In der Oberdonau Zeitung vom 7. 2. 1943 erzählte Pauline Bayer vom Bauernhaus ihrer Familie und von Erinnerungsstücken, die sich im Laufe vieler, vieler Jahre angesammelt haben. Der Artikel wurde etwas gekürzt und unserer Zeit angepasst.
Die hohe Stube war für uns Kinder voller Geheimnisse und Wunder. Hier stand rings an den Wänden in beschaulicher Ruhe alter Hausrat aus Urväterzeiten beisammen. Da waren behäbige Schränke, die die Festtagskleider von Vater und Mutter, von Ahnen und Urahnen bargen, Truhen, wo die hausgewebte Leinwand und die feingehechelten, saubergeflochtenen Flachszöpfe aufbewahrt wurden. Ein riesiges Himmelbett war da, hochaufgetürmt mit Tuchenten, Kissen und einige wackelige, altmodische Stühle mit zersessenen Polsterungen.
In diesem Raum schien die Zeit still zu stehen. Die alte Stockuhr hatte ihr Ticken eingestellt und zeigt eine längst vergangene Stunde an. Hier schien die Ewigkeit zu verweilen. Aber wenn man das Ohr horchend an eines dieser alten Möbelstücke legte, konnte man das leise Pochen des Holzwurmes vernehmen, der hier ungestört seine Arbeit tat. Selten betrat jemand diesen Raum. Und wenn wir Kinder mit der Mutter in die hohe Stube gehen durften, so war das für uns immer ein besonderes Ereignis. Sobald die Mutter den großen Schlüssel, der am Rahmen der Stubentür hing zur Hand nahm, waren wir gleich bei ihr. Wir stürmten die steile Treppe hinauf und waren voll freudiger Erwartung, wenn der Schlüssel knarrte und das Schloss aufsprang. Aus der geöffneten Tür strömte uns der köstliche Geruch der hohen Stube entgegen. Wir sogen ihn mit wonnigem Behagen ein. Er war fremdartig und doch wieder so vertraut und anheimelnd und verriet mit seinem wunderlichen Gemisch von Düften nach altem Taft und Lavendel, nach Leinen und Flachs, gedörrten Pflaumen und Kletzen alles, was in Truhen und Schubladen, Kasten und Kästchen gespeichert war. Das Prunkstück der hohen Stube war der Gläserkasten. Er hatte von jeher seinen Platz zwischen den zwei Fenstern, die sich der Tür gegenüber befanden.Wenn man in die Stube eintrat, strahlte einem auf den ersten Blick seine ganze Pracht entgegen. Er stammte aus Brautsachen der Urgroßmutter und war wunderbar blau angestrichen und mit bunten Blumensträußen bemalt, altbäuerlich wie der übrige Hausrat. Er war der Schatzkasten des Hauses. Alle Kleinodien, alle zerbrechlichen Kostbarkeiten wurden darin aufgehoben: altes Porzellangeschirr mit Rosenmuster und feinen Goldreifchen, kunstvoll geschliffene Gläser von der Farbe böhmischer Granaten und daneben kristallhelle Dosen und Flaschen, in deren spiegelklaren Schliffen alle Buntheit des Regenbogens schimmerte. Wohl als das schönste erschienen mir die Glasstürze mit den wächsernen Heiligen, kunstvolle, zierliche Figürchen mit winzigen Gesichtchen und schwarzen Perlenäuglein.
Hochzeitsbuschen waren da und Rekrutensträuße aus bunter Seide und großen, glänzenden Glaskugeln. In einer Schachtel, auf rotem Samt gebettet, lagen Mutters goldene Brosche, die Ohrgehänge und der Halsschmuck, den sie als Braut zum blau schillernden Seidenkleid getragen hatte. Wie doch die vielen zarten Silberkettlein daran glänzten und die prächtigen Steine in allen Farben leuchteten! An den Innenwänden des Kastens hingen kleine Heiligenbilder, die kunstvoll hinter Glas gemalt waren, dann Weihbrunnkessel und Wasserkrüglein, wie man sie an die Spinnräder hängte, alles aus farbigem Glas, gar wundersam geformt. Ein altes vergilbtes Myrtenkränzlein war da. Es war von einem hauchzarten Schleier umwunden und niemand mehr wusste, wer es einst getragen und hier aufbewahrt hatte. Manche Sachen wurden nur für kurze Zeit in den Gläserkasten gestellt und dann wieder herausgeholt, so die prächtig verzierten Lebkuchenherzen und kunstreich geformten Zuckerfigürchen vom letzten Kirchtag. Auch schön gemalte Ostereier fanden eine Zeit lang darin Platz. Alles das nahm der Gläserkasten in seine Obhut Er verwahrte damit den geheimnisvollen Zauber, der über den Dingen lag. Ein Jedes hatte seine seltsame Geschichte. Manches Stück war schon so alt, dass sich niemand mehr erinnerte, wann es in den Kasten gestellt wurde und wer es aufhob. Seine Geschichte war vergessen worden, dadurch wirkte es noch viel geheimnisvoller und ehrwürdiger als die anderen.
