Freitag, 23. Juli 2021

Das Gespräch in der Loge

In der Oberdonau-Zeitung berichtete am 19.3.1944 Eduard Franz über die Schaffenskraft im Alter des berühmten Komponisten Giuseppe Verdi (geb. 1813, gest. 1901). Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.

Giuseppe Verdi befand sich in den letzten Jahrzehnten seines schaffensreichen Lebens viel auf Reisen um die Aufführungen seiner Werke auf den europäischen Bühnen selbst zu leiten.
In München, wo man am dortigen Hoftheater seinen „Rigoletto“ neu einstudiert hatte, kam er infolge großer Zugsverspätungen erst nach Beginn des ersten Aktes an. Der Billeteur, der ihn persönlich nicht kannte, schob ihn rasch in eine Loge, die bereits von einer einzelnen Dame besetzt war. Da Verdi hinter der Frau zu sitzen kam, konnte er sie ungestört betrachten. Sie war obgleich nicht mehr ganz jung — eine ausgesprochene Schönheit. Ihr reiches, blondes Haar, ihr feines, ebenmäßiges Gesicht, zeichneten sich gegen die hellerleuchtete Bühne deutlich ab und der Meister wurde nicht müde, dieses anmutige Bild in sich aufzunehmen.

Während der großen Pause kamen sie wie von selbst miteinander ins Gespräch, wobei sich zeigte, dass sie ein gepflegtes Italienisch sprach und dass ihr Gatte, ein angesehener Münchener Arzt, im letzten Augenblick zu einem Patienten gerufen worden war, so dass ihr keine andere Wahl geblieben ist, als entweder auf die Vorstellung zu verzichten, oder allein in das Theater zu gehen. Als begeisterte Verehrerin Verdischer Musik, so erzählte sie in ihrer ungezwungenen Art, habe sie natürlich das letztere getan. „Ich kenne fast alle seine Werke auswendig: die stürmischen Jugendschöpfungen - Ernani, Macbeth, Rigoletto, Troubadour, ebenso wie die gedankentieferen seiner Reifezeit — Traviata, Maskenball, Macht des Schicksals, Don Carlos und Aida. Doch seit 17 Jahren hat er nichts Neues mehr geschaffen, obwohl er — davon bin ich fest überzeugt — dazu gewiß noch fähig wäre." „Verdi ist alt geworden, Signora“, antwortete ihr Nachbar lächelnd. „Alt und müde “. „Ach, was heißt alt! Alt werden Schuster, Direktoren und Grünzeughändler. Aber ein Mann wie er, dessen Werken ewige Jugendkraft innewohnt, kann nicht so prosaisch altern. Ein Mensch, der in seiner Jugend und in seinen reiferen Jahren so hinreißende Musik geschrieben hat, muss selbst noch als Greis ein gewaltiges Feuer in sich haben. Es wäre gut, wenn sich jemand fände, der ihm das einmal sagte." „Vielleicht kann ich das, Signora. Ich komme ab und zu mit ihm zusammen und rühme mich, einigen Einfluß auf ihn zu haben."

„Sie sind sein Freund? Welch ein glücklicher Zufall!“ Die anmutige Frau löste ein Medaillon von ihrem schlanken Hals. Bitte, geben Sie ihm das, und sagen Sie ihm, es sei von einer Frau, die fest daran glaubt, dass er noch Großes schaffen könnte, wenn er nur wollte.“ „Gestatten Sie, dass ich Ihnen im Namen meines Freundes Verdi dafür diese schöne Hand küsse“, erwiderte galant der alte Mann an ihrer Seite. “Still!“ rief sie, mit dem Finger drohend. „Der dritte Akt beginnt!" Und Giuseppe Verdi musste schweigen, um das Entzücken der reizenden Frau an seiner eigenen Schöpfung nicht zu stören. So befangen war sie von den Vorgängen auf der Bühne, wo der Herzog von Mantua gerade sein „Donna e mobile" sang, dass sie das leise Verschwinden ihres Nachbarn gar nicht bemerkte.

Ein halbes Jahr darauf brachte der greise Verdi seinen „Othello“ auf die Bühne, dem später noch der „Falstaff“ folgte. Es waren dies die beiden letzten Werke des großen Meisters, deren Entstehung wir nicht zuletzt einer kunstbegeisterten und resoluten Münchnerin zu verdanken haben.

Hoftheater München

Giuseppe Verdi



Giuseppe Verdi


Giuseppe Verdi Denkmal in Mailand


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen