"Sie wollen, dass ich Ihnen eine Ostergeschichte aus meinem Leben berichte?
Und sie freuen sich auch schon, dass da etwas ganz Außerordentliches kommt. Nun vielleicht enttäusche ich Sie. Und doch war es ein Erlebnis, das für mich bedeutungsvoll wurde.
Kurz, es war im Grunde nur eine ganz kleine und nebensächliche Sache, nicht einmal ein richtiges Erlebnis, denn, genau besehen, ging es nur um den Blick eines Schafes.
Wir hatten eine lange Fahrt hinter uns, denn wir kamen von der Südsee und wollten für den Sommer nach Europa zurück. Bis Westindien waren wir glücklich, und das hieß: fünfzig Tage an diesen braven, alten, schwerfälligen Frachter gebunden sein. Zwölf Offiziere mit den Maschineningenieuren und dem Funker waren an Bord, sieben Passagiere und an die vierzig Mann Besatzung. Man kann sich denken, was da gegessen wurde, da die Mahlzeiten ja sozusagen das einzige Vergnügen auf See darstellten: überdies war der Koch gut und gab sich ehrlich Mühe. Auf solchen Frachtern mit der langen Fahrt sieht die Welt sonderbar aus. Man fühlt sich ein bisschen wie Noah in der Sintflut. Man schließt sich zusammen, wenn man so lange nur Himmel und Wasser sieht.
Zu den Passagieren gehörte auch ein junges Mädchen, das in Begleitung ihres Onkels reiste. Der Mann war ein tüchtiger Farmer, in der Südsee, in Polynesien der ein paar der »Inseln unter dem Wind" besaß und sicher ein sehr reicher Mann war. Das Mädchen war schlank, sehr zierlich, elfenbeinbleich und dunkeläugig, von einer Verschlossenheit, dass man nie wusste, wie man mit ihr dran war. Dabei erschien sie durchaus nicht sanft, sondern zuweilen feindselig, ja fast böse. Dennoch, ich verliebte mich in sie. Sicher erwiderte das Mädchen meine Neigung nicht, wer weiß, ob ich ihr überhaupt sympathisch war. Ich erfuhr es nicht, oder ich war ihr nicht gewachsen, sondern empfand das nur dunkel und unangenehm.
Der Onkel hätte gegen ein ernst gemeintes Interesse wohl nichts einzuwenden gehabt. Im Gegenteil. Es sah aus, als wäre er ganz froh, der Sorge um diese Nichte enthoben zu werden. Sie kümmerte sich aber nicht im geringsten um ihn. Es war jedenfalls ein sehr merkwürdiges Verhältnis, das zwischen ihnen bestand: sie hatten sich nichts zu sagen und jede Äußerung würde den Widerspruch des Anderen erregt haben. Trotzdem, ich liebte dieses seltsame Geschöpf....
Wir hatten allerhand lebende Tiere an Bord, die für die Küche bestimmt waren: Ochsen, Schweine, Hühner und natürlich die unumgänglichen Hammel. Sie wurden alle nach und nach verzehrt. Wer beim Schlachten zuschauen wollte, konnte es tun, aber ich vermied es, denn ich sehe es nicht gern, wenn ein Tier getötet wird. Das Mädchen aber traf ich einmal, wie sie dabeistand, mit bebenden Nasenflügeln, einen starren, finsteren Blick in den Augen, der sie älter machte und irgendwie abstoßend wirkte. Ich sagte ihr, dass ich es seltsam fände, dass Frauen Freude an derlei Dingen hätten und sie ging ruhig mit mir fort, lächelte und fing plötzlich an, von einer Farm zu sprechen.
In Martinique bekamen wir für den letzten Teil der Reise, der in die Ostertage fiel, noch einmal frisches Fleisch. Einen geschlachteten Ochsen, der gleich in die Kühlkammer wanderte, und ein paar lebende Schafe. Es war eine junge, feine, zarthufige Rasse von Agutischafen, die es scheinbar nur auf den Antillen gibt und deren Fleisch gesucht ist. Die Tiere kamen in einen Pferch auf Verdeck, fraßen die Reste des Küchengemüses und Heu, aber schienen nichts von ihrem Schicksal zu ahnen und waren überaus zärtlich zu einander. Weil sie so hübsche, sanfte Köpfe und so unsäglich harmlose goldene Augen hatten, ging ich gewöhnlich nach dem Lunch zu ihnen und fütterte sie mit Weißbrot. Sie kamen vergnügt ans Gitter, nahmen das Brot aus der Hand, ließen sich streicheln und sahen mich zutraulich an. Gwendolin — ich weiß nicht, wie dieses Kolonialmädchen zu dem seltsamen Namen kam — lehnte neben mir, gab ihnen auch ein paar Stückchen Brot, streichelte jedoch nie eines der Tiere.
Aber die Leute auf einem Schiff müssen verpflegt werden und schließlich hatte man die Schafe ja aus diesem Grund mitgenommen. Kurz, am Ostersamstag fehlte eines, das der Koch sich als Feiertagsbraten geholt hatte. Ich wusste es nicht, ging mit Gwendolin zum Gitter und sah, dass das eine Tier allein darin stand. Nein, es stand nicht, es hing zitternd vor Angst auf seinen vier rehzarten Beinen, die Stirn nach unten gedrückt, sinnlos vor Angst. Daneben lag, zu einem Bündel zusammengeschnürt, die frisch abgezogene Haut seines Genossen, die der dumme Küchengehilfe gedankenlos da hineingeworfen hatte. Ich lockte das Tier und bot ihm Brot. Es drehte, als es meine Stimme hörte, den Kopf und sah mich mit einem Blick von unten herauf an — nein, man kann einen solchen Blick nicht schildern. Ich hatte nur das Gefühl, dieses unglückliche Geschöpf hat alles begriffen und klagt dich jetzt an. Dann senkte es wieder den Kopf und stand in derselben Stellung wie zuvor, so dass ich nur noch seinen bebenden Rücken sehen konnte. Ich ertrug diesen Anblick nicht und ging weg. Auf Gwendolin achtete ich gar nicht mehr denn — ob Sie mich für überspannt halten oder nicht — ich kam mir wie ein Mörder vor, wie ein gewissenloser Heuchler, der nichts tat, um ein unschuldiges Geschöpf zu retten. Ja die lange Reise hatte wohl meine Nerven etwas hergenommen, aber ich empfand es für den Augenblick eben so.
Gwendolin sah ich erst beim nächsten Mittagessen am Ostersonntag wieder. Sie war guter Laune, während ich unbehaglich wartete bis der dritte Gang serviert wurde. Es war, richtig eine Hammelkeule, ich wusste nur zu gut, woher sie stammte. Es war mir nicht möglich, etwas davon zu essen und so stocherte ich nur in dem Palmenmarksalat auf meinem Teller. Gwendolin, die doch am Tag vorher genau dasselbe wie ich erlebt hatte, ließ sich nicht stören. Sie nahm reichlich Fleisch, wandte sich dann zu mir und sagte mit spöttischem Lächeln: „Es ist ausgezeichnet. Wissen Sie noch, wie dumm das Schaf uns gestern anglotzte?" Ich bin ein beherrschter Mensch, aber ich hatte doch Mühe, ihr nicht etwas Heftiges zu erwidern. Ich stand auf, murmelte etwas von Fieber und sperrte die Tür meiner Kabine hinter mir zu.
Ich habe Gwendolin nicht geheiratet, trotzdem es ihr offenbar zuletzt leid tat. Sie sehen diese Ostergeschichte ist keine Sache zum Erzählen. Vielleicht überhaupt nur die übertriebene Einbildung.Trotzdem war das Ganze wichtig für mich. Denn so bin ich vielleicht vor großen Enttäuschungen, die mir bevorstanden, verschont geblieben. Und ich muss diesem verwünschten Ostersonntagsbraten, bei dem ich hungrig blieb, zuletzt noch dankbar sein".