Wenn man in die hohe Stube trat, schwankte ganz leise die Diele. Sie lag über der großen unteren Stube und war durch keine Zwischenmauer gestützt darum schwankte sie. Das machte mir jedes mal ein besonderes Vergnügen. Ich hob mich auf die Fußspitzen und wippte mit. Es war dann, als schicke sich die ganze Stube mit allen Truhen und Schränken, die darin waren, zum Tanzen an. Die Fenster klirrten leise und alle Gläser im Kasten klangen wie feine Glöckchen. Wenn dann an schönen Tagen die Sonne um die Hausecke kam und durch die Hoffenster in den Raum schien, begannen die bunten Kugeln zu leuchten, die Glasschliffe funkelten in allen Farben und das Gold, das auf Teller und Tassen gemalt war, warf Sternlein und sprühte Strahlen nach allen Seiten. Die ganze Stube stand dann in Glanz und Glorie.In einem der Wandschränke befand sich ein Erbstück, das uns Kinder ganz besonders anzog. Es war das Brautkleid einer Ahne. Es war aus grünem, großgeblumtem Damast und von einem altertümlichen Schnitt wie man ihn zuweilen noch auf Gemälden aus längst vergangenen Zeiten sehen kann. Das Kleid hing seit Jahren im gleichen Schrank, am selben Haken. Wenn ich die Mutter darum bat, öffnete sie die Tür und ließ mir Zeit es zu bewundern. Manchmal griff sie prüfend in die reichen Falten des Rockes und hob ihn gegen das Licht. An den Bügeln zeigte er dort und da eine schadhafte Stelle. „Ich dachte es ja“, sagte die Mutter, „der Stoff bricht allein vom langen Herumhängen.“ Als dann eines Tages aus dem Nachbardorf eine Bäuerin kam, die für eine Verwandte in der Stadt altertümliche Sachen einkaufte, ließ sich die Mutter überreden und gab ihr das kostbare Kleid. Ich hätte am liebsten geweint als ich es in einem Bündel verschwinden sah, das dann fortgetragen wurde. Das Geld, das die Bäuerin bezahlt hatte, lag den ganzen Tag herum, zuerst auf dem Tisch, dann auf dem Fensterbrett. In der darauffolgenden Nacht hatte ich einen Traum. Es war Winter und eine fast taghelle Mondnacht. Da sah ich über das lichte Schneefeld vom Nachbardorf her eine Gestalt kommen. Sie schritt auf unser Haus zu. Als sie an den Fenstern vorbeiging war es das Seidenkleid. Es kam daher wie von einem unsichtbaren Körper getragen und trat lautlos durch die Haustür ein.
Am Morgen erzählte ich der Mutter gleich meinen seltsamen Traum. Sie hörte mich erstaunt an, dann lachte sie, nahm mich an der Hand und führte mich in die hohe Stube. Hier öffnete sie den Kasten und — o Wunder, da hing das Kleid an seinem alten Platz. Ich stieß einen Jubelruf aus, streichelte kosend die leise rauschenden Falten, als wäre das Kleid etwas liebes Lebendiges. „Es gehört zu uns wie die andern alten Dinge, die wir von den Ahnen geerbt haben und es soll bei uns bleiben und wenn du einmal groß bist, sollst du es haben“, sagte dann die Mutter und sie erzählte mir, sie habe nach dem Verkauf keine ruhige Stunde gehabt und das Kleid noch in der Nacht wieder zurückgeholt.
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