zerstreut, denn ich habe den Reim wieder gefunden Und diesen Krug auf der Truhe? Jawohl, erkläre ich, auch den, mein Kind. — Und woraus? — Aus Lehm und Geist, sage ich, und schreibe meinen Vers auf den Zettel. Aber dann müssen wir beide lachen, denn ich habe schändlich aufgeschnitten, es klebt ja eine Marke unten auf dem Krug.
Nein, sagt die Freundin säuerlich, nein, Liese, du bist entschieden zu vorlaut! Sie ist die Ältere von den beiden, sie hat keine Sommersprossen auf der Nase. Das Kind aber verstummt und ich wende mich auch wieder zu meinem Gedicht, ein wenig betreten. Es ist ja wahr, ich sollte mehr Würde zeigen, das bin ich dem Ansehen meiner Zunft schuldig. Wohin kämen wir, wenn jedes stupsnäsige Mädchen seinen Spaß mit uns treiben könnte? Wenn gar die Leute anfingen, bei allem, was wir ihnen zeigen, auch den Boden zu besehen".