Wir hatten eine lange Fahrt hinter uns, denn wir kamen von der Südsee und wollten für den Sommer nach Europa zurück. Bis Westindien waren wir glücklich, und das hieß: fünfzig Tage an diesen braven, alten, schwerfälligen Frachter gebunden sein. Zwölf Offiziere mit den Maschineningenieuren und dem Funker waren an Bord, sieben Passagiere und an die vierzig Mann Besatzung. Man kann sich denken, was da gegessen wurde, da die Mahlzeiten ja sozusagen das einzige Vergnügen auf See darstellten: überdies war der Koch gut und gab sich ehrlich Mühe. Auf solchen Frachtern mit der langen Fahrt sieht die Welt sonderbar aus. Man fühlt sich ein bisschen wie Noah in der Sintflut. Man schließt sich zusammen, wenn man so lange nur Himmel und Wasser sieht.
Zu den Passagieren gehörte auch ein junges Mädchen, das in Begleitung ihres Onkels reiste. Der Mann war ein tüchtiger Farmer, in der Südsee, in Polynesien der ein paar der »Inseln unter dem Wind" besaß und sicher ein sehr reicher Mann war. Das Mädchen war schlank, sehr zierlich, elfenbeinbleich und dunkeläugig, von einer Verschlossenheit, dass man nie wusste, wie man mit ihr dran war. Dabei erschien sie durchaus nicht sanft, sondern zuweilen feindselig, ja fast böse. Dennoch, ich verliebte mich in sie. Sicher erwiderte das Mädchen meine Neigung nicht, wer weiß, ob ich ihr überhaupt sympathisch war. Ich erfuhr es nicht, oder ich war ihr nicht gewachsen, sondern empfand das nur dunkel und unangenehm.
Der Onkel hätte gegen ein ernst gemeintes Interesse wohl nichts einzuwenden gehabt. Im Gegenteil. Es sah aus, als wäre er ganz froh, der Sorge um diese Nichte enthoben zu werden. Sie kümmerte sich aber nicht im geringsten um ihn. Es war jedenfalls ein sehr merkwürdiges Verhältnis, das zwischen ihnen bestand: sie hatten sich nichts zu sagen und jede Äußerung würde den Widerspruch des Anderen erregt haben. Trotzdem, ich liebte dieses seltsame Geschöpf....
Wir hatten allerhand lebende Tiere an Bord, die für die Küche bestimmt waren: Ochsen, Schweine, Hühner und natürlich die unumgänglichen Hammel. Sie wurden alle nach und nach verzehrt. Wer beim Schlachten zuschauen wollte, konnte es tun, aber ich vermied es, denn ich sehe es nicht gern, wenn ein Tier getötet wird. Das Mädchen aber traf ich einmal, wie sie dabeistand, mit bebenden Nasenflügeln, einen starren, finsteren Blick in den Augen, der sie älter machte und irgendwie abstoßend wirkte. Ich sagte ihr, dass ich es seltsam fände, dass Frauen Freude an derlei Dingen hätten und sie ging ruhig mit mir fort, lächelte und fing plötzlich an, von einer Farm zu sprechen.
In Martinique bekamen wir für den letzten Teil der Reise, der in die Ostertage fiel, noch einmal frisches Fleisch. Einen geschlachteten Ochsen, der gleich in die Kühlkammer wanderte, und ein paar lebende Schafe. Es war eine junge, feine, zarthufige Rasse von Agutischafen, die es scheinbar nur auf den Antillen gibt und deren Fleisch gesucht ist. Die Tiere kamen in einen Pferch auf Verdeck, fraßen die Reste des Küchengemüses und Heu, aber schienen nichts von ihrem Schicksal zu ahnen und waren überaus zärtlich zu einander. Weil sie so hübsche, sanfte Köpfe und so unsäglich harmlose goldene Augen hatten, ging ich gewöhnlich nach dem Lunch zu ihnen und fütterte sie mit Weißbrot. Sie kamen vergnügt ans Gitter, nahmen das Brot aus der Hand, ließen sich streicheln und sahen mich zutraulich an. Gwendolin — ich weiß nicht, wie dieses Kolonialmädchen zu dem seltsamen Namen kam — lehnte neben mir, gab ihnen auch ein paar Stückchen Brot, streichelte jedoch nie eines der Tiere.
Aber die Leute auf einem Schiff müssen verpflegt werden und schließlich hatte man die Schafe ja aus diesem Grund mitgenommen. Kurz, am Ostersamstag fehlte eines, das der Koch sich als Feiertagsbraten geholt hatte. Ich wusste es nicht, ging mit Gwendolin zum Gitter und sah, dass das eine Tier allein darin stand. Nein, es stand nicht, es hing zitternd vor Angst auf seinen vier rehzarten Beinen, die Stirn nach unten gedrückt, sinnlos vor Angst. Daneben lag, zu einem Bündel zusammengeschnürt, die frisch abgezogene Haut seines Genossen, die der dumme Küchengehilfe gedankenlos da hineingeworfen hatte. Ich lockte das Tier und bot ihm Brot. Es drehte, als es meine Stimme hörte, den Kopf und sah mich mit einem Blick von unten herauf an — nein, man kann einen solchen Blick nicht schildern. Ich hatte nur das Gefühl, dieses unglückliche Geschöpf hat alles begriffen und klagt dich jetzt an. Dann senkte es wieder den Kopf und stand in derselben Stellung wie zuvor, so dass ich nur noch seinen bebenden Rücken sehen konnte. Ich ertrug diesen Anblick nicht und ging weg. Auf Gwendolin achtete ich gar nicht mehr denn — ob Sie mich für überspannt halten oder nicht — ich kam mir wie ein Mörder vor, wie ein gewissenloser Heuchler, der nichts tat, um ein unschuldiges Geschöpf zu retten. Ja die lange Reise hatte wohl meine Nerven etwas hergenommen, aber ich empfand es für den Augenblick eben so.
Gwendolin sah ich erst beim nächsten Mittagessen am Ostersonntag wieder. Sie war guter Laune, während ich unbehaglich wartete bis der dritte Gang serviert wurde. Es war, richtig eine Hammelkeule, ich wusste nur zu gut, woher sie stammte. Es war mir nicht möglich, etwas davon zu essen und so stocherte ich nur in dem Palmenmarksalat auf meinem Teller. Gwendolin, die doch am Tag vorher genau dasselbe wie ich erlebt hatte, ließ sich nicht stören. Sie nahm reichlich Fleisch, wandte sich dann zu mir und sagte mit spöttischem Lächeln: „Es ist ausgezeichnet. Wissen Sie noch, wie dumm das Schaf uns gestern anglotzte?" Ich bin ein beherrschter Mensch, aber ich hatte doch Mühe, ihr nicht etwas Heftiges zu erwidern. Ich stand auf, murmelte etwas von Fieber und sperrte die Tür meiner Kabine hinter mir zu.
Ich habe Gwendolin nicht geheiratet, trotzdem es ihr offenbar zuletzt leid tat. Sie sehen diese Ostergeschichte ist keine Sache zum Erzählen. Vielleicht überhaupt nur die übertriebene Einbildung.Trotzdem war das Ganze wichtig für mich. Denn so bin ich vielleicht vor großen Enttäuschungen, die mir bevorstanden, verschont geblieben. Und ich muss diesem verwünschten Ostersonntagsbraten, bei dem ich hungrig blieb, zuletzt noch dankbar sein".
